Ein Premier, der „keine Probleme, für die es keine Lösung gibt“ erkennt. Minister, die davon ausgegehen, die Koalition werde sich schon einigen: In den nächsten Tagen ist mit neuen Vorschlägen der Regierung zur Haushaltssanierung zu rechnen. Angepasst, damit die LSAP ihr Gesicht nicht verliert und die Gewerkschaften einlenken.
Aber nicht zuletzt auch, damit die Facebook-Opposition draußen im Land sich beruhigt und die Kritik aus Organisationen sich legt, die der CSV nahe stehen. Dass das von Finanzminister Luc Frieden (CSV) am Dienstag vorgestellte Paket auch von konservativen Verbänden wie Famill 2000 als „tiefgreifende Ungerechtigkeit“ attackiert wurde, dass die Caritas es „so-zial unausgewogen“ nannte und ihr Präsident Erny Gillen diesen Mittwoch noch einmal nachschob, „Leistungen für Kinder müssen als Zukunftsinvestition verstanden werden“ – das sind Vorgänge, wie sie die CSV im politischen Alltag nicht oft erlebt.
Da überrascht es nicht, dass schon der Premier in seinem RTL-Fernsehinterview am Montag nachbesserte: Der Staatszuschuss zur ersten Registrierungsgebühr von Wohnungseigentum (bëllegen Akt) werde „selbstverständlich“ nicht einfach abgeschafft. Er bleibe allen erhalten, die anspruchsberechtigt auf eine staatliche Anschaffungsprämie für Wohnungseigentum sind. Frieden hatte sich anders verstehen lassen, als er meinte, es müsse lediglich eine „Lösung für die kleinen Leute“ gefunden werden. Denn derzeit liegt die – indexabhängige – Schwelle für die Zuerkennung der Anschaffungsprämie bei einem versteuerbaren Haushalts-Jahreseinkommen von 53 196,75 Euro, und damit kommt in ihren Genuss auch ein Zweipersonenhaushalt, auf den ein Einkommenssteuersatz von immerhin 24 Prozent angewandt wird.
Wenn es CSV-Ministern derart schwer fällt, den für das Sparprogramm nötigen Grad an „Selektivität“ festzulegen, stellt sich die Frage, ob das der Tripartite bei ihrer Samstagsitzung am 7. April vorgelegte Paket eher eine Improvisation ist und ob es dem Leitsatz gerecht wird, den Juncker Ende Juli beim Antritt seiner neu-alten Regierung ausgab: Dass beim Ausstieg aus der „antizyklischen“ Politik von „breiten Schultern mehr als von schmalen“ getragen werden müsse.
Von der Tripartite-Vereinbarung vom April 2006, in der es ebenfalls zum großen Teil um Haushaltssanierung ging, unterscheidet sich das neue Sparpaket schon dadurch, dass diesmal viel mehr „weggenommen“ als „vorenthalten“ wird: Die ausgesetzten Indextranchen, die 2006 vereinbart wurden, die Desindexierung der Familienleistungen oder die zeitliche Staffelung der Rentenanpassung betrafen künftige Anrechte. Die wesentlichste Wegnahme bestand in der Erhöhung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung um 40 Prozent.
Dagegen sieht das Sparpaket 2010 gleich in mehreren Punkten ein Wegnehmen vor: bei der Schulanfangszulage, beim Kindergeld, bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Fahrtkosten, bei der Streichung der Essenszulage im öffentlichen Dienst und der Chèques-repas-Regelung im Privatsektor. Dass das Widerstand erregt, ist verständlich.
Zusätzlich soll in vielen Bereichen vorenthalten werden: Eine oder vielleicht sogar zwei Rentenanpassungen, wie sie laut Gesetz alle zwei Jahre fällig sind, könnten es werden. Es könnte die Mammerent betreffen, die es künftig erst ab 65 geben soll, sowie die lediglich von der Kinderzahl abhängige Zinsbonifikation für Hypothekendarlehensnehmer, die ihren Kredit nach Inkrafttreten der neuen Regelung aufnehmen würden. Statt bisher ein halbes Jahr soll der Elternurlaub nur noch vier Monate lang gewährt werden; entsprechend gekürzt würde die allocation de l’éducation, die alternativ zum Elternurlaub beantragt werden kann (siehe S. 5 dieser Ausgabe). Und schließlich könnten der Warenkorb zur Indexbestimmung um Energieprodukte bereinigt und Indextranchen dadurch seltener fällig werden – falls die LSAP es nicht verhindert, wie sie versprochen hat.
Gleichzeitig stellte zumindest der Finanzminister, als er das Sparpaket erläuterte, verschiedentlich höhere Preise in Aussicht. Würde die Regierung die staatlichen Zuschüsse an die Gemeinden zum Kläranlagenbau von derzeit 90 Prozent auf 75 Prozent senken, könnten die Gemeinden gar nicht anders, als Fehlbeträge auf den Abwasserpreis aufzuschlagen, der ab Anfang 2011 kostendeckend erhoben werden muss. Womöglich richtig teuer zu stehen kommen könnte das Vorhaben, unrentable RGTR-Überland-Busverbindungen zu streichen und durch Rufbusse zu ersetzen: Solche Alternativen ließ schon der damalige Transportminister Lucien Lux (LSAP) vor drei, vier Jahren studieren. Doch einer der kniffligsten Punkte betraf den Fahrpreis solcher „Bus-Taxis“ im dünn besiedelten ländlichen Raum. Da klang Friedens Bemerkung: „Wir meinen, Busse und Züge sollen mit richtigen Preisen besser fahren“, fast wie eine Drohung.
Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, dass die Maßnahmen, schon weil sie kumuliert wirken würden, sozial Schwache am stärksten belasten dürften. Wenngleich Hochschulminister François Biltgen mit seinem Vorschlag für eine reformierte Studienförderung eine der wichtigsten Kritiken an der Kindergeldkürzung entschärfen kann (siehe nebenstehenden Text). Die Schulanfangszulage, die weiter an die gezahlt werden soll, die die Teuerungszulage beziehen, verlören dagegen all jene, die knapp über der Einkommensschwelle liegen, die für die Teuerungszulage berechtigt. Sozialprogramme zum Ausgleich der neuen Wasser- und Abwasserpreise sollen die Gemeinden auflegen. Aber noch sind die Preise nicht zu Ende gerechnet und sie streuen von Gemeinde zu Gemeinde zum Teil um mehr als den Faktor zwei. Ein Glück, dass schon 2006 die Tripartite beschloss, sie aus dem Warenkorb zu entfernen. Nicht zu reden davon, dass „Sozialtickets“, wollte man sie im öffentlichen Transport einführen, um „richtige Preise“ auszugleichen, voraussetzen würden, neu zu definieren, was man eigentlich unter service public versteht.
Gerade hier wird der improvisatorische Charakter des Sparpakets deutlich, das auch nach dem Konklave der Regierung am Mittwoch und Donnerstag dem Vernehmen nach nicht vom Tisch ist, sondern „ergänzt“ werden soll. Es scheint nicht nur, als werde versucht, überall ein wenig zu streichen. Verschiedene Maßnahmen sind auch in ihrem über das Soziale hinaus reichenden Impakt fragwürdig. Wer etwa die lediglich von der Kinderzahl im Haushalt abhängige Zinsbonifika-tion für Hypothekendarlehen eine Gießkannen-Subvention nennt, hat nicht Unrecht. Denn sozial Schwächere erhalten die in ihrem Betrag viel höhere Zinssubvention, die einkommensabhängig ist und mit der Bonifikation nicht kumuliert werden darf. Doch konsequenterweise wäre zu fragen, ob die zur Kultur gewordene Ausrichtung auf Wohneigentum hierzulande nicht längerfristig ein Irrweg ist und das Wohnen zur Miete nicht viel stärker gefördert werden müsste als bislang.
Ähnlich verhielte es sich mit dem öffentlichen Transport: Wer für die Anbindung des ländlichen Raumes keine schlüssige Alternative zum bisherigen Prinzip „Zumindest eine Busverbindung in jede Ortschaft“ in der Tasche hat, aber „richtige Preise“ verlangt, der riskiert, das Angebot unattraktiv zu machen. Doch da der Pacte logement gilt, der noch den kleinsten Gemeinden im Land signalisiert, sie sollten in ihrer Einwohnerzahl wachsen, zöge ein unattraktiverer öffentlicher Transport zwangsläufig mehr Autoverkehr gerade im ländlichen Raum nach sich.
Wird bei den zur Diskussion stehenden Ausgabenkürzungen nicht richtig erkennbar, dass „breite Schultern“ mehr tragen sollen, ist bei den bisher nur angedeuteten möglichen Änderungen auf der Einnahmenseite recht unschwer erkenntbar, dass die breitesten Schultern nicht am meisten zu tragen hätten.
Noch sind die Vorstellungen über eine Erhöhung der Solidaritätssteuer vage, die über eine allgemeine Krisenabgabe, die nach französischem Vorbild Contribution solidaire généralisée (CSG) heißen soll, ebenfalls. Weder ist zu Ende diskutiert, ob die Solidaritätsteuer auch für Betriebe erhöht werden soll, noch, inwiefern für niedrigste Einkommen die CSG ebenfalls gelten soll: Luc Frieden sprach davon, ein Viertel des Mindestlohns von der Besteuerung auszunehmen, die LSAP verlangte vergangene Woche vehement den halben Mindestlohn „zu immunisieren“. Dass sie einverstanden ist, Geringverdiener überhaupt für die CSG heranzuziehen, hat damit zu tun, dass sie der CSV die Einführung der neuen Abgabe mit Erfolg als Alternative zu einer Mehrwertsteuererhöhung empfehlen konnte.
Dagegen brächten die von Luc Frieden als „Möglichkeit“ publik gemachte Erhöhung des Spitzensteuersatzes um einen Prozentpunkt auf 39 Prozent sowie die eventuelle Einführung eines Super-Spitzensteuersatzes von 42 Prozent noch keine „Reichensteuer“ mit sich.
Würde etwa die aktuell geltende Steuertabelle, die ab dem Eingangssteuersatz von acht Prozent in Zwei-Prozent-Tranchen fortgeschrieben wird, um eine halbe Zwei-Prozent-Tranche ergänzt, so würde der neue Spitzensteuersatz für Alleinstehende in der Steuerklasse 1 auf versteuerbare Jahreseinkommen ab 40 839 Euro fällig, in Steuerklasse 2 für gemeinsam veranlagte Paare ab 81 678 Euro. Das träfe eindeutig die „Mittelklasse“.
Ebenso wenig wäre ein Super-Spitzensteuersatz von 42 Prozent auf versteuerbare Einkommen ab 250 000 Euro etwas noch nie Dagewesenes: Bis zur Steuerreform von 2002 galten 42 Prozent bereits ab 33 614 Euro (Klasse 1), und bis zur Reform von 1991 wurde sogar auf geringere versteuerbare Jahreseinkommen (32 752 Euro) der damalige Spitzensteuersatz von 56 Prozent angewandt und 42 Prozent ab 21 150 Euro. Die „eventuelle“ Änderung an der Einkommensbesteuerung, würde sie denn beschlossen, brächte im Vergleich zur Vergangenheit keine große zusätzliche Steuerprogression und änderte im Grunde nichts an dem seit 2002 bestehenden „Mittelstandsbuckel“ bei der Einkommensbesteuerung.
Ob die LSAP, deren Fraktionschef Lucien Lux sich öffentlich stark macht für eine Bankensteuer, daran etwas ändern lassen will, ist nicht sicher. Bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz vergangene Woche sagten Lux und LSAP-Präsident Alex Bodry zur Einkommenssteuer nicht viel. Aber wenn LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké in seinem Papier zur Wettbewerbsfähigkeit (d’Land, 16.4.2010) Erleichterungen für den Zuzug von Investoren aus Nicht-EU-Staaten nach Luxemburg andenkt und einen „VIP fast track“ für sie schaffen will, dann scheinen die Sozialisten nicht viel weniger überzeugt als die CSV, dass das Großherzogtum noch attraktiver für High Net Worth Individuals gemacht werden soll.