Mehrheit von 38 gegen 15 Stimmen die DP-Motion ab, welche im Fall Roby Biever den Rücktritt des CSV-Justizministers verlangt hatte. Der Justizminister hieß damals Marc Fischbach, und die Abstimmung erfolgte am 29. April 1993. Vor 20 Jahren war dem Minister vorgeworfen worden, gegen die Empfehlung des Generalstaatsanwalts und unter Missachtung von Rangfolge und Dienstalter seinen Parteikollegen Roby Biever zum Staatsanwalt am Bezirksgericht Luxemburg ernannt zu haben. Das Groupement des magistrats hatte in zwei Pressemitteilungen öffentlich gegen die Ernennung protestiert, von Willkür und Günstlingswirtschaft geschrieben. Der CSV-Minister stand im Verdacht, den CSV-Staatsrat und ehemaligen CSV-Stadtrat Biever bevorzugt zu haben, um sich die Justiz gefügiger zu machen. Generalstaatsanwalt Roby Biever wurde am 19. November 1948 in der Hauptstadt geboren und wird in fünf Monaten pensionsberechtigt. Ob er dann in den Ruhestand tritt, will er noch nicht entschieden haben. Aber ein wenig vermittelt er den Eindruck, als ob er noch eine To-do-Liste habe, die es bis dahin abzuhaken gilt. Und ganz oben auf der Liste scheint neuerdings die Spitze des CSV-Staats zu stehen, dessen Teil er die längste Zeit seines Berufslebens war. Nach einem Doktorat in Jura im November 1972 und seinem Praktikum von Mai 1976 bis Mai 1978 war Biever zwischen Mai 1978 und Mai 1979 zuerst zur Staatsanwaltschaft delegierter Attaché im Justizministerium, danach bis Mai 1980 Substitut des Staatsanwalts in Luxemburg, bis Mai 1982 Richter am Bezirksgericht Luxemburg und bis Januar 1986 Generalanwalt. Zwischen Februar 1986 und April 1993 arbeitete er als beigeordneter Staatsanwalt und bis August 2010 als Staatsanwalt in Luxemburg, ehe er dann am 1. September 2010 das Amt des Generalstaatsanwalts antrat. Ab Oktober 1987 war Biever für die CSV Mitglied des Staatsrats, trat aber am 31. Dezember 2000 zurück, weil ihm wiederholt eine Verletzung der Gewaltentrennung vorgeworfen wurde. In die Justizgeschichte wird Biever zumindest dadurch eingehen, dass es wesentlich sein Verdienst ist, dass vor einem Jahrzehnt wider aller Erwartungen die Ermittlungen über die Terroranschläge der Achtzigerjahre von vorne begonnen und bis zu einem Prozess gebracht wurden. Dabei bediente er sich wie kaum einer seiner Vorgänger auch der Medien, um in der Öffentlichkeit Gegendruck zu den während Jahrzehnten geübten Vertuschungsversuchen aufzubauen. Untersuchungsrichterin Doris Woltz zögerte am vergangenen Freitag vor dem parlamentarischen Justizausschuss nicht, dem ebenfalls anwesenden Ex-Justizministers Luc Frieden vorzuwerfen: „Und ich glaube, der einzige, der sich vor mich stellte, damit ich überhaupt meine Arbeit als Untersuchungsrichter verrichten konnte, war Herr Biever. Sonst keiner! Sonst gar keiner!“ Nachdem er Anfang 2008 Justizminister Luc Frieden zur Abberufung des Generaldirektors und des Generalsekretärs der Polizei, Pierre Reuland und Guy Stebens, gezwungen hatte, knüpfte Biever sich vergangene Woche den Kronprinzen des CSV-Staats vor. Im Radio 100,7 warf er Frieden zum zweiten Mal binnen zwei Monaten vor, die Ermittler immer wieder zu entmutigen versucht zu haben: „Er kam wieder darauf zurück und sagte: ‚Ist das wirklich opportun?’, auch in einem Augenblick, da die Ermittlung sich mehr auf die Polizei richtete. Also er war nicht belustigt über die Ermittlung. Er konnte natürlich nicht sagen, hört auf damit, sonst hätte ich ihn auch gebeten, uns das schriftlich zu geben. Wir waren da nicht einer Meinung.“ Eine Woche später war Premier Jean-Claude Juncker an der Reihe. Als bekannt wurde, dass der Geheimdienst seit Jahren Akten mit Pädophilie-Gerüchten über ihn und andere Persönlichkeiten anlegte, verlangte der Generalstaatsanwalt am Montag über 100,7: „Die Frage der Verantwortung stellt sich ja. Von dem Augenblick an, da Sie einen Direktor haben, der einerseits ein großer Schönredner ist, ein moderner, junger Mensch, der ein Schönredner ist, aber diese Sachen hier gutheißt, da stellt sich die Frage um so mehr natürlich. Ja, da muss man auch schauen, wie man solche Leute einerseits kontrolliert, wer politischer Verantwortlicher ist. Ich bin ja auch noch gerne damit einverstanden, zu sagen, die Leute der Politik, sie haben keine Zeit, keine Kompetenz, um diese Sachen total und richtig zu machen. Es ist auch nicht an mir, um darüber zu urteilen. Das kostet auch ganz viel Zeit. Aber es genügt auch nicht, dass man sagt: ‚Och, dann kommen Sie vorbei und erzählen mir Ihre Geschichten über Ihre ... und so weiter. Das ist vielleicht ganz spannend... Das ist keine Verantwortung übernommen.“ „Irgendwie vage“ will Biever zudem erfahren haben, dass der Premier von den Gerüchten wusste, die über Biever verbreitet wurden. „Aber er hat das, so war das mein Eindruck... so als ob man ihm sagen würde: ‚Weißt Du, dass Du Deinen Vater umgebracht hast?’ Man schüttelt den Kopf und geht weiter.“ Biever habe „gute Ursachen anzunehmen“, dass Juncker „aus diesem Kreis“, dem ihm unterstellten Geheimdienst, von den Gerüchten erfahren habe, aber seine Agenten gewähren ließ. Dass ein Geheimdienst Akten fabriziert, in denen er Persönlichkeiten früher als Homosexuelle und und heute als Pädophile beschreibt, um sie im entscheidenden Fall erpressen zu können, gehört zu seinem Alltagsgeschäft. Kriminalpolizist Joël Scheuer erzählte am Mittwoch vor Gericht, dass auch die Ermittler im Bommeleeër-Prozess sich darauf vorbereitet hatten, mit ähnlichen Mitteln diskreditiert zu werden, als es ihren Vorgesetzten nicht gelang, sie unter Druck zu setzen, damit sie ihre Nachforschungen im Staatsapparat einstellten. Der Generalstaatsanwalt musste nicht lange auf die Rache aus den Reihen der CSV warten. Nachdem „verschiedene Abgeordnete“ die Pädophiliegerüchte des Geheimdienstes gegen ihn weiter streuten, „um mich zu diskreditieren, um mich unglaubwürdig zu machen“, „um mit dem Jauchefass über mich zu fahren, um mich fertig zu machen“, rief Biever am Donnerstag die Presse zusammen, um sich „als Heterosexueller zu outen“ und aufzuzählen, wie sich die Justiz seit Jahren mit den sich immer wieder als haltlos erweisenden Denunziationen aus dem Geheimdienst befasste. Dass sich ein langjähriger Diener des CSV-Staats mit der ganzen Autorität eines der höchsten Ämter der Justiz in solchem Maße gegen die Staatsspitze auflehnt, ist nur zu verständich angesichts der Verachtung und Demütigung, welche die Justiz und ihre einzelnen Vertreter während Jahren gerade in der Bommeleeër-Affäre durch die Polizeihierarchie, den Geheimdienst und Regierungsmitglieder erlitten – weil sie die Ermittlungen in der Staatsaffäre um die Terroristen in Uniform wieder aufnahmen und mit Hausdurchsuchungen bei der Polizei, beim Geheimdienst und im Staatsministerium die öffentliche und die politische Macht herausforderten. Der CSV-Staat funktioniert nur so lange reibungslos, wie er die Mittel dazu hat, Rivalitäten und Interessenkonflikte im Staatsapparat zu beschwichtigen und seine wichtigsten Leute einzubinden.
josée hansen
Catégories: Affaire « Bommeleeër », Affaire Srel
Édition: 14.06.2013