Es mögen an diesem Abend annähernd drei Dutzend Zuschauer sein, die sich aus dem Remicher Platzregen in die Caves Saint-Martin begeben, wo ein ungewöhnlicher Theaterabend mit dem Ausschank hauseigener Weine beginnt. Es sind dieselben Witterungsverhältnisse, die das Maskénada-Team bis zuletzt darüber grübeln lassen, ob Max Thommes die Eingangsszene wie geplant im Freien beginnen lassen kann. Die Premiere zu Marion Rothaars Inszenierung Kafkas Cave nach Franz Kafkas Erzählung Der Bau steht auf dem Plan.
Maskénada scheint ein glückliches Händchen dafür zu haben, die Gegebenheiten natürlicher Kulissen dramaturgisch zu nutzen. Auch die Theaterereignisse der Kaz am Sak-Reihe im vergangenen Jahr zeugten davon. In verschiedenen Etappen also bewegt sich der Hauptdarsteller durch die feuchten Kellergewölbe des Weinherstellers, spricht dazu Kafkas posthum veröffentlichte Erzählung, mit einem Publikum anfangs zögerlich, später dicht auf seinen Fersen. Der Ich-Erzähler, ein dachsähnliches Wesen, ist in einen völlig zerschlissenen Mantel, schwere Reitstiefel und eine Fellmütze gekleidet, das Gesicht mit öliger Theaterschminke geschwärzt. Hinter sich her zieht er einen verrosteten Einkaufswagen mit Konservendosen, Weinflaschen, Musikbox, Taschenlampe und einer Antenne samt Fuchsschwanz. Der Dachs fantasiert von Anfang bis Ende über den gierigen, in Paranoia verstiegenen Plan, seinen Bau, seinen Burgplatz, seine festen Mauern bis zur Perfektion zum isolierten Bunker zu stilisieren. Zusehends erweist sich diese innere Hetze jedoch als Trug. Es sickert das Fremde durch die Mauern, kaum definierbare Zisch-Geräusche lassen erahnen, dass sich ein Fremdes, ein Feind, ein Etwas durch die Festung hereingeschlichen hat. Parallelen zur immer öfter beschworenen internationalen Abschottungspolitik sind nicht zu überhören.
Das Fremde nimmt in der zweiten Hälfte Gestalt in Form von Annick Schadeck an, die sich als surreales Wesen durch die Wände des Hausherrn gräbt und den Einbruch in den vermeintlich abgeschotteten Rückzugsort mit einer grotesk anmutenden Tanzperformance vor psychedelischem Elektrosound verkörpert: ein intensiver Moment.
Auch die per Bluetooth-Speaker eingespielte Gegenstimme von André Jung verdoppelt den Gedankenfluss der zentralen Figur zum Ausdruck einer gespaltenen Persönlichkeit. Die innere Zerrissenheit dieses wahnerfüllten Ichs ist gerade im letzten Drittel greifbar.
Und doch: So sehr Rothaars Regieeinfälle die Dramaturgie bereichern, so klar und unzweifelhaft trägt der Darsteller Max Thommes diese bescheidene, intensive Produktion. Thommes wirkt wie verwachsen mit seinem Kostüm, hüpft über Holzfässer, klettert an den Steinwänden entlang, suhlt sich im Schutt, fügt sich in die Kulisse ein, als seien diese Gänge sein eigen.
Dieselbe Erzählung band das Deutsche Theater Berlin bereits im Winter im Großen Theater in die Kafka-Erzähl-Collage Ein Vogel ging einen Käfig suchen ein. Ohne Frage waren dort die Mittel aufwändig, die Kulisse bombastisch, die Show fulminant. Die Truppe um Maskénada schafft es aber mit ganz wenigen Mitteln, den inneren Wahn des Tieres offenzulegen, das Publikum in Tuchfühlung mit dem Schutt des Baus und mit dem psychischen Schutt des Erzählers zu bringen. „Die Zuschauer werden mitgenommen in den labyrinthischen Bau, und damit in den Text selbst“: So verspricht es Maskénada auf seiner Netzpräsenz. Und das gelingt. Kafkas Cave ist eine kleine Perle der diesjährigen Theatersaison. Es sind Bühnenarbeiten genau dieser Art, in denen kleinere Ensembles ihre Stärken ausschöpfen können. Das Künstlerkollektiv meldete nach der Premiere „Sold out“ im Netz und kann dafür nur beglückwünscht werden.