Weil zum Jahreswechsel und nach der für den 1. Oktober erwarteten Indextranche eine gesetzliche Anpassung des Mindestlohns an die Entwicklung des allgemeinen Lohnniveaus fällig wird, ist der Mindestlohn wieder im Gespräch. Diesmal geht es nicht nur um den „Automatismus“ der Anpassung, deren Kosten die Unternehmen nicht mehr länger tragen wollen, weil sie sich dadurch gegenüber ihrer ausländischen Konkurrenz benachteiligt fühlen. Die erste Mindestlohnanpassung dieser Legislaturperiode, Anfang vergangenen Jahres, hatte die Regierung schon durch einen Zuschuss in Höhe von 25 Millionen Euro an die Mutualité des employeurs zu kompensieren versprochen. Und sie macht sich insgeheim wenig Illusionen, dass sie an irgendeiner Art des Ausgleichs für die zweite Anpassung vorbeikommen wird.
Diesmal wird auch das absolute Niveau des gesetzlichen Mindestlohns mit einer Eindringlichkeit in Frage gestellt, wie es seit dem Bericht von Lionel Fontagné nicht mehr der Fall war, der 2004 den hohen Anteil der Mindestlohnbezieher eine „Dysfunktion“ des Arbeitsmarkts nannte und deshalb den Mindestlohn senken wollte. Denn viele Export- und Handwerksbetriebe fühlen sich vor allem dem Konkurrenzdruck aus Deutschland, dem Haupthandelspartner, ausgesetzt, wo es gar keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt und 1,4 Millionen Beschäftigte mit einem Stundenlohn unter fünf Euro nicht einmal die Hälfte des Luxemburger Mindestlohns erhalten. Deshalb hatte CSV-Finanzminister Luc Frieden während der rezenten Journée de l’ingénieur die Höhe des Mindestlohns für die Desindustrialisierung verantwortlich gemacht.
Selbstverständlich war der Mindestlohn nach der Befreiung 1944 als ein wesentliches Element des So[-]zial[-]staats eingeführt worden, um durch Gesetz ein Existenzminimum festzulegen, das gewährleisten soll, dass jeder mehr oder weniger dezent von seiner Arbeit leben kann und durch regelmäßige Anpassungen nicht den Anschluss an die Einkommensentwicklung aller Lohnabhängigen und damit auch die Lebenshaltungskosten verpassen soll. Doch aus der Sicht der Unternehmen ist ein Lohn zuerst der Preis der Arbeitskraft und sie beklagen, dass der gesetzliche Mindestlohn von 1 801,49 Euro inzwischen den Wert der niedrigen Produktivität von gering qualifizierten Kellnern und Verkäuferinnen übersteigt – wodurch auch das allgemeine Lohnniveau im Land in die Höhe getrieben wird. Daraus ergibt sich rasch der Vorschlag, die öffentliche Hand für den sozialen Aspekt der Frage, die Gewährleistung des Existenzminimums, verantwortlich zu machen, wie es bereits mit dem Garantierten Mindesteinkommen geschieht.
Das sieht die Regierung inzwischen ähnlich, wenn sie nun nach Mitteln zur Bezuschussung des Mindestlohns zumindest für verschiedene Alters- und Beschäftigtengruppen sucht. Nur dass dies, nicht zuletzt auf Druck der LSAP, nicht nach einer Bezuschussung des Mindestlohns aussehen soll, sondern nach einer Wiedereingliederung vonJung- und Langzeitarbeitslosen. So als gäbe es nicht bereits die Prime d’encouragement à l’embauche, den Contrat d’appui-emploi und den Contrat d’initiation à l’emploi. Eine breite Bezuschussung der Mindestlohnkosten der Betriebe liefe aber – wenn auch nicht gesetzlich, so doch ökonomisch – auf eine Senkung des Mindestlohns hinaus, wobei die sozialen Kosten nicht vom Beschäftigten getragen werden müssten, sondern verstaatlicht würden. Das wäre dann vielleicht der erste Schritt einer Luxemburger Variante der Schaffung eines Niedriglohnsektors, der so lange sozialstaatlich abgefedert würde, wie die öffentlichen Finanzen dies zulassen.