Heim ins Ufa-Reich? lautet der Titel einer schmalen Studie von Paul Lesch über die "NS-Filmpolitik und die Rezeption deutscher Filme in Luxemburg 1933-194". Zweierlei ist also beabsichtigt: eine Untersuchung der nationalsozialistischen Kulturpolitik, deren Amtsträger unmittelbar nach der Machtergreifung 1933 ihr Augenmerk auf den Film als Propagandainstrument richteten. In unmittelbarer Ableitung daraus will Paul Lesch zum zweiten die teils tendenziösen, teils ablehnenden Reaktionen der luxemburgischen Kinogänger in der Vorkriegszeit und während der Besatzung 1941-1944 darstellen. Wobei dieser Aspekt der Arbeit - das sei jetzt schon vorweggenommen - mehr Fragen aufwirft als beantwortet.
Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, selbst ein "aficionado" der Leinwand, hatte den Ton vorgegeben: "Wir sind der Überzeugung, dass der Film eines der modernsten und weitreichendsten Mittel zur Beeinflussung der Masse ist." Die Produktionsfirmen wurden zusammengeschlossen zu dem Mega-Unterhaltungskonzern Ufa, der sowohl Unterhaltungsfilme der gehobenen Art, aber mit unterschwelliger völkisch-rassistischer Aussage, als auch unverhohlen gehässige Propagandastreifen wie Der Ewige Jude herstellte.
Weil der einheimischen Bevölkerung Luxemburgs nach der neuen Ordnung der Dinge ohnehin "germanisch-arische Rassenzugehörigkeit" attestiert wurde, die Luxemburger aber augenscheinlich von dem französischen "Bazillus" infiziert waren, begann der "Kampf um die Köpfe" bereits am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Die deutsche Filmindustrie renommierte damals auf Spitzenniveau, und Produktionen wie Der blaue Engel von Josef von Sternberg brauchten den Vergleich mit der amerikanischen oder französischen Konkurrenz nicht zu scheuen. Das änderte sich schnell.
Im September 1937 äußerte ein Kritiker der liberalen Obermoselzeitung seinen Unwillen: "Desto schlimmer aber ist die ungeheuer schwere Krise, welche zur Zeit Deutschland durchmacht. Denn mit den Filmen des Dritten Reiches, die wir hier zu sehen bekamen, können wir uns nie und nimmer anfreunden." Einer der ersten und - so Paul Lesch - auch einer der kompetentesten Kritiker der schleichenden Ideologisierung deutscher Unterhaltungsfilme ist der junge Journalist und Hobbyregisseur Evy Friedrich. Im Escher Tageblatt denunziert er den "Hetzcharakter des heutigen reichsdeutschen Films". Über Johannes Guters Komödie Fräulein Liselott schreibt er unbeirrt: "(...) ein Film, der angibt, nur der Unterhaltung dienen zu wollen. Und was findet man darin: das Lob der nationalsozialistischen Phrasen. Das ist sehr geschickt gemacht. Man findet kaum einen Moment, in dem man mit pfeifen einsetzen könnte."
Auch der Film Kautschuk (1938) mit dem luxemburgischen Schauspieler René Deltgen in einer Hauptrolle findet keine Gnade in seinen Augen: "Bei Kautschuk sehen wir mal wieder, was heute in einen deutschen Film hinein muß: Chauvinismus, Kolonialpropaganda, Werbung im Sinne der Autarkie. (...) Die Vorführung dieses Films ist absolut überflüssig."
Mitunter kam es auch zu öffentlichen Tumulten, wenn die Heim-ins-Reich-Heilsbotschaft Hitlers allzu offensichtlich durchschien. Das war der Fall bei einer Ufa-Wochenschau über die "Sudetenkrise" in der Tschechoslowakei 1938. Am folgenden Tag untersagte ein Ministerialbeschluss die weitere Vorführung. Andererseits übte auch die deutsche Gesandtschaft erfolgreich Druck auf die luxemburgische Regierung unter Pierre Dupong aus. Im April 1938 ließ Justizminister René Blum den amerikanischen Antikriegsfilm The Road Back, die Fortsetzung von Im Westen nichts Neues, verbieten. Man wolle die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland nicht belasten, hieß es entschuldigend. In der Abgeordnetenkammer erklärte Minister Blum "die derzeit laufenden internationalen Verhandlungen über die endgültige Stabilisierung unseres internationalen Statuts und unsere Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland" als ausschlaggebend für die Zensur. Tatsächlich befand sich Luxemburg durch die Expansionsbestrebungen seines übermächtigen Nachbarn jenseits der Mosel in einer misslichen Lage und versuchte zumindest dem Anschein nach, seine Neutralität zu wahren.
Nach dem 10. Mai 1940 bedurfte es nicht mehr der diplomatischen Etikette des deutschen Gesandten, um den Willen der nationalsozialistischen Führung auf luxemburgischem Territorium durchzusetzen. Bereits im August leitet ein so genanntes "Referat Film" den luxemburgischen Kinobetrieb. Gemäß den Absichten des Gauleiters Gustav Simon sollte Luxemburg sein "französisches Firnis" verlieren. Gezeigt werden jetzt nur mehr Ufa-Produktionen, denn "ein deutscher Film (...) rührt allzeit und irgendwie an die feinen Seiten des Menschenherzens".
Die Besatzer setzen die Vergnügungssteuer herab, damit die luxemburgischen Kinobesitzer ihre Lichtspielhäuser dem letzten Stand deutscher Sicherheits- und Komfortnormen anpassen konnten. Selbst die Preise werden in einer ersten Zeit erheblich reduziert. Aber das einheimische Publikum will, wenigstens in den Anfangsmonaten der Besetzung, nicht so recht mitmachen. Stand die Bevölkerung unter dem Schock der Überrumpelung, oder äußerte sich hier Nationalbewusstsein als symbolischer Protest, wie der Sicherheitsdienst (SD) der SS argwohnte?
Lange währte der Boykott nicht. "Infolge des nach 1941/42 strenger gewordenen Besatzungsregimes und der härteren Strafen hat die offene Ablehnung, mit der ein Teil der luxemburgischen Zuschauer auf gewisse Filme reagiert hat, merklich nachgelassen. (...) Es ist interessant festzustellen, dass die Besucherzahlen zwischen 1940 und 1944 unaufhörlich steigen. Auch als die deutsche Unterdrückung nach dem Streik vom 31. August 1942 in eine Schreckensherrschaft übergeht, leidet der Enthusiasmus des Publikums für das Kino nicht darunter."
Nun leuchtet es ja ein, dass schärfere Strafen abschreckend auf die öffentliche Äußerung von Unmut und Ablehnung wirken. Warum aber gerade in Zeiten des verschärften Terrors luxemburgische Kinogänger wieder in die Lichtspielhäuser strömten, vermag man nicht so recht einzusehen. Vielleicht sahen die Patrioten ein, dass auch ein national gesinnter Boykott der Ufa das Dritte Reich kaum in Gefahr bringen würde; möglicherweise war auch der Wunsch groß, dem Besatzungsalltag zu entfliehen. "Je schwerer die Zeit ist, desto leuchtender muß sich über ihr die Kunst als Trösterin der Massenseele erheben", hatte Josef Goebbels die Ufa-Leitung beschworen.
85 Prozent der in Luxemburg gezeigten Produktionen waren Unterhaltungsfilme der seichten Art. Bei tendenziösen Propagandafilmen antiamerikanischen und antibritischen Inhalts protestierte das Publikum gelegentlich verhalten, aber unüberhörbar. So unüberhörbar wie die Zustimmung zu dem Veit Harlan-Film Jud Süss (1940), der "in der Öffentlichkeit viel besprochen" wurde, wie der SD mit einiger Genugtuung hervorhob: "Größte Beachtung fand der Film Jud Süss, bei dessen Vorführung es gelegentlich zu Demonstrationen gegen das Judentum gekommen ist." Allerdings scheint sich der Andrang doch in Grenzen gehalten zu haben, denn verlängert wurde der Hetzstreifen nicht.
In seiner allgemeinen Schlussfolgerung bilanziert Paul Lesch: "Auch wenn das luxemburgische Publikum nicht immer in der Lage ist, die unterschwellige ideologische Botschaft mancher scheinbar völlig harmloser Unterhaltungsfilme zu erkennen, so lehnt es Filme mit allzu eindeutiger nationalsozialistischer Propaganda doch gewöhnlich ab. (...) Dennoch verhindert die antideutsche Einstellung der Mehrheit der Luxemburger nicht, dass sie eine eindeutige Vorliebe für Produktionen hegen, in denen zwar nicht eine explizite Nazi-Ideologie, aber ein zumindest entschieden konservatives Weltbild zum Ausdruck kommt. Man darf nicht vergessen, dass sogar einige der unerbittlichsten luxemburgischen Gegner des Nazi-Regimes sich durch streng konservative, wenn nicht gar reaktionäre und autoritäre Ansichten auszeichneten."
Abgesehen von den üblichen Schwächen historischer Publikationen in Luxemburg - Wiederholungen, staubtrockener Stil, ein Übermaß an Fußnoten und Zitaten, dazu noch ein historischer Fehler, denn die Briten haben die Konzentrationslager tatsächlich erfunden - ist die Studie durchweg lesbar.
Paul Lesch: Heim ins Ufa-Reich?, Wissenschaftlicher Verlag Trier 2002, 174 S. mit Abb., 22,58 Euro, ISBN 3-88476-518-3