Wohnungsbaupolitik gemeinsam mit den Gemeinden? „Da bin ich insgesamt positiv“, sagt Minister Marc Hansen (DP). „Auch kleine Gemeinden sagen: Wir müssen!“ Und er erinnert sich, wie er Anfang 2016 über Land tourte, Schöffenräte und Beamte aus kommunalen Verwaltungen traf. „Dabei kam viel Positives heraus. Sind nach den Gemeindewahlen die neuen Schöffenräte aufgestellt, wiederhole ich die Tour Anfang 2018.“
Dabei hätte Marc Hansen durchaus Grund, mit den Gemeinden unzufrieden zu sein. Vor drei Wochen übergab er dem parlamentarischen Wohnungsbau-Ausschuss ein politisches „Synthesedokument“. Es zählt unter anderem die Instrumente zur Ankurbelung des Wohnungsbaus auf und inwiefern die Gemeinden sie nutzen. Die meisten Instrumente stehen in dem 2008 verabschiedeten Pacte logement-Gesetz. Durch das Gesetz sollten Staat und Gemeinden in einer gemeinsamen „nationalen Anstrengung“ das Wohnungsangebot steigern und die Grundstückspreise senken. Aber viele der 105 Gemeinden nutzen die Instrumente nicht (siehe: „Laut Pacte logement“).
Bis Mitte September hatten nur zehn von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht und erwarben Bauland, das den Besitzer wechseln sollte. Acht Gemeinden hatten eine Taxe auf leerstehende Wohnungen beziehungsweise ungenutztes Bauland eingeführt. In zwölf liegt der Grundsteuerhebesatz B6 auf Wohnungen bei 801 bis 1 500 Prozent. Enteignungen im allgemeinen Interesse zur Durchsetzung kommunaler Flächenplanungen werden laut dem Synthesedokument „nicht täglich“ vorgenommen. Ein kommunales Baugebot, falls Bauland nicht bebaut wird, wurde „noch nie“ verhängt. „Grundstücksreserven“ zu bilden, indem in einer Gemeinde eine Zone zur Grundstücksreservezone erklärt, dies durch ministeriellen Erlass bestätigt wird, die betreffenden Terrains dann erworben oder enteignet werden, hat bisher nur der Fonds du Logement drei Mal versucht. Er darf das neben den Gemeinden tun. Auf ein remembrement urbain zur Gewinnung zusammenhängender Parzellen wurde bisher „sehr wenig“ zurückgegriffen.
Bei weitem nicht in jeder Gemeinde, fährt der Bericht fort, wurden oder werden Bauvorhaben realisiert, die so groß sind, dass dabei anteilig „erschwinglicher Wohnraum“ geschaffen werden muss (siehe Karte). Öffentlichen Wohnraum in Erbpacht vergeben Gemeinden erst „seit kurzem“. Staatliche Beihilfen zum Bau „erschwinglicher Wohnungen“ für den Verkauf oder die Vermietung und Subventionen zum Erwerb von Bauland dafür nahmen zwischen 2011 und 2016 nur 56 Gemeinden in Anspruch. Überdies sank in den Jahren 2015 und 2016 der „Output“ der Gemeinden im Rahmen dieser Projekte, nachdem er bis 2014 ständig zugenommen hatte: Damals lag er bei 2 273 Wohneinheiten, 2015 bei 2 126 und 2016 bei 2 114.
Und dann wäre da noch das „Baulückenprogramm“, das der Wohnungsbauminister 2015 ausgerufen hatte. Damit sollen sich „zügig“ 957 Hektar Bauland mobilisieren lassen, die nach Erhebungen des Forschungsinstituts Liser schnell bebaubar wären. Weil nur sieben Prozent davon oder 62 Hektar in öffentlichem Besitz sind, ist einer Kartografie, die über das Geoportail zugänglich ist, der genaue Standort der Baulücken zu entnehmen. Die Gemeinden sollen, so der Plan, den Kontakt mit den Privatbesitzern suchen und sie zur Bebauung „sensibilisieren“. Zuvor aber ist es nötig, dass die in der Kartografie ausgewiesenen Baulücken von den Gemeinden „validiert“ werden. Nur 30 haben das bisher getan. Und „trotz mehrfacher Ermahnung“ seitens des Ministeriums hat noch keine Gemeinde ein „Feedback“ über den Verlauf der Gespräche mit den Grundstücksbesitzern und über ihre Sensibilisierungsanstrengungen übermittelt.
„Wenn die Gemeinden nicht mitziehen, hat das Baulückenprogramm es natürlich schwer“, sagt der Wohnungsbauminister lakonisch. Das Ministerium habe die Gemeindeverantwortlichen mit Konferenzen geschult und ihnen Experten vermittelt. Aber dann spielt Marc Hansen die Bedeutung des Baulückenprogramms herunter: Es sei „nur ein Instrument“. Es als Projekt aufzufassen, das durchgezogen werde, hieße es „falsch zu verstehen“.
Das ist eine ziemlich erstaunliche Erklärung, denn das Baulückenprogramm war vor zwei Jahren als großer Wurf angekündigt worden. Ende 2014 hatte die Regierung die noch unter CSV-Regie ausgearbeiteten vier Plans sectoriels zur Landesplanung wegen allerhand verfassungsrechtlicher Bedenken zurückziehen müssen, darunter auch den Plan sectoriel logement. Er sah insbesondere vor, mit 25 „projets d’envergure“ auf der grünen Wiese massiv neuen Wohnraum zu schaffen. Die Grundstücke dafür befanden sich entweder schon in öffentlichem Besitz oder sollten durch den Staat, die Gemeinden oder die beiden öffentlichen Bauträger Fonds du Logement und Société nationale des habitations à bon marché (SNHBM) erworben werden können. Die DP-LSAP-Grüne-Regierung entschied, „die meisten“ Großvorhaben „fallenzulassen“, weil so viele Erweiterungen der kommunalen Bauperimeter vor allem den Grünen, aber auch der DP zu weit gingen. „In erster Linie“ sollten deshalb Baulücken geschlossen werden. Aber nur Déi Gréng konnten sich vorstellen, das viele Lückenland in Privatbesitz über das „Vorkaufsrecht für die öffentliche Hand oder Enteignungen im allgemeinen Interesse“ zu mobilisieren, wie Landesplanungsminister François Bausch erklärte (d’Land, 27.02.2015). DP und LSAP waren dagegen, die wichtigste Oppositionspartei ebenfalls. So wurde die Idee geboren, die Baulückenbesitzer zu „sensibilisieren“. Und damit die Gemeinden zu betrauen.
Dass dies nun Probleme zu bereiten scheint, ist nur eine Wiederholung des schon jahrzehntelangen wohnungsbaupolitischen Pingpong-Spiels zwischen nationaler und kommunaler Ebene. Wenn Bauland sich überwiegend in Privathand befindet, stößt Wohnungsbaupolitik schnell an Besitzerinteressen. Das war auch im Oktober 2008 so, als das Pacte logement-Gesetz verabschiedet wurde, um acht Monate vor den Kammerwahlen 2009 die Kritiken an der Wohnungsbaupolitik der CSV zum Schweigen zu bringen. Dass der Besteckkasten aus Zwangsinstrumenten – vom Vorkaufsrecht bis hin zu den Leerstandstaxen – tatsächlich breite Anwendung finden würde, glaubte damals niemand wirklich. Denn wieso sollten sich Kommunalpolitiker trauen, ihren Wählern etwas zuzumuten, wovor die große Politik auf Landesebene zurückgeschreckt war und die neuen Instrumente lieber den Gemeinden als politische Option übergab?
Deshalb verwundert es nicht, dass die Courage der Gemeinden nicht weit reicht. Und dass zum Beispiel jene, die eine Leerstands- oder eine Brachlandtaxe eingeführt haben, froh sind, wenn sie mit den Wohnungs- und Grundbesitzern ins Gespräch kommen, die ihre Wohnung doch vermieten und die Taxe nie eingetrieben werden muss, wie etwa Diekirch (d’Land, 15.04.2016). Oder dass die Bürgermeister von Roeser und Winseler, den beiden Gemeinden, die sich als letzte eine solche Taxe gegeben haben, vermutlich wegen des Gemeindewahlkampfs die Anfrage, wie die Taxe bei ihnen vor Ort funktioniert, unbeantwortet lassen. Oder dass in Esch/Alzette, der mit Abstand größten „Taxen-Gemeinde“, erst ab Anfang kommenden Jahres Taxenbescheide verschickt werden, weil der Wohnungsleerstand noch nicht überall erfasst ist und noch endgültig geklärt werden muss, wann von „Leerstand“ die Rede sein kann. „Wir dürfen juristisch nicht angreifbar sein“, sagt die Escher Bürgermeisterin Vera Spautz (LSAP). Das Beispiel der Stadt Luxemburg, wo noch unter Bürgermeister Paul Helminger die Zweckentfremdung von Wohnraum für Gewerbezwecke erhoben wurde und der Verwaltungsgerichtshof die Nutzung dieser Daten untersagte, habe „gezeigt, wie schnell der kleinste Fehler sich auswirken kann“, so Vera Spautz.
Die Frage ist nur, ob Luxemburg es sich weiter leisten kann, dass die große Politik heikle Entscheidungen den Gemeinden überlässt und die in den Schöffenräten Verantwortlichen nicht selten auch Abgeordnete sind und im Parlament Entscheidungen mittragen, von denen sie wissen, dass sie die in ihrer Gemeinde nie anwenden würden. Wahrscheinlich kann Luxemburg sich das schon lange nicht mehr leisten. Denn Wirtschaft und Einwohnerzahl wachsen so stark, dass einerseits das Wohnungsangebot hinten und vorne nicht reicht und die Preise für Kauf und Miete immer weiter steigen, andererseits gerade jetzt, in Niedrigzinszeiten, die Investition „in Stein“ das Einfachste und Lukrativste ist, was jemand, der genug Geld hat, tun kann. In einem Gespräch mit dem Radio 100,7 berichtete Gilles Hempel, der Geschäftsführer der Sozial-Vermietungsagentur AIS, vor zwei Wochen, es gebe Banken, die ihren Kunden nahelegen, in eine Mietwohnung zu investieren und sie einfach leer stehen zu lassen.
Aber gleichzeitig kann nicht nur das Angebot an Wohnungen die Nachfrage noch immer nicht decken – weil das jahrzehntelang so war, sammelte sich bis Ende 2014 ein kumuliertes Defizit von 32 087 Wohneinheiten an, wie das Observatoire de l’habitat dieses Jahr schrieb. Wie die Leute stattdessen unterkommen, ist nicht bekannt, aber bekannt ist, dass die letzte Wohnungsbaubedarfsprognose, die das Statistikinstitut Statec 2011 anstellte, den Bedarf weit unterschätzte. Sie ging davon aus, die Einwohnerzahl werde im Jahr 2030 bei 646 740 liegen. Am 1. Januar 2017 aber war sie schon bei 590 667 angelangt und innerhalb von zwölf Monaten um 14 418 oder ungefähr ein Mal die Bevölkerung Hesperingens gewachsen. Noch dieses Jahr will das Statec seine Bedarfsprognose aktualisieren.
So gesehen, ist es einsichtig, dass der Wohnungsbauminister mit seinem Synthesebericht und den nicht gerade erfreulichen Bilanzen darin eine Debatte anstoßen will, die einen „nationalen, parteiübergreifenden Konsens“ schaffen soll. Voraussichtlich im Januar soll sie stattfinden. Marc Hansen hat den Vorstoß aufgriffen, den LSAP-Fraktionspräsident Alex Bodry im Frühjahr machte, als er meinte, die Enteignung im öffentlichen Interesse müsse als „letztes Mittel“ erhalten bleiben und auch angewandt werden können. Worauf CSV-Fraktionspräsident Claude Wiseler die LSAP in einem Brief einlud, über „politisch delikate Punkte“ zu sprechen. Als Marc Hansen das erfuhr, riss er die Initiative an sich und forderte alle Fraktionen und Gruppen im Parlament zur Debatte auf. Zur Vorbereitung stehen auf den letzten zwei Seiten des Berichts 14 Fragen an die Fraktionen: Ob sie für oder gegen „verdichteteres“ Bauen, für oder gegen eine Ausweitung des kommunalen Bauperimeters, für oder gegen eine Mietpreisbremse, für oder gegen Enteignungen im öffentlichen Interesse und unter welchen Bedingungen sind, und so fort. „Im Parlament werfen manche Abgeordnete Enteignungen in den Raum, andere gedeckelte Mieten, aber dann tut sich nichts. Ich will, dass sich etwas tut“, erklärt Marc Hansen.
Allerdings ist es alles andere als sicher, dass seine eigene Partei wollen könnte, dass sich viel tut. Das Pacte logement-Gesetz hielt die DP 2008, wie die Unternehmerverbände und die Handelskammer, für eine verfassungswidrige Beschränkung der Gemeindeautonomie. Als Maggy Nagel noch Wohnungsbauministerin war, rechnete sie den Gemeinden im Februar 2014 vor, innerhalb von fünf Jahren lediglich für 7 300 Wohneinheiten gesorgt, aber 203,5 Millio-nen Euro kassiert zu haben. Hansens Erklärungen von der „insgesamt positiven Zusammenarbeit“ mit den Gemeinden sind ein anderer Diskurs als der seiner Vorgängerin – aber auch er fragt sich, wie es sein kann, dass nur rund die Hälfte aller Gemeinden die staatlichen Beihilfenprogramme nutzt, die je nach Wohnungstyp bis zu hundert Prozent betragen können. Die DP-Kammerfraktion wiederum scheint, geht es um Wohnungsbau, vor allem auf weitere Verkürzung der Genehmigungsprozeduren zu setzen. Fraktionspräsident Eugène Berger fragte sich auf einer Pressekonferenz vergangene Woche, „ob wir wirklich jede Blume und jede Fledermaus dreimal zählen müssen, ehe wir eine Baugenehmigung erteilen“.
Um herauszufinden, ob diese Haltung reicht als Programmatik im Angesicht der Wahlen nächstes Jahr, könnte die Konsultationsdebatte natürlich hilfreich sein. Der nationale Konsens könnte dann eine Kritik an der DP-Wohnungsbaupolitik zerstreuen, wie der Pacte logement vor neun Jahren den an der CSV. Marc Lies, der wohnungsbaupolitische Sprecher der CSV-Fraktion, findet die „Herangehensweise“ des Wohnungsbauministers, debattieren zu wollen, „ein bisschen komisch“ und vermutet, damit solle „das politische Risiko im Wohnungbau gleichmäßig über dem Parlament verteilt“ werden. Dabei sei es eigentlich an der Regierung, „Ideen zu liefern“.
Aber es besteht auch die Möglichkeit, dass weder in der großen Debatte noch danach viel geschieht. Dass Maßnahmen zur Mobilisierung von Bauland und Leerstand oder zur Begrenzung von Mieten, was Besitzern weh täte, kaum zu erwarten sind – darauf deutete zum Beispiel hin, wie sich in einer Diskussionsrunde im Radio 100,7 Vertreter aller Parteien äußerten. Die ihnen provokatorisch gestellte Frage, ob sie zum einen eine Deckelung der Mieten befürworteten, zum anderen eine Zwangsverpachtung nicht genutzten Baulands, beantworteten die Vertreter von CSV, DP und ADR mit einem klaren Nein, der von déi Lénk mit Ja und die von LSAP und Grünen mit vielen Worten, die man eher mit Nein als Ja verstehen konnte.
Gut möglich, dass die Mehrheit der Abgeordneten am Ende darin übereinstimmt, dass endlich die lächerlich niedrige kommunale Grundsteuer reformiert gehöre, was seit 2003 Konsens ist, aber seither noch nicht ernsthaft versucht wurde. Die von einigen Gemeinden seit dem Inkrafttreten des Pacte logement angehobenen lokalen Hebesätze führen selbst dann nicht zu deutlichen Belastungen, wenn sie 1 500 Prozent auf Wohnraum betragen; da müssten schon Sätze von 10 000 Prozent oder mehr her. Innenminister Dan Kersch (LSAP) hat anscheinend eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die konsequenter auf die Grundsteuerreform hinarbeitet als die unter seinem CSV-Vorgänger Jean-Marie Halsdorf. Die Reform wäre aber derart kompliziert, dass womöglich erst die übernächste Regierung sie vornehmen könnte.
Laut Pacte logement
Das im Oktober 2008 verabschiedete Gesetz über den Pacte logement schuf für die Gemeinden sowie den Fonds du Logement unter anderem ein Vorkaufsrecht auf Bauland ein. Davon Gebrauch machten bisher: Ulflingen, Colmar-Berg, Useldingen, Saeul, Luxemburg-Stadt, Strassen, Sanem, Betzdorf, Schüttringen und Biwer. Der Fonds du Logement erwarb per Vorkaufsrecht Bauland in Mamer und in Bettemburg; in Mersch, Beaufort und Putscheid dauern die Prozeduren dazu noch an.
Das Gesetz gestattet den Gemeinden aucheine kommunale Taxe auf leer stehende Wohnungen und ungenutztes Bauland einzuführen. Eine Taxe auf Leerstand und brachliegendes Bauland besteht in Esch/Alzette und in Roeser. Eine Taxe nur auf leerstehende Wohnungen gilt in Winseler, Esch/Sûre, Redingen, Beckerich, Diekirch und Bettendorf.
Ein lokaler Grundsteuerhebesatz zwischen 801 und 1 500 Prozent auf Wohnraum (B6) wurde in Kiischpelt, Boulaide, Esch/Sûre, Schieren, Echternach, Betzdorf, Beckerich, Bad Mondorf, Roeser, Hesperingen, Bettemburg und Rümelingen eingeführt.