Eigentlich hätte 2009 ein gutes Jahr für die Presse werden müssen. Denn in einem Wahljahr nimmt das öffentliche Interesse an der Politik zu, und dann kaufen und lesen die Leute mehr Zeitungen als in anderen Jahren. Doch in der Finanz- und Wirtschaftskrise hatte sich die Opposition als alternativlos erwiesen, in den Meinungsumfragen hatte sich konsequent eine Fortsetzung der regierenden Koalition abgezeichnet, und das Gerangel um den Lissabon-Vertrag hatte sich gezeigt, dass so bald kein Nachfolger für Premier Jean-Claude Juncker gesucht werden musste. Der Wahlkampf blieb folglich ziemlich uninteressant.
Entsprechend gering erwies sich auch das Interesse an der Presse. Das Brüsseler Centre d’information sur les médias (Cim) ist eine Vereinigung belgischer Verleger und Werbeagenturen, welche die Auflagen von Zeitungen und Zeitschriften kontrolliert, um den Anzeigenkunden glaubwürdige Auflagenzahlen vorlegen zu können. Hierzulande lassen die beiden größten Verlagshäuser, Saint-Paul und Editpress, gegen Entgelt ihre Auflagen vom Cim beglaubigen. Dadurch werden über 95 Prozent der Auflage der Luxemburger Tages- und Wochenpresse von Cim kontrolliert. Und Cim meldete, dass in den beiden ersten Trimestern 2009, als der Wahlkampf und anschließend die Wahlen stattfanden, die verkaufte Auflage der meisten Zeitungen nicht zunahm, sondern sogar zurückging.
Glaubt man den Zahlen des Cim, dann war 2009 insgesamt ein schwarzes Jahr für die Luxemburger Presse. Bei sechs von sieben kontrollierten Titel sank die verkaufte Auflage im letzten Quartal 2009 gegenüber dem letzten Quartal 2008. Nur die Revue (+6,59 Prozent) konnte ihre verkaufte Auflage und L‘Essentiel (+12,50 Prozent) seine kostenlose Verbreitung steigern.
Ansonsten verloren die beiden Flaggschiffe Luxemburger Wort (-1,54 Prozent) und Tageblatt (-4,69 Prozent) zahlende Leser. Dass auch ihre französischsprachigen Ableger La Voix (-5,22 Prozent) beziehungsweise Le Quotidien (-5,14 Prozent) sowie die kostenlose Tageszeitung Point24 (-24,71 Prozent) Leser verloren, wirft die Frage auf, ob ein Kannibalisierungseffekt eingesetzt hat, bei dem die Tageszeitungen von Saint-Paul und Editpress Leser an ihre französischsprachigen Tageszeitungen verloren und diese nun wiederum an ihre französischsprachigen Gratiszeitungen. Denn zusammen brachten die beide Verlagshäuser sogar einschließlich ihrer Gratiszeitungen Ende 2009 weniger Tageszeitungen (224 681) unter die Leute als Ende des Vorjahrs (231 209). Wie sich diese Verschiebungen auf die wirtschaftliche Lage der Verleger auswirkt, wissen nur diese alleine, weil sie als einzige wissen, wie viel Profit oder Verlust jeder einzelne Titel einfährt.
Durch den Erfolg von L‘Essentiel vergrößerte sich der Marktanteil von Editpress (109 024) auf Kosten desjenigen von Saint-Paul (115 657), und die beiden Häuser verbreiten nun fast die gleiche Anzahl Tageszeitungen. Allerdings rührt dies daher, dass die zusammen mit dem Schweizer Verleger Tamedia herausgegebene Gratiszeitung vier Fünftel der täglichen Editpress-Auflage darstellt, und der Erfolg einer Gratiszeitung im wesentlichen von den Investitionen in die Infrastruktur zu deren Verbreitung abhängt. Auf 72 768 verkaufte Tageszeitungen von Saint-Paul kommen dagegen nur 20 175 von Editpress.
Die Wochenpresse war letztes Jahr kaum erfolgreicher als die Tagespresse. Die bei Editpress erscheinende Revue konnte zwar 6,59 Prozent Käufer zulegen, aber ihr auflagenstärkerer Konkurrent aus dem Hause Saint-Paul, Télécran, verlor 2,84 Prozent. Le Jeudi, die französischsprachige Wochenzeitung von Editpress, verlor sogar 8,23 Prozent; dabei machte im letzten Quartal 2009 die verkaufte Auflage laut Cim nur ein Viertel der Druckauflage von Le Jeudi aus. (Die verkaufte Auflage des Lëtzebuerger Land, die nicht von Cim kontrolliert wird, nahm letztes Jahr um 1,82 Prozent zu.)
Die Presse litt vergangenes Jahr aber nicht nur unter einem Rückgang der Verkaufs- beziehungsweise Verbreitungszahlen. Auch die Werbeeinnahmen als meist wichtigste Einnah-mequelle schrumpften. Laut dem in Auftrag der Regierung erstellten Luxembourg Ad’Report nahmen die Bruttowerbeeinnahmen der Tageszeitungen um zwei Prozent ab, diejenigen der Wochenpresse um zwei Prozent zu. Am härtesten getroffen wurde das Luxemburger Wort, das immerhin die Hälfte aller Werbeeinnahmen der gesamten Tages- und Wochenpresse verbucht. Es erlitt einen Rückgang von neun Prozent. Das Tageblatt erlebte dagegen eine Zunahme um sechs Prozent, während die Einnahmen von La Voix(-2 Prozent) und Le Quotidien (-9 Prozent) abnahmen, wohl auch unter dem Druck der Gratisblätter, die drastisch zulegen konnten: L‘Essentiel +41 Prozent, Point24 +34 Prozent. Bei der Wochenpresse stiegen die Bruttowerbeeinnahmen der Magazine Revue (+5 Prozent) und Télécran(+6 Prozent), während diejenigen der Wochenzeitungen d’Lëtzebuerger Land (-3 Prozent) und Le Jeudi (-8 Prozent) abnahmen.
Möglicherweise war der Rückgang im Anzeigengeschäft größer, als aus den Bruttoeinnahmen ersichtlich. Denn es handelt sich dabei um die veröffentlichten Anzeigen multipliziert mit den offiziellen Anzeigentarifen, von denen in Wirklichkeit Provisionen für Agenturen und Regien abgehen. Gerade in Krisenzeiten werden den Anzeigenkunden aber oft steigende Rabatte auf den offiziellen Tarifen gewährt, damit sie überhaupt inserieren. Außerdem ist nicht immer ersichtlich, welche Anzeigen in Wirklichkeit eine Form des Sponsoring oder eines unentgeltlichen Anzeigenaustauschs darstellen.
Der Rückgang der Werbeeinnahmen vieler Medien hat sicher konjunkturell mit der Finanz- und Wirtschaftskrise zu tun, die manche Unternehmen dazu brachte, zuerst bei den Werbeausgaben zu sparen. Aber er ist wohl auch auf strukturelle Verschiebungen zurückzuführen, da beispielsweise das Aufkommen der Gratispresse eher den Tages- und Wochenblättern Anzeigen entzog als die Gesamtwerbeausgaben der Inserenten entsprechend zu erhöhen.
Analog dürfte auch der Rückgang der meisten Tages- und Wochenblätter nicht nur etwas mit einem langweiligen Wahlkampf und einem absehbaren Wahlergebnis sowie dem konjunkturellen Einfluss der Finanz- und Wirtschaftskrise zu tun haben. Dass der krisenbedingte Rückgang geringer als bei vielen ausländischen Zeitungen war, erklärt sich wohl mit der dreifachen Rolle der meisten Luxemburger Zeitungen als nationale, lokale und Parteiblätter sowie deren niedrigerem Preis. Wahrscheinlich ist aber auch ein Einfluss struktureller Verschiebungen der Lesegewohnheiten durch das Aufkommen neuer Titel und die Konkurrenz kostenloser Nachrichtenangebote im Internet, wie wort.lu und rtl.lu.
Die verkaufte Gesamtauflage der von Cim kontrollierten Tageszeitungen und Wochenzeitungen ist jedenfalls seit mindestens sieben Jahren rückläufig. Die Verlage haben unterschiedliche kommerzielle, redaktionelle und technische Strategien, um die Entwicklung zu bremsen. Welche erfolgreich sein können, zeichnet sich erst mittelfristig ab.