„Hoffentlich wartet der Wolf noch mit seiner Rückkehr, bis der Managementplan steht“, scherzt Tun Weber. Der Forstwirt und Lehrer an der Ackerbauschule in Ettelbrück erarbeitet gerade zusammen mit dem Naturhistorischen Museum einen Plan de gestion für die grauen Beutegreifer. Weber befragt repräsentativ ausgewählte Luxemburger, vor allem Jäger und Schäfer, ob sie sich mit den Wildtieren wieder anfreunden können. Mit Hilfe von Landnutzungsdaten versucht er außerdem, mögliche Habitate zu finden und eine Einwanderung von Wölfen aus den Vogesen zu simulieren. Bis zum September soll die Arbeit abgeschlossen sein.
Am 18. April tappte ein Wolf in Frankreich beim Lac de Madine in eine Fotofalle – nur ein oder zwei Nachtmärsche von Luxemburg entfernt. „Ein Wolf kann jeden Tag bei uns einwandern“, sagt Tun Weber. „Wenn er das noch nicht ist. Selbst wenn ein Wolf in der Gegend ist, bekommt man ihn ja nicht unbedingt zu Gesicht. Die Tiere gelten als scheu gegenüber dem Menschen und sind überwiegend nachtaktiv.“ Und sie halten sich an keinen Plan: Im Elsass haben sie sich angesiedelt, im Schwarzwald bisher nicht – niemand weiß warum. Der Rhein wäre für sie kein Hindernis.
Leben können Wölfe fast überall, wo sie Beute finden und Ruhe für ihre Jungen haben – das heißt, wenn der Mensch sie lässt. In Mitteleuropa wurden sie gnadenlos verfolgt und waren um 1900 ausgerottet. Überlebt haben Wölfe in Süd- und Osteuropa. Seit sie unter Schutz stehen, erobern sie ihre ehemaligen Lebensräume zurück. Amtlich gibt es derzeit auf dem europäischen Festland nur noch drei Länder ohne Wölfe: die Niederlande, Belgien und Luxemburg.
In Europa (ohne Russland) leben zehn Wolfspopulationen mit insgesamt schätzungsweise 20 000 Tieren. Nach Luxemburg könnten aus Ostdeutschland Wölfe polnischer Abstammung kommen. Einem von ihnen wurde ein Sender umgehängt: Er wanderte in kurzer Zeit über 1 000 Kilometer nach Weißrussland – derart in Form, hätte er auch die Mosel erreichen können. Die ersten Wolf-Immigranten in Luxemburg werden aber wahrscheinlich „Italiener“ sein: Von den Abruzzen aus besiedelten sie ab den 1990-er Jahren die Westalpen. In den Vogesen lebt ein Rudel von ihnen, das im August 2013 erstmals Welpen aufzog.
Zu einem Rudel zählen außer den Eltern meist die aktuellen Welpen und die Jungen des Vorjahres. Wenn es viel Nahrung gibt, etwa in der Toskana, streifen Wölfe auch bloß zu zweit durchs Land. In Skandinavien dagegen werden sogar fremde Wölfe im Verband geduldet, um gemeinsam Elche zu erlegen. Als Hetzjäger fressen Wölfe in Mitteleuropa vor allem Rehe, Wildschweine und Rothirsche – im Schnitt etwa fünf Kilo Fleisch pro Tag. Ein Rudel braucht daher in unseren Breiten ein 250 bis 350 Quadratkilometer großes Jagdgebiet. Die Wolf-Teenies aus den Vogesen werden sich bald eigene Reviere suchen.
Die Rückkehr der Wölfe begeistert Umweltschützer. Mit der Kampagne Rotkäppchen lügt will zum Beispiel der deutsche Naturschutzbund Nabu schon Grundschülern die „anerzogene Urangst durch jahrhundertelange Märchenbildung“ nehmen. Dass das „seltenste aller Säugetiere“ eine Bereicherung sei, findet auch der WWF, der für „ein friedliches und angstfreies Zusammenleben“ wirbt.
Die Hauptängste vieler Menschen: Man könnte selbst attackiert werden, und Wölfe könnten Tollwut übertragen. Beide sind kaum berechtigt. Nach Angaben des Nabu gab es in ganz Europa seit 1950 lediglich neun tödliche Wolfsangriffe auf Menschen, und zwar durchweg, weil Wölfe provoziert oder angefüttert wurden. Dagegen verursachten allein in Deutschland Wildschweine jedes Jahr rund 20 Tote. Und Mitteleuropa gilt derzeit als frei von Tollwut, die übrigens vor allem von Füchsen verbreitet wird.
Durch Gesetze sind Wölfe geschützt – gegen Wilderer und Giftköder helfen Paragrafen aber wenig. „Die größte Herausforderung für den Wolf ist fehlende Akzeptanz“, sagt Janosch Arnold vom deutschen WWF. Daher müssten Lösungen für von Wölfen verursachte Schäden gefunden werden: „Nur wenn diese Fragen geklärt sind, können Wölfe bei uns langfristig überleben.“
Wer im gleichen Wald auf Jagd geht, muss sich nicht unbedingt Feind sein: Jäger mögen stattliche Trophäen; Wölfe reißen dagegen vor allem schwache und kranke Beute. Tatsächlich ein Problem haben dagegen die Besitzer von Schafen und Ziegen: Wölfe sind auf Huftiere spezialisiert. Abwehr ist zwar möglich; Hirten, Zäune, Schutzhunde oder Lamas kosten aber Geld.
In Frankreich zahlte der Staat im Jahr 2012 rund zwei Millionen Euro Entschädigung, weil etwa 250 freilebende Wölfe 5 848 Schafe gerissen haben sollen. Dass die Zahl stimmt, bezweifeln nicht nur Naturschützer: Ob nicht wildernde Hunde die Täter waren, könnten nur aufwändige Untersuchungen herausfinden. Die meisten Wölfe, die gesichtet werden, sind gar keine, sagt Markus Bathen vom deutschen Nabu: „Es gibt einige Hunderassen, die gezielt so gezüchtet werden, wie Wölfe auszusehen – zum Beispiel Tschechoslowakische Wolfshunde.“ Ohne Fotobelege und Gentests müsse daher immer davon ausgegangen werden, dass es ein Hund war.