Madame Schintgen ist außer sich. Ein grausamer Unhold hat einem ihrer Küken eiskalt den flauschigen gelben Bauch aufgeschlitzt, das kleine unschuldige Herz herausgerissen und den Bauch anschließend wieder fachmännisch zugenäht. Madame Schintgen versteht die Welt nicht mehr, sagt sie doch täglich ihre frommen Sprüchlein auf und wedelt mit wundersamen Kräutern, um Geister und Unglück von ihren Haustieren fernzuhalten. Nützt offenbar alles nichts – auch ein Kaninchen und ein Hahn werden noch dran glauben und den lebenswichtigen Muskel einbüßen müssen. Der Mörder hinterlässt jedes Mal einen geheimnisvollen Brief, in dem er sich für seine schaurigen Untaten entschuldigt. Er brauche die Herzen nun mal dringend. Gezeichnet: le roi de cœur. Zunächst wird der zehnjährige Marco von der aufgebrachten Nachbarin verdächtigt. Er habe doch auch sonst nur Flausen im Kopf. Marco ist erbost. Ausgerechnet er, der doch Tiere so liebt, soll einem wehrlosen Küken den Hals umgedreht haben?! Das will der Junge nicht auf sich sitzen lassen und ermittelt fortan auf eigene Faust, seine Schulfreunde im Schlepptau. Soviel ist klar: Der Mörder spricht ein tadelloses Französisch und verwendet ein seltsames Nähgarn, das selbst eine von den Kindern befragte Schneiderin nicht identifizieren kann. Die Ermittlungen schreiten zügig voran, so dass schon nach wenigen Seiten die dramatis personae des Kriminalfalls versammelt sind: Die Mordopfer (vorläufig): ein Küken, ein Kaninchen und ein Hahn. Die Detektive: Marco und seine Freunde Carole und Jean-Philippe. Der Hilfsdetektiv und Retter in der Not: Marcos Opa. Der Tatort: der Garten von Madame Schintgen. Die Verdächtigen: Jean-Philippe (siehe oben), zudem ein mit Piercings und Tätowierungen überzogener unheimlicher Franzose, ein ungepflegter Yachtbesitzer und eine durchgeknallte Krankenschwester. Schon Enid Blyton wusste, wie gern Kinder Detektiv spielen. Die britische Schriftstellerin erfüllte den Protagonisten ihrer Abenteuergeschichten oft genug den Traum, sogar der Polizei einen Schritt voraus zu sein und dem Übeltäter durch wagemutige Eigeninitiative auf die Spur zu kommen. Zwar sind die Kinder in Henri Loschs Rasselbande nur zu dritt; sie haben aber immerhin einen Hund – siehe Timmy bei den Fünf Freunden –, der auf seine Weise zur Lösung der rätselhaften Tiermorde beiträgt. In ihrer Hingabe an den Fall scheuen die Kinder keine Anstrengung, sammeln Indizien, schlagen sich mit der Beschattung eines dringend Tatverdächtigen die Nächte um die Ohren und begeben sich am Ende sogar in Lebensgefahr. Dass eigentlich schon nach wenigen Kapiteln klar ist, wer für die grausigen Tieroperationen verantwortlich ist, wird vermutlich nur einen erwachsenen Leser stören, der sich in seiner Kindheit durch meterweise Enid-Blyton-Romane gelesen hat. Er muss sich damit trösten, dass er nicht zum Zielpublikum des Autors gehört. Häerzerkinnek richtet sich an junge Leser im Alter von etwa neun bis zwölf Jahren. Im Zeitalter von Handys und Computerspielen könnte sich das bei den Éditions Guy Binsfeld erschienene Buch als spannende Alternative zur Glotze erweisen. Ort des Geschehens ist übrigens „Häremaacher“, das, wie sein Name vermuten lässt, an der Luxemburger Mosel liegt – offenbar ein für Morde und Schandtaten besonders anfälliges Gebiet, das schon in Josy Brauns Roman Meewäin die Kulisse abgab. Häremaacher liegt auch gewiss in der Nähe von Josy Brauns Fréileng, denn genau wie dort kann man sich über das eigentümliche Idiom der Dorfbewohner nur wundern. Davon abgesehen, dass an keinem der beiden Orte „Miseler“ gesprochen wird, nehmen insbesondere die jungen Häremaacher Detektive die wunderlichsten Ausdrücke in den Mund. „’Nondi, nondi, nondi, a wou kënnt deen dann dodrun?’ ass et dem Marco duerch de Kapp gaangen. (...) ‚Droleg, droleg’, soot en sech.“ Man lese und staune.
Henri Losch: Häerzerkinnek. E Krimi. Editions Guy Binsfeld, 2007; 200 Seiten; 20 Euro; ISBN: 978-2-87954-182-2.