Gemeinsame Bankenaufsicht

Matrix-Management

d'Lëtzebuerger Land vom 20.06.2014

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Noch diesen Monat sollen die Bilanzchecks der 130 wichtigsten Banken der Eurozone abgeschlossen werden, bevor im Herbst der Stresstest erfolgt und die Europäische Zentralbank (EZB) am 4. November die Bankenaufsicht in der Währungszone übernimmt. Viel Arbeit war es; allein um sieben Luxemburger Banken zu prüfen – BCEE, Bil, Clearstream Banking, KBL European Private Bankers, RBC Investor Services Bank, State Street Luxembourg und UBS – waren 25 Mitarbeiter der Finanzaufsicht CSSF und um die 100 externe Buchprüfer über mehrere Monate im Einsatz.

Bisher, sagt Claude Simon, oberster Bankenaufseher der CSSF, habe die Übung nichts zutage gefördert, was man nicht erwartet habe. „Es gab keine böse Überraschungen“, fügt Jean Guill, Direktor der CSSF, hinzu. Mehr wollen sie dazu nicht sagen. Die EZB ist sehr darauf bedacht, Informationslecks vorzubeugen auch gegenüber den beteiligten Banken, um zu verhindern, dass börsennotierte Konzerne ihre Anleger informieren müssen.

Seit Anfang des Jahres fährt Claude Simon zweimal monatlich nach Frankfurt, um an den Sitzungen des Supervisory board teilzunehmen. Der Supervisory board, das Aufsichtsgremium, ist wohl das wichtigste Entscheidungsorgan in der vielschichtigen Struktur der gemeinsamen Bankenaufsicht SSM (Single supervisory mechanism), obwohl es in der Hierarchie dem EZB-Gouverneursrat untergeordnet ist. In der Praxis soll die Kommandolinie wie folgt verlaufen: Das Steuerungskomitee – drei EZB-Leute, fünf Vertreter von Mitgliedstaaten – bereitet die Sitzungen des Aufsichtsgremiums vor, dem die 18 Euroländer und sechs EZB-Vertreter angehören. In Aufsichtsfragen hat jedes Mitglied eine Stimme. Bei Abstimmungen über neue Regulierungen wird nach dem Prinzip der qualifizierten Mehrheit entschieden. Das Aufsichtsgremium legt dem Gouverneursrat Beschlussentwürfe vor; gibt es keine Einwände, gelten sie als angenommen. Sind die EZB-Gouverneure nicht einverstanden, gehen die Entwürfe zurück ans Aufsichtsgremium. Oder – wenn es Differenzen mit den nationalen Aufsichtsbehörden gibt – der Schlichtungsausschuss wird eingeschaltet. Gibt es Protest von außen gegen die Aufsichtsbeschlüsse des SSM, kann das Gremium für administrative Prüfung eingeschaltet werden, das sich aus „Elder statesmen“ aus der Welt der Finanzaufsicht zusammensetzt. Ab kommendem April wird Luxemburg ein Jahr lang dem Steuerungskomitee angehören, das die Sitzungen des Aufsichtsgremiums vorbereitet.

Rund 1 000 Mitarbeiter rekrutiert die EZB bis November für den SSM. Sie werden in vier Generaldirektionen arbeiten, von denen die ersten drei für die mikroprudentielle Aufsicht der Banken zuständig sind und die Mitarbeiter der vierten DG, Juristen, Qualitätsprüfer, IT-Spezialisten, horizontale Aufgaben übernehmen. Der SSM unterscheidet zwischen drei Arten von Banken, je nach Größe und Gewicht der Institute. Die DG I beaufsichtigt die ganz großen Bankkonzerne, die im Slang „significant“ heißen. Die DG II kümmert sich um die etwas kleineren aber immer noch wichtigen Banken, die „less significant“ genannt werden. Während die „bedeutenden“ und „weniger bedeutenden“ Banken der direkten Kontrolle des SSM unterliegen, ist die DG III für die kleineren Institute zuständig, die nur indirekt, via nationale Aufsichtsbehörden, beaufsichtigt werden.

In der Praxis ergibt sich daraus in Luxemburg folgende Situation: Die sieben Banken, deren Bilanzen durchleuchtet wurden, werden ab November, das gilt als relativ sicher, direkt vom SSM beaufsichtigt. Von den 150 in Luxemburg aktiven Banken werden insgesamt 70 unter direkte EZB-Kontrolle gestellt, dabei identifiziert Claude Simon rund 40 Bankgruppen. Die EZB übernimmt bei diesen Bankgruppen nicht nur die direkte Kontrolle auf der Konsolidierungsebene der Mutterhäuser, unterstreicht Simon, sondern auch auf der Ebene der Filialen. So bleibt die CSSF für die Aufsicht von 70 Banken zuständig, die sie nach den Richtlinien des SSM durchzuführen hat. Das heißt nicht, dass sie mit den anderen Banken keinen Kontakt mehr hat. Aber die Weisungen und Anleitungen an die von der CSSF beschäftigten Mitarbeiter für den Umgang mit den „großen“ Banken kommen aus Frankfurt. „Matrix-Management“ nennt das Claude Simon.

Der 4. November wird nicht nur für die Banken, sondern auch für ihre Aufseher eine Art Zeitenwende. Den bedeutenden und weniger bedeutenden Banken wird in Frankfurt ein Koordinator zugeordnet, der nicht aus ihrem Heimatland stammt. „Darauf legt die EZB viel Wert“, erklären Claude Simon und Jean Guill. Der Koordinator steht an der Spitze eines Gemeinsamen Aufsichtsteams (Joint supervisory team, JST), das die Aufsichtsarbeit im Alltag übernimmt und dem Mitarbeiter aus den nationalen Aufsichtbehörden angehören. Die Teams zusammenzusetzen, ist aufgrund der Sprachensituation innerhalb der Eurozone nicht die leichteste Aufgabe. Denn obwohl Englisch offizielle Aufsichtssprache ist, heißt das nicht, dass alle Bankunterlagen, die zur Prüfung herangezogen werden, dies auch sind. Weshalb die mehrsprachigen Mitarbeiter der CSSF in Frankfurt begehrt sind. Dass sie in Teams für deutsche oder österreichische Banken verstärkt zum Einsatz kommen, hält Guill für sehr wahrscheinlich, „weil die Luxemburger außer den Deutschen und den Österreichern die einzigen sind, die Deutsch können“.

So müssen nicht nur die Banken sich darauf einstellen, dass sie neue Aufseher bekommen, auch die Aufseher müssen sich darauf vorbereiten, dass sie andere Banken in anderen Ländern mit kontrollieren werden, die sie bisher nicht kannten. Überhaupt müssen die Aufseher die Banken anderer Länder viel besser kennenlernen. Denn im Aufsichtsgremium stimmen alle Mitglieder gemeinsam über die Banken aller teilnehmenden Länder ab – da muss jeder Bescheid wissen. „Das müssen wir intern natürlich vorbereiten“, sagt Simon. Obwohl die CSSF einen Teil ihrer Verantwortung abgeben muss, nimmt der Arbeitsaufwand eher zu als ab. Deshalb wird die Aufsicht für die Banken auch nicht günstiger. Die CSSF bleibt bei ihren Tarifen, die Kosten für den SSM addieren sich dazu. Die EZB rechnet selbst mit einer Rechnung von 260 Millionen Euro jährlich für die Banken der Eurozone. Demnach werden die direkt vom SSM beaufsichtigten Banken im Schnitt zwischen 0,7 und zwei Millionen Euro, die indirekt beaufsichtigten Häuser durchschnittlich zwischen 2 000 und 7 000 Euro an Frankfurt zahlen müssen.

Die Teams für die Kontrollen vor Ort werden in Zukunft ebenfalls bunt zusammengesetzt werden. Was – je nach Art der Kontrolle und Größe der Bank – für die Mitarbeiter des On-site-Teams der CSSF längere Auslandsaufenthalte nach sich ziehen wird. Dass die CSSF immer mehr Sanktionen und Bußgelder verhängt, liegt auch daran, dass sie in den vergangenen fünf Jahren selbst die Vor-Ort-Kontrollen verstärkt hat. Dabei reichen den Verantwortlichen der CSSF die Sanktionsmöglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen eindeutig nicht aus. „Was sind schon 500 Euro Bußgeld für eine Bank?“, fragt Jean Guill. „Die Bußgelder müssen im Verhältnis zum Gewinn stehen, der durch den Regelverstoß erzielt wurde. Und verschiedene Verstöße müssten meiner Ansicht nach strafrechtlich geahndet werden.“ Er sei kein Fan amerikanischer Größenordnungen, wenn es um Geldstrafen geht, unterstreicht Guill. Aber Luxemburg habe auch im europäischen Vergleich Nachholbedarf. Diese Frage zu klären, wird mit der Umsetzung des SSM und der Eigenkapitalrichtlinie nur noch dringender. Denn sowohl die Richtlinie als auch die SSM-Rahmenregulierung sehen für verschiedene Vergehen neue Strafen vor – die je nachdem vom SSM verhängt würden. Der kann aber gegen einzelne Personen, beispielsweise Bankvorstände oder Aufsichtsratmitglieder, gar nicht vorgehen, weil dazu die juristische Grundlage fehlt.

Dass die Abwicklungsrichtlinie – und die darin vorgesehenen Instrumente zur Rettung, beziehungsweise der Abwicklung von insolventen Banken – erst Monate nach dem Start des SSM in Kraft tritt, finden Guill und Simon nicht problematisch. Denn sollten sich bei den Bilanzchecks oder beim Stresstest neue Kapitallöcher bei den Banken auftun, sagen sie, werden die Banken sechs bis neun Monate Zeit haben, neue Gelder aufzunehmen. „Bis dahin ist alles bereit.“ Was der Aufbau des gemeinsamen Abwicklungsfonds die Luxemburger Banken kosten wird, der über acht Jahre vergemeinschaftet wird, weiß noch niemand, weil die Berechnungsgrundlage für die Gebühren noch nicht endgültig festgelegt ist. Aber es könnte ungefähr noch einmal so viel werden, wie die heimischen Banken in den neuen Einlagensicherungsfonds einzahlen müssen, neben SSM und Abwicklungsregeln das dritte Element der Bankenunion. In den neu aufzubauenden Einlagensicherungsfonds müssten die Banken laut CSSF-Berechnungen in der ersten Phase 400 Millionen Euro einzahlen. Was den Aufsehern zufolge kein allzu großes Problem darstellen dürfte, weil sie die Banken in den vergangenen Jahren dazu angehalten haben, Rückstellungen in ihren Bilanzen zu bilden. Dort stehen nun 700 Millionen Euro bereit, sagen Guill und Simon.

Michèle Sinner
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