Vera Kox

Die Onomatopoetin

d'Lëtzebuerger Land vom 13.06.2014

„Knätsch“, sagt Vera Kox, „ist mein Lieblingswort.“ Sie überlegt. Schaut sich in ihrem hellen, weißen Atelier um. Es ist Nachmittag. Eine kleine Lampe brennt auf dem Schreibtisch, als müsse das Licht des hellen Tags angestrahlt werden. Vera Kox denkt nach. Den Blick in die Ferne. Sie hält kurz inne. Fokussiert ihr Augenmerk. Kneift die Augen kurz zusammen, um sofort wieder zu entspannen. Sie blickt auf. An die Decke. Nochmals in den Raum. „In diesem Moment“, fügt sie hinzu. Bestimmend. Ein kurzer, bestimmter Atemzug. Dann regungslose, versunkene Stille. „In diesem Augenblick ist es Knätsch“, wiederholt sie. Ein scheinbar nebensächlicher Augenblick der Begegnung, eine flüchtige Episode. Doch in diesem kurzen Nu offenbart die luxemburgische Künstlerin ihre Gedankenwelt. Die Welt einer Onomatopoetin.

„Knätsch.“ Es sei das Wort, das ihr am meisten gefalle. Jetzt gerade. An diesem Nachmittag. Morgen kann schon wieder alles anders sein. Die zeitliche Begrenzung zeigt, dass die Lieblingsworte sich mit der Zeit wandeln, dass sich Ideen entwickeln, weiterentwickeln, Gedanken spinnen. Onomatopoesie. Knapp und kurz definiert ist dies die sprachliche Nachahmung von außersprachlichen Schallereignissen. Also alles, was knallt, rauscht, rumpelt, klirrt und bellt, was zischt, blubbert, plappert, babbelt. Onomatopoesie fasziniere sie, sagt Kox, dieser Versuch, Geräuschen und Tönen eine sprachliche Gestalt und damit Form zu geben. „Viele dieser Worte beschreiben nicht nur das Geräusch, sondern liefern viele andere Interpretationen, Definitionen und weitere Bedeutungen mit“, erklärt die Sprachwissenschaft. So wie man eben bei Klirren nicht nur an das Zerbersten von Glas denke, sondern auch an den Bruch an sich, an den Schaden, die Zerstörung, an die Scherben und an die Gefahr, aber auch die Frage, wer die Scherben nun wegfegt und den Schaden behebt. All das schwinge mit.

Doch bei dem Wort „Knätsch“ liefert die junge Künstlerin keine Deutungshoheit mit, nicht einmal eine Übersetzung ins Hochdeutsche. Als könne man onomatopoetische Lyrik überhaupt übersetzen. Sie überlässt es dem Zuhörer, was er damit verbindet, damit verbinden möchte. Sicherlich erinnert sie sich an ihre Wurzeln, ihre Herkunft, ihre Heimat. Luxemburg. Sie mag Luxemburg und sie schätzt ihre Heimat. Manchmal aus der Ferne mehr, hin und wieder in der Nähe sehr. Sie braucht den Wandel und die Weite. Luxemburg, London, Berlin. Orte sind Worte für sie, mit einer Bedeutung, die nur sie kennt. Sie schmunzelt bei London, bleibt ernst und bestimmt bei Luxemburg, sagt Berlin ohne Nachdruck, aber fest, beinahe hart. Man achtet auf ihre Worte. Auf die Worte einer Onomatopoetin, die den tieferen Sinn und Bedeutung für sich behält. Wohlweislich.

Onomatopoesie wird allgemeinsprachlich mit Lautmalerei oder Tonmalerei übersetzt. Worte, die die Kunst von Vera Kox am besten treffen. Sie modelliert Ereignisse außerhalb von Kunst und Sprache, indem sie ihnen mit ihren Figuren, Plastiken und Installationen eine künstlerische Entsprechung gibt. Vielleicht auch eine Übersetzung. So wie die Onomatopoesie das Geräusch in Sprache übersetzt, so überträgt Vera Kox das Ereignis in fassbare, anfassbare, begreifbare Kunst. Sie verleiht dem Ereignis Hülle, Form und Funktion. Die Deutung und Bedeutung aber überlässt sie dem Betrachter, der sich mit ihrem Werk auseinandersetzt. Der das dahinterliegende Ereignis zu ergründen versucht. Etwa in einem ihrer unbezeichneten Werke: ein Stab, der in ein Kissen gefallen ist, und von diesem umfasst wird. Das Werk wirkt leicht, den Augenblick einfangend, beschreibend, eben onomatopoetisch, beinahe lyrisch. Es könnte „Pflupp“ sein. Ein dumpfer Ton. Oder „Vlumd“. Ein kurzer Ton. Ganz ohne Nachhall. Das Werk setzt Assoziationen frei. Der gerissene, aufgeplatzte Kissenbezug ist am augenfälligsten. Die Naht, der Falten werfende Stoff. Wellen der Bewegung, Wogen der Energie. Ist der Stab gefallen, oder wurde er ins Kissen geschlagen, fest und bestimmt, oder fiel er zufällig auf das Kissen. Vera Kox mag darauf keine Antwort geben. Zumindest keine explizite. Sie überlässt den Betrachter in seiner Deutungswelt und behält die ihre. Damit gelingt ihr mühelos einem der Kunst eigenen Anliegen gerecht zu werden, dass der Betrachter über Realität und Fiktion nachdenkt, sich mit der Wahrheit und der Objektivität seiner Welt auseinandersetzt, erstaunt ist, denkt, weiterdenkt, erkennt und sich unterhält, sich austauscht. Kox schmunzelt hintergründig, wenn man sie mit seinen Gedanken konfrontiert. Ist es so? Ist es tatsächlich so? Oder könnte nicht doch auch alles anders sein. Ganz anders?

Das Werk und Werken von Vera Kox setzt nicht auf das getreue Abbild. Vielmehr dekonstruiert und konstruiert sie neue Zusammenhänge. Sie geht von bekannten Assoziationen aus, die sie bricht. Nicht offensichtlich, nicht vordergründig, sondern hintergründig und vor allen Dingen hinterfragend. So entstehen neue Zusammensetzungen, neue Realitäten. Es ist nicht von ungefähr, dass die Luxemburgerin Verse über einen Foley Artist auf ihrer Webseite veröffentlicht. Ein Foley Artist ist der Geräuschemacher beim Film, der natürliche Geräusche, die bei den Filmaufnahmen verloren gehen, ersetzt, oder Handlungsgeräusche neu konstruiert. Etwa beim Boxkampf zweier Männer. Die aus dem Film bekannten, knallenden und schlagenden Geräusche und Töne haben nicht mit den Lauten zu tun, die bei einem realen Kampf zu hören sind. Vera Kox ist ein solcher Foley Artist. Das Kissen, das den Stab umfasst, ist da, umfasst ihn, aber ist es ein Kissen aus weichen Daunen und Federn?

Vera Kox sitzt am Tisch in ihrem Berliner Atelier. Gerade und aufrecht. Mit Haltung. Sie hat eine Atelierwohnung im Künstlerhaus Bethanien. Kreuzberg. Dort, wo das Leben tobt, wo gesellschaftliche Widersprüche aufeinander prallen, wo linke Utopien gegen den Staat sich wehren. Hier – unweit vom Kottbusser Tor – hat sie ihr Werkstatt, hier hat sie ihre Bleibe. Inmitten ihrer Kunst. Das Chaos bleibt außen vor, vor den Türen des Ateliers, vor den Toren des Künstlerhauses. Ihre Skulpturen sind im Raum verteilt, hier und dort, viel zu viel, so scheint es. Materialien. Dazwischen Bücher. Magazine. Kunstwerke liegen auf dem Boden, stehen und hängen an der Wand. Man mag sich kaum bewegen, aus Angst anzuecken, zu beschädigen oder diese Welt zu zerstören. Doch wenn man sich in diesem Atelier bewegt, um ihre Werke in Augenschein zu nehmen, dann erkennt man die Ordnung der Dinge, die Wege, die eingeschlagenen Bahnen, und auch das Ziel. Auch wenn ihr auf den ersten Anschein hin konfus wirkt.

Ihren eigenen Lebensweg hat sie fest im Blick. Sie habe sich seinerzeit vorgenommen nach Berlin zu kommen, ans Künstlerhaus Bethanien, einfach um die Voraussetzungen genießen zu können. Arbeiten und schaffen. Werken und erschaffen zu können. Da biete Berlin andere Bedingungen als ihre luxemburgische Heimat, und sei es einfach nur die Größe der Stadt, die Energie, die Begegnung mit anderen Menschen, anderen Künstlerinnen und Künstlern oder eben auch durch eine Institution wie das Künstlerhaus Bethanien. Sie steht für ihren Aufenthalt in Berlin gerade. Auch finanziell. „Es ist kein Stipendium, das mir erlaubt ein Jahr lang einfach nur Künstlerin zu sein“, erklärt sie. Ihre Zartheit wandelt sich in Bestimmtheit. „Ich habe mich beworben und bin aufgrund meiner Arbeit angenommen worden.“

Dennoch. Kreuzberg ist Kreuzberg und Vera Kox ist Vera Kox. Sie ist keine Künstlerin, die mit ihrem Werk den großen gesellschaftlichen Wandel herbeireden möchte, die sich selbst marktschreierisch, reißerisch überhöht, um an Höhe zu gewinnen. Sie bleibt auf ihre eigene Weise zart, in ihrer eigenen Welt, deren sichtbares Zeichen ihre Kunst ist. Sie achtet auf ihre Haltung. Aufrecht. Gerade. Geradlinig. Mit Rückgrat. Kein verschwurbelter Kunstmarketing-Sprech, keine Katalogsätze, kein Galerien-Vernissagen-Small Talk. Vera Kox ist sie selbst, authentisch – ohne dem Authentizitätsterrorismus das Wort reden zu müssen. Es braucht keine achtbändige Enzyklopädie, um ihren Kunstwerken Inhalt und Bedeutung beizumessen, oder das Dasein zu gewähren. Es ist das Werk als Synonym für den Augenblick, als neuvertonte Wirklichkeit, als neuskulpturierte Realität.

Knätsch. Das Wort. Sie sucht ständig nach einem neuen Begriff, nach einer neuen Form, einem neuen Material, das ihrem Wunsch nach einem eigenen Universum, das sich zwar an den gängigen Vorstellungen orientiert, doch lautmalerisch einen neuen Sinn haben soll, kann, muss. Manchmal scheint es, als werde die reale Welt mit aller Kraft ausgesperrt. Was nicht unbedingt mit Weltfremdheit übersetzt werden darf, sondern mit der Konzentration auf dessen, was sie macht, fertigt, vollbringt. Sie schafft sich ihre eigene Welt. In der es Knätscht.

So, wie es nur knätschen kann. Luftpolsterfolie. Diese Plastikhülle mit Noppen, die sich leicht und mit leisem Knall zerdrücken lassen. Scheinbar unachtsam liegt sie auf dem Boden. Man möchte sie aufheben und mit ploppen, knibbeln und ribbeln, leichtem Knatsch und viel Pitsch zum platzen bringen, damit sie ihre Form und ihre Funktionalität verliert, auch damit sie ihre Aufgeblasenheit verliert. Was man eben mit Luftpolsterfolie macht, an einem Nachmittag. Doch das hat Vera Kox längst erledigt, als sie die schnöde Luftpolsterfolie in ein Kunstwerk transformierte. Sie hat ihre Funktion eingebüßt, ihre Funktionalität auf alle Fälle, aber auch ihre Form, denn Kox hat sie gefestigt, hat sie eingegipst, eingemeißelt – beinahe in und für die Ewigkeit. Sie ist nicht mehr leicht und schnöde. Sie ist schwer und bedeutungsvoll. Sie ist nicht mehr transparent, sondern undurchsichtig. Kox hat die Luftpolsterfolie nachvertont. In ein einfaches, einsames, luxemburgisches Wort: Knätsch.

Vera Kox: Ausstellung zum Ende des Stipendiums im Künstlerhaus Bethanien, Berlin, Kohlfurter Straße 41-43 vom 21. August bis 21. September. Ab dem heutigen Freitag, den 13. Juni, nimmt Vera Kox an der Gruppenausstellung Gordon Matta-Clark and Beyond – Space Interventions im Salon Dahlmann in Berlin teil; www.salon-dahlmann.de/index.php/de/vorschau/#Matta-Clark.
Martin Theobald
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