Wenn am Sonntag die Gewerkschaften zu ihren Maifeiern zusammenkommen, der OGB-L in Neumünster, der LCGB in Wiltz, die FNCTTFEL in Bonneweg, feiern sie auch ein wenig den 125. Jahrestag einer internationalen Tradition, die in den vergangenen 25 Jahren ihr Aussehen stärker geändert hat als in den 100 Jahren zuvor. Denn was ursprünglich ein Kampftag und eine Machtdemonstration war, auch gegen die staatliche Repression, dann ein Stück Arbeiterbewegungsfolklore zusammen mit den politischen Freunden in der ersten Reihe, ist inzwischen ein Familienfest geworden mit Grillwürsten und Kindertheater. Das hat sicher mit den veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen, der Entwicklung des Sozialstaats und der inzwischen dominierenden Mittelschichtenkultur zu tun, wie sie in vielen Ländern zu beobachten sind.
Es hat aber sicher auch mit der politischen Konjunktur zu tun. Seit den Achtzigerjahren fühlen sich die Gewerkschaften in vielen Ländern in der Defensive. Gehörten Reformen einst zu ihren Forderungen, fürchten sie sie nur noch als Synonym von Sozialabbau. Dem globalen Konkurrenzkampf der Produktionsstandorte haben sie kaum mehr als nationale Rückzugsgefechte entgegenzusetzen. Der Durchmarsch des Liberalismus, dem sich auch die historisch verbundene Sozialdemokratie ergab, ließ Werte von Kameradschaft und Solidarität alt aussehen. Kurz: Die Lohnquote sank, die Arbeitslosigkeit stieg, aus Industrien wurden Industriebrachen, die Gewerkschaften verloren Mitglieder.
Die Luxemburger Gewerkschaften verloren weniger an Einfluss als in vielen anderen Ländern, weil die sozialen Krisen nicht so tief waren, die Gewerkschaften sich als sehr anpassungsfähig erwiesen, durch den hohen Organisationsgrad in der dominierenden Schwerindustrie eine solide Gewerkschaftstradition besteht, die größten Gewerkschaften die Unterstützung der größten Parteien genießen und die dank Grenzpendler steigende Zahl der Erwerbstätigen den Mitgliederschwund aufhielt.
Die Defensive, in die sich die Gewerkschaften auch hierzulande gedrängt fühlen, hat in jüngster Zeit zu bemerkenswerten Veränderungen geführt, die nicht zuletzt durch eine neue Generation Gewerkschaftsvorsitzender möglich wurde. Der Versuch, im entscheidenden Kampf um die nationale Repräsentativität einen dritten, „neutralen“ Pol von Aleba und NGL aufzubauen, ist gescheitert. Mit dem Untergang der Fep und der Einführung des Einheitsstatuts ging der Korporatismus zurück. Selbst die CGFP hat ihre Verachtung für die Beschäftigten der Privatwirtschaft aufgegeben und sucht deren Unterstützung. OGB-L und LCGB können sich zwar immer noch nicht leiden, aber sie fühlen sich mehr denn je dazu verurteilt, nicht nur auf Betriebsebene, sondern auch national zusammenzuarbeiten. Zur Betreuung der Rat suchenden Mitglieder, aber auch zur politischen Auseinandersetzung mit Unternehmerverbänden und Regierung haben die Gewerkschaften in den zurückliegenden Jahren professionelle Apparate aufgebaut, die von der neuen, großen Salariatskammer unterstützt werden und manchmal merkwürdige Blüten, etwa in Form ihrer Beschäftigungsinitiativen, treiben.
Über welchen Einfluss die Luxemburger Gewerkschaften weiterhin verfügen, zeigte sich vor einem Jahr, als der OGB-L durch Druck auf die LSAP eine Koalitionskrise auslöste, welche weder Regierung noch Opposition wollten. Die Unternehmerverbände wussten sich nur mit der hilflosen Politik des leeren Stuhls in verschiedenen sozialpartnerschaftlichen Gremien zu wehren.