Kino

Der tote Punkt des Kinos?

d'Lëtzebuerger Land vom 03.05.2019

Nach Avengers: Infinity War (2018) kommt nun die Fortsetzung in die Kinos, und unseren Superhelden steht der große alles entscheidende Endkampf nochmals bevor. Die schlimmen Ereignisse am Ende des letzten Films zwingen die verbliebenen Avengers dazu, sich auf eine Mission gegen den Bösewicht Thanos zu begeben, die natürlich – wie kann es auch anders sein – gefährlicher ist als alle Einsätze zuvor.

Die Story hier weiter auszuführen, wäre sinnlos, da sie an Absurdität und Einfallslosigkeit kaum zu überbieten ist. Die Charakterzeichnungen sind zu eindimensional und überzeichnet, als dass sie tatsächlich für etwas stehen könnten. Zudem lässt der Film wenig Raum zur Entwicklung, und das bei einer Laufzeit von 181 Minuten. Wenn mehr als zehn Superhelden, die allesamt als Hauptfiguren auftreten, in einem Film zusammenkommen, dann ist die sinnliche Reizüberflutung (vor allem durch die aufwändige, sehr gelungene CGI-Technik) vorprogrammiert. Auch die ständigen Pointen sind wenig humorvoll und mitunter nur noch nervtötend. All dies funktioniert möglicherweise im Comic-Heft, für die Leinwand indes nicht, kurz: End Game wirkt rein filmisch nicht gelungen, wenngleich der Streifen kommerziell immens erfolgreich sein wird.

Warum aber sind diese Marvel-Superheldenfilme – gerade aufgrund ihres Erfolgs und jenseits dieser offensichtlichen Schwächen – ein so unsägliches Problem für das Kino?

Wer die Marvel-Reihe kennt, wird unschwer feststellen, dass das Interesse längst nicht mehr auf der Produktion eines einzelnen, für sich allein stehenden Films liegt, sondern auf dem Franchise, das er nach sich ziehen kann. Will man der Frage von Film als Kunst nachgehen, gerät man hier freilich sehr schnell in den Problemkreis. In diesem Kreis bewegen sich fast alle Verfilmungen aus dem Marvel-Universum: Captain America, Iron Man, Thor oder nun Avengers: End Game wirken alle derart formelhaft und schematisch, dass man zwingenderweise von Komplexitätsreduktion sprechen muss. Zudem ist nur ganz bedingt ein markanter individueller Stil eines Regisseurs erkennbar. Kaum verwunderlich, stünde dieser doch im Widerstreit mit dem deklarierten Einheitslook des Filmuniversums. Ebenso wie die Geschichten und Figuren dieses Universums auswechselbar sind, scheinen auch die Regisseure austauschbar zu sein. Man muss nicht mit namhaften Filmemachern werben, das Spektakel allein soll im Vordergrund stehen. Popcorn-Kino für Fans also, große Filmkunst ist und will das nicht sein.

Aufgrund solcher Produktionen muss jedoch die Befürchtung bestehen bleiben, dass das Kino zu einer Art Fastfood-Kette verkommt. Es wirkt beinahe so, werde mit einem immer neuen Burger zu werben versucht, aber schlussendlich schmeckt doch alles gleich. Natürlich darf Kino unterhaltend sein, und das wäre auch in Bezug auf die Filme dieser erweiterten Comic-Universen kaum ein Problem, wenn sie nicht so unverhohlen kommerziell und ästhetisch anspruchslos wären: Marvel degradiert das Kino regelrecht zu einem Ort, wo hohles Spektakel höher eingestuft wird als gute Unterhaltung. Zu befürchten ist, dass diese Filme sich mehr und mehr zu einem schneeballartigen Phänomen entwickeln und das amerikanische Kino nicht nur überrollen, sondern auch ambitionierte, anspruchsvollere Projekte abtöten. Natürlich wurde vor nicht allzu langer Zeit versucht, Infinity War einen tieferen Sinn einzuräumen, ja sogar als „Shakespeare-reif“ zu qualifizieren1. Hier auch nur einen derartigen Vergleich zu wagen, griffe bereits zu weit. Der Film ist vollkommen inhaltsleer und scheint doch im exklusiven Zirkel der Marvel-Anhänger sein Publikum zu finden. Von shakespearescher Dramatik oder Sprachkunst kann jedoch nicht ernsthaft die Rede sein.

Durch den Erfolg der Marvel-Filme hat das serielle Erzählen längst Einzug ins Kino gefunden und lässt es mehr und mehr zu einem Ort verkommen, an dem Filme wie Seifenopern gehandelt werden, man sich der Radikalität eines geschlossenen Kunstwerks allerdings nicht mehr hingeben möchte.

End Game? Der Titel ist doppeldeutig: Ist das kommerzielle Blockbuster-Kino mit dem Erfolg dieses Films hiermit am Ende angelangt oder darf man nun doch hoffen, dass endlich Schluss ist mit dem nun bereits zehn Jahre anhaltenden Marvel-Überfluss? Wenn aber Captain America im Film meint, es müsse weitergehen, und Iron Man hinzufügt, für den Superhelden sei das Ende nur Teil des Weges, dann lässt das Unheilvolles erahnen.

1 Vgl: https://www.rtl.lu/tele/review/a/1283586.html TC: 1:52-2:08.

Marc Trappendreher
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