Mit einer akademischen Sitzung feiern déi Gréng am heutigen Freitagabend in der guten Stube des hauptstädtischen Bürgertums, im Festsaal des Cercle, ihren 30. Gründungstag. Die regelmäßig ein Jahr vor den Kammerwahlen veranstalteten Geburtstagsfeiern stellen immer ein wenig den Wahlkampfauftakt der Partei dar. Doch was sich bei früheren Geburtstagen abzeichnete, ist nun, nach dem Niedergang der einst gleich starken ADR, am 30. Geburtstag unübersehbar: Déi Gréng sind die erfolgreichste Parteigründung der Nachkriegszeit.
Die traditionellen Parteien von Konservativen, Liberalen und Sozialisten wurden allesamt vor einem Jahrhundert als Interessenvertreter der Landbevölkerung, des Mittelstands beziehungsweise der Arbeiter gegründet und stellen nach ständigen Veränderungen und Anpassungen bis heute die „politischen Familien“ dar. Weil sich die Gesellschaft nicht grundlegend wandelte, entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg nur kurzlebige Splitter- und Einpunktparteien. Von ihnen unterscheiden sich die Grünen durch den Besitz einer Ideologie und einer Wählerbasis.
Die Grünen sind der politische Ausdruck der in den Siebzigerjahren aufgekommenen Sorge um den Erhalt der natürlichen Umwelt und die Interessenvertreter einer sich ausbreitenden sozialen Schicht, der in sozialen, erzieherischen und kulturellen Berufen beschäftigten Intelligenz. Entsprechend ist der Erfolg: Seit einem Vierteljahrhundert ziehen sie landesweit um die zehn Prozent der Wählerstimmen an, sind anhaltend im Parlament, im Staatsrat, in Gemeinde- und in Schöffenräten vertreten.
Sind die Grünen gar nach der Resorption ihrer linken und rechten Absplitterungen, Glei, Tag, Gral und EFDN, und der anschließenden Konsolidierung und Befriedung der Partei dabei, eine eigene kleine, aber feine politische Familie zu werden? Die Grün-alternative Partei war am Nationalfeiertag 1983 von enttäuschten Sozialisten, Atomkraftgegnern, Naturschützern, Maoisten, Animisten und Chiliasten als Antipartei und parlamentarischer Arm der Neuen sozialen Bewegungen auf hehren Prinzipien wie Rotationsprinzip und Trennung von Ämtern und Mandaten gegründet worden. Doch schon 1999 stellte das Wahlprogramm fest: „Umweltschutz steht heute nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.“ Die Grünen mussten ihr politisches Angebot umsortieren. So dass sie heute weniger eine eigene politische Familie darstellen, als in Zusammenarbeit und Konkurrenz mit der erneuerten DP von Xavier Bettel und Claude Meisch zu einer am Umweltschutz interessierten linksliberalen Partei der Dienstleistungsgesellschaft geworden sind, einer Urenkelin der Radikalen, Radikalliberalen und Radikalsozialistischen Parteien der Zwischenkriegszeit.
Nun bleibt nur noch das seit Jahrzehnten als Krönung des grünen Projekts angesehene Ziel einer Regierungsbeteiligung, zu der es die grünen Schwesterparteien in den drei Nachbarländern schon vor über einem Jahrzehnt und mit eher tragischem Ausgang geschafft hatten. Hierzulande stand vorübergehend die Wahlarithmetik des strengen Proporzsystems im Wege, besonders jenem Teil der Partei, der in den Neunzigerjahren von einer Ampelkoalition mit LSAP und DP zum ökologischen Umbau der Industriegesellschaft träumte. Aber nach ermutigenden Worten von Premier Jean-Claude Juncker gibt es heute kaum noch ideologische Vorbehalte, um den Juniorpartner der CSV abzugeben, die einzige arithmetisch realistische Perspektive.
Doch die Ungeduld wächst, die Spitzenleute der Partei werden nicht jünger. Bei der Verabschiedung des Wahlprogramms für 2009 hatte die Abgeordnete Viviane Loschetter in der Diskussion über einen Änderungsantrag die Parteibasis schon gedrängt, Rücksicht darauf zu nehmen, „was wir tun, wenn wir dieses Dossier die nächsten fünf Jahre bekommen“. Aber der Konkurs von Merrill Lynch machte der Partei erneut einen Strich durch die Rechnung. Die vergangenen Wahlen standen ganz im Zeichen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Wähler trauten Umweltschützern noch immer nicht zu, davon etwas zu verstehen, sie plagten andere Sorgen als den Umweltschutz. Hatten die Meinungsumfragen den Grünen vorübergehend acht oder neun Parlamentssitze versprochen, stagnierte die Partei am Wahlabend.
Doch nächstes Jahr soll alles anders werden. Denn nach dem Scheitern der Tripartite und den wirren Spar- und Steuererhöhungsprogrammen gibt es eine gut organisierte Bewegung liberaler und Unternehmerkreise, um zumindest die LSAP aus der Regierung zu drängen und zum Sieg einer Koalition beizutragen, die Reformen zur Sanierung der Staatsfinanzen und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts durchsetzt. Die Grünen sind darauf vorbereitet. Sie hatten vor drei Jahren erst das Ende der Tripartite und die Entscheidungen der Regierung abgewartet, bevor sie ihr Grénge Modell fir d’Zukunft verabschiedeten, in dem es unter verschiedenen Bedingungen heißt: „Déi Gréng fordern die Neutralisierung der Öl- und Gaspreise im Index-Warenkorb.“
Denn die nächsten Wahlen entscheiden sich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, und da haben die Grünen einen langen Marsch zurückgelegt. Schluss mit dem Liter Benzin zu 100 Franken von 1994 und der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich von 1999. Hatten die Wahlprogramme 1994 den „ökologischen und sozialen Umbau der Wirtschaft“ verlangt und 1999 versprochen, dass Grün „für eine andere Wirtschaftspolitik“ stehe, so wollte man 2004 schon gewissenhaft die „Stärken und Schwächen des Wirtschaftsstandortes“ untersuchen. Bei den vergangenen Kammerwahlen war das Programm dann noch knapper und rechter geworden: Was bei der Gründung vor 30 Jahren eine „fünf vor zwölf“ drohende Umweltkatastrophe war, hieß 2009 nur noch „Umbruchphase“, die Klimakatastrophe war diskret zur „Klima- und Energieproblematik“ geworden, und statt Nullwachstum wünschten sich die Grünen „eine dynamische Wirtschaft“. Sie soll mit Energiesteuer und Umwelttechnik auf Trab gebracht werden.
Das vor vier Monaten verabschiedete, nur noch vier Seiten lange neue Grundsatzprogramm wurde gleich modular angelegt, damit es die passenden Prinzipien für jedes Wahlprogramm und jede Koalition bereithalten kann. Es verpflichtet sich vor allem einer „suffizienten Lebensweise“ zum Erlangen von „Nachhaltigkeit“. Als Ersatz für die altmodische katholische Verzichtsethik können die Grünen einem künftigen Koalitionspartner ihre modische Suffizienzethik anbieten, um während der nächsten Legislaturperiode Steuererhöhungen und selektive Sozialpolitik ökologisch zu rechtfertigen. Da wird die CSV doch kaum nein sagen können, es sei denn, dem neuen liberalen Publikumsliebling Xavier Bettel gelänge es doch noch, aus seinem persönlichen Erfolg einen Erfolg der DP zu machen.
Die Grünen verfügen jedenfalls über mehr wirtschafts- und sozialpolitischen Spielraum für weitreichende Reformen des Luxemburger Modells als irgendeine andere Partei. Denn laut den von der Abgeordnetenkammer in Auftrag gegebenen Wahlanalysen werden die Grünen zu mehr als der Hälfte von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit entsprechender Arbeitsplatzsicherheit gewählt sowie von Akademikerhaushalten mit höheren Einkommen. Die ökonomischen Probleme ihrer Wählerschaft sind also selbst in Krisenzeiten weitgehend gelöst.
Nachdem die Partei noch in ihrem Wahlprogramm von 1999 die Abschaffung des „Spitzeldienstes“ verlangt hatte, bemühte sie sich sogar aufopferungsvoll, dem Jean-Claude Juncker unterstellten Geheimdienst die dringend nötige demokratische Legitimation durch eine Oppositionspartei zu verleihen. Woran sie sich inzwischen gehörig die Finger verbrannte.
Doch Mut schöpfen die Grünen nicht zuletzt aus ihrem Sieg bei den rezenten Gemeindewahlen. In den Proporzgemeinden, wo sie kandidierten, erhöhten sie 2011 ihren Stimmenanteil von 14,1 auf 17,8 Prozent. Hatten sie sich 1999 noch über 22 kommunale Mandate gefreut, waren es 2005 bereits 41 und nunmehr 74. In den drei größten Städten des Landes, Luxemburg, Esch-Alzette und Differdingen, gehören die Grünen den Schöffenräten an – die CSV keinem einzigen. Weil kommunalpolitische Fragen wie Umweltschutz, Verkehrsberuhigung, Energiesparen und Kinderbetreuung inzwischen als typisch grüne Themen angesehen werden, versucht die Partei, sich mit Technokratenfleiß in den Gemeinden Basislager zu schaffen, von denen aus der Gipfel der Landespolitik erklommen werden soll.