Besuchern, die von auswärts kommen, teilt das Laboratoire national de santé ein wenig verschämt mit: Am besten reise man im Auto an. Eine Anbindung an den öffentlichen Transport existiere leider nicht, man sei mit der Gemeinde Düdelingen aber im Gespräch darüber. Und wer den Zug bis Burange nehme, könne von da aus in 20 Minuten Fußmarsch zum Labor gelangen.
In Wirklichkeit dauert das nicht so lange, aber die Verkehrslage des LNS steht durchaus emblematisch für seine Situation überhaupt. Schon vor 20 Jahren dachte LSAP-Gesundheitsminister Johny Lahure darüber nach, das Staatslabo von einer Staatsverwaltung in eine öffentliche Einrichtung privaten Rechts zu verwandeln, aber erst 2012 geschah das. Ein Neubau des LNS war ebenfalls immer wieder im Gespräch – bald auf der Stäreplaz in Luxemburg-Stadt, bald auf der Cloche d’or, schließlich auf dem Kirchberg. Bis die CSV/DP-Regierung ihn nach der Jahrtausendwende anstelle des nationalen Rehazenter nach Düdelingen zu verlegen und dieses auf dem Kirchberg zu bauen beschloss.
So viel Hin und Her und so viel Politik um das LNS es in der Vergangenheit gab, so wenig geklärt ist heute, wozu das zum Établissement public reformierte Labor mit seinen 238 Mitarbeitern genau dienen soll. Der letzte Verwaltungsrat, der dieses Frühjahr aus dem Amt schied und der erste war nach der Statutenreform des LNS, soll aber immerhin die Vorarbeit geleistet haben für eine „Strategie“. Sie soll noch dieses Jahr fertig formuliert werden.
Höchste Zeit dafür ist es nicht nur wegen der zwei Jahrzehnte langen Geschichte der LNS-Reformversuche. Und weil es immerhin schon zwölf Jahre her ist, seitdem die ersten 88 Millionen Euro für den LNS-Neubau in Düdelingen genehmigt wurden und vor sechs Jahren weitere 45 Millionen für ein zweites Gebäude, das 2017 bezugsfertig sein soll. Sondern auch um der Mitarbeiter willen. Wer sich unter ihnen umhört, erfährt viel Begeisterung über den LNS-Neubau im Düdelinger Frankelach, die wunderbaren Arbeitsbedingungen im Vergleich zu den alten Anlagen wie denen in Verlorenkost, Stolz auf die brandneue Abteilung für Gerichtsmedizin und darauf, wie es seit dem Umzug ab 2013 gelang, Teams, die vorher auf neun Standorten verstreut waren, zusammenzuführen. Auch Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) ist voll des Lobes über die neue Infrastruktur. Und noch mehr über das Personal – so dass sich das anhört, als spreche das schlechte Gewissen der Politik.
Denn eigenartig ist es, dass ausgerechnet für das einzige „Gesundheitslabor“ im Lande die „Missionen“ unklar sein sollen. Immerhin gehören zum LNS offiziell vier Abteilungen und 2014 sind, schätzt man im Gesundheitsministerium, an rund 200 000 Testobjekten insgesamt etwa eine Million Analysen erfolgt. Rein arithmetisch wären das elfeinhalb pro LNS-Mitarbeiter und Kalendartag und das klingt nicht nach wenig. So dass die 26 Millionen Euro, die der Staatshaushalt vergangenes Jahr für das LNS vorsah, ja vielleicht ähnlich gut investiert waren wie die 28 Millionen dieses Jahr es sein werden. Und sich die Frage stellt, wo denn das Problem liegt und weshalb aus dem LNS-Gesetz, in dem ab 1981 detailliert geschrieben stand, was das Staatslabo zu tun habe, mit der Gesetzesänderung von 2013 diese Liste gestrichen wurde, um dem LNS „Flexibilität“ einzuräumen.
Flexibilität für das LNS ist aber nur ein anderer Ausdruck dafür, dass Luxemburg, alle Kapazitäten zusammengenommen, „zu viel Labor“ hat, und noch nicht klar ist, was damit geschehen soll. 2006 rechnete eine Carte sanitaire über die Spitäler vor, dass deren hauseigene Labors ohne weiteres in der Lage wären, auch die gesamte ambulante Versorgung zu übernehmen. Schon damals aber wurde der private Laborsektor immer größer, der wenig später von sich behaupten sollte, was die Kliniklabors können, könne er auch und obendrein schneller und für weniger Geld. Das LNS stand zwischen den Fronten: Einerseits mit Routine-Analysen, die die Privatlabors gerne für sich haben wollten, andererseits mit Spezialanalysen, die so aufwändig sind, dass sie viel Expertise verlangen und so viel Zeit kosten, dass sie nie rentabel sein könnten und sich nur auf Staatskosten erledigen lassen.
Nun aber beginnen Privatlabors auch nach dem zu verlangen, was bisher zum Kerngeschäft des LNS gehörte: Der Gesundheitsministerin liegen Anträge vor, für Analysen an Gewebeproben auch Privatlabors zuzulassen. Geschähe das, bliebe dem LNS vor allem, die Testobjekte vorzubereiten – was Zeit kostet –, die anschließend in einem Automaten analysiert würden – was schnell geht. Die Gesundheitsministerin erklärt, diesen Schritt zu gehen, sei sie nicht bereit. Denn das hieße, die „Qualitätskontrolle aus den Händen zu geben“; außerdem könne das neue nationale Krebsregister, das Daten über Tumorpatienten sammelt, dann lückenhaft werden.
Ziemlich überflüssig wären dann womöglich auch die jüngsten Bemühungen am LNS um bessere Tumoranalysen auf Gewebeproben: Weil es an Pathologen fehlte, gab es bei diesen Tests immer wieder Zeitverzug. Und kam es dazu, gab es sofort schlechte Presse, denn immer stand ein Oppositionspolitiker bereit, der mit einer parlamentarischen Anfrage für Öffentlichkeit sorgte.
Pathologen, eine europaweit rare Facharztgattung, nicht zum Staatsbeamten-Anfangsgehalt von 6 000 Euro einstellen zu müssen, sondern mehr bieten zu können, war der Hauptgrund für die Umwandlung des Staatslabo in eine öffentliche Einrichtung. Mittlerweile hat das LNS von 8,25 Vollzeit-Pathologenstellen auf zwölf aufgestockt, überdies einen namhaften Pathologieprofessor als Chef der Medizinischen Abteilung gewinnen können und sucht noch bis zu zwei weitere Pathologen. Die neue LNS-Verwaltungsratspräsidentin Simone Niclou, selber Professorin und Krebsforscherin am Luxembourg Institute of Health, schätzt, während die Abteilung für Anatomo-Pathologie früher zu 50 Prozent da war, wo sie sein sollte, sei sie es heute zu wenigstens 80 Prozent. Was nicht nur heißen soll, dass es noch immer zu Zeitverzug kommen kann, sondern auch, dass zu klären bleibt, ob das LNS besonders spezielle Krebstests, die es derzeit noch im Ausland erledigen lässt, selber vornehmen könnte. Was voraussetzen würde, Spezialisten zu rekrutieren; vielleicht gemeinsam mit einer Forschungseinrichtung.
Die Krebsanalysen-Frage ist aber nur ein Beispiel für die komplexen und Verhältnisse im Laborwesen. Zwei Parallelwelten aus Krankenhaus- und Privatlabors konnten entstehen, weil bis Anfang der Neunzigerjahre die Kliniken von den Krankenkassen jede einzelne Laborleistung großzügig bezahlt erhielten, um damit anderweitige Defizite zu decken. Als die Kliniken ab 1995 jede für sich ein Budget zuerkannt bekamen, blieben die guten Tarife allein den Privatlabors erhalten. Sie nutzten das viele Geld, um in automatisierte Analysen zu investieren und diese Investitionen durch Netze von Blutentnahmezentren zu rentabilisieren. Vor allem Ketterthill zeigte, wie das geht. Gleichzeitig erlegte die Krankenkasse den Spitälern ein Investitionsverbot für die Kliniklabors auf – so dass heute hochmoderne Privatlabors ziemlich manufakturähnlichen Kliniklabors gegenüberstehen. Und je weiter der technische Forschritt geht, desto mehr Gelegenheit erhalten gut ausgerüstete Privatlabors, auch sehr spezielle Leistungen anzubieten. Und sei es mit einem Partner; der EU-Labormarkt ist schließlich ziemlich frei. Weshalb eigentlich nicht nur eine Strategie für das LNS her muss, sondern eine für alle Labors. LNS-Mitarbeiter erzählen nicht ohne Frust, dass nur je ein Auto ihres Hauses im Norden und im Süden des Landes sowie in der Hauptstadt bei den Krankenhäusern Proben einsammeln fährt, aber „viel mehr“ Autos der Privatlabors unterwegs seien.
Die Gesundheitsministerin hat sich vorgenommen, die Laborfrage insgesamt zu klären. Mit einer erneuten LNS-Gesetzesänderung, die nun wieder „Missionen“ definieren und festschreiben würde, auf welchen Gebieten das LNS – und nur das LNS – die „Referenz“ für Luxemburg sein soll. Das ist nach dem vielen Geld für den Düdelinger Neubau ein längst überfälliger Schritt.
Schwieriger zu haben ist wahrscheinlich, was die Regierung sich in ihrem Koalitionsvertrag wünscht: dass das LNS beteiligt wird an einer „Laborplattform“ der Spitäler. Die LNS-Präsidentin nennt das „strategisch sehr wichtig“.
Angedacht ist diese Plattform schon seit Jahren, aber ob sie tatsächlich entstehen wird und wann, ist ungewiss. Theoretisch würden die Kliniken dann nur für „dringende Fälle“ eigene Laborkapazitäten behalten und den Rest „mutualisieren“. Das Problem ist nur, dass zwischen den Spitälern keine Einigkeit besteht, was „dringende Fälle“ sind; dem Vernehmen nach wollen manche Kliniken 80 Prozent ihrer Laborleistung behalten. Ein anderes Problem stellt sich dadurch, dass von der CNS ein solches Laborkonstrukt – ob mit oder ohne LNS im Bunde – wie ein Privatlabor behandelt und auch so bezahlt würde. Was womöglich nicht ausreicht, um das Laborpersonal der Kliniken weiterzubeschäftigen. Dass es durch die Laborplattform zu keinen Entlassungen kommen werde, hat sich der OGBL schon vor einem Jahr von der Gesundheitsministerin in die Hand versprechen lassen und dazu steht Lydia Mutsch nach wie vor.
So dass sich am Ende herausstellen könnte, dass eine Legislaturperiode nicht ausreicht für einen Labor-Reformversuch und dann nur zu hoffen bliebe, dass die nächste Regierung die Dinge nicht völlig anders sieht als ihre Vorgängerin. Sonst würde das LNS tatsächlich zu einer unendlichen Geschichte, und politische Manövriermasse war es immerhin in der Vergangenheit schon. Das sollte sich in der Zukunft nicht mehr wiederholen.