Die Wirtschaft dürfte erneut im Mittelpunkt des Wahlkampfs für die Kammerwahlen nächstes Jahr stehen. Das war schon 2009 unverhofft der Fall. Damals hatten Parteizentralen und Meinungsumfragen lange Zeit einen leicht anderen Ausgang vorhergesehen. Doch die ein Jahr zuvor offen ausgebrochene Finanz- und Wirtschaftskrise hatte die verängstigten Wähler noch einmal scharenweise in die Arme der Sicherheit und Berechenbarkeit versprechenden CSV getrieben.
Da die Krise noch immer nicht vorüber ist und den Blick auf tiefgreifende Veränderungen in der Volkswirtschaft freigelegt hat, wird wohl auch nächstes Jahr vor allem über Wirtschaftspolitik abgestimmt. Und dies um so mehr, als in gesellschaftspolitischen Fragen, dem kostengünstigsten Freistellungsmerkmal, die Reformfreudigkeit der CSV sich nur noch graduell von derjenigen der linken und liberalen Parteien unterscheidet.
Allerdings dürfte der Wahlkampf nur zum Teil in dem Sinn verlaufen, wie ihn die eigens zu diesem Zweck gegründeten Unternehmerlobbys beeinflussen wollen. Denn neben der bereits angekündigten Mehrwertsteuererhöhung im Rahmen einer möglicherweise breiteren Steuerreform dürfte die Zukunft des Index der Punkt sein, zu dem jede Partei sich in ihrem Wahlprogramm äußern muss. Auch wenn fast alle Parteien, Unternehmerverbände und Gewerkschaften eindringlich von einem „Indexwahlkampf“ abraten, ist pünktlich für den 30. Jahrestag des historischen Indexwahlkampfs von 1984 zum Gedenken eine kleine Neuauflage nicht auszuschließen. Das automatische Indexsystem wird noch immer vielerorts als historische Krönung des Luxemburger Sozialstaats angesehen.
Schließlich hatte Premier Jean-Claude Juncker selbst den Startschuss gegeben, als er auf dem Parteitag der CSV vor zwei Monaten seine Partei aufforderte, in ihr Wahlprogram zu schreiben, dass sie in den nächsten „drei oder vier Jahren, so lange die Krise anhält“, den Index „deckeln“ wolle. Die Löhne und Renten nur bis zur Höhe des doppelten oder zweieinhalbfachen Mindestlohns an die Inflation anzupassen, sei schließlich ein Ausdruck von „Gerechtigkeit und sozialer Fairness“. Durch eine Indextranche bekämen nämlich einige Schwerverdiener im Land „nicht nur sieben- oder achtmal mehr als ein Mindestlohnbezieher“, sondern „auch 30 oder 40 Mal mehr“ hinzu. Aus diesem Grund solle die CSV „die Indexierung auf einem bestimmten Niveau einfrieren“.
Wie von Juncker vorhergesehen, muss sich nun eine Partei nach der anderen darauf festlegen, was sie über den Index in ihr Wahlprogramm schreiben will, das heißt darüber, wie es weitergehen soll, wenn das derzeitige Gesetz über die Indexmanipulation Ende nächsten Jahres ausläuft und das ursprüngliche System der automatischen Indexanpassungen wieder in Kraft tritt. Bemerkenswerterweise gibt es keine einzige Partei, auch nicht Jean-Claude Junckers CSV, die für eine Verlängerung der augenblicklichen Index-Bewirtschaftung mit einer Indextranche jährlich eintritt. Vielleicht auch, weil die jährliche Inflationsrate mit 1,7 Prozent im April niedriger ist als eine solchermaßen verordnete Indextranche von 2,5 Prozent. Andererseits gibt es auch keine einzige Partei, nicht einmal die für besonders wirtschaftsnah gehaltene DP, welche der Forderung des Unternehmerdachverbands UEL nach einer vollständigen „Desindexierung des Landes“ nachkommen will, also der ersatzlosen Abschaffung des Index bei der Lohn- und Rentenberechnung, aber auch in gewerblichen Miet- und Dienstleistungsverträgen.
Während der parlamentarischen Debatten über die Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts hatte DP-Fraktionssprecher Claude Claude Meisch vor einer Woche betont: „Wir stehen eigentlich zum Prinzip des Index, aber wenn es auf Kosten von Arbeitsplätzen geht, dann muss man darüber reden können. Und unser Vorschlag, den wir auch schon am Begin der Krise gemacht hatten, lautet, eine Indextranche fallen zu lassen, bevor wir wieder in den normalen Rhythmus einsteigen würden. Aus einer Reihe von Gründen: um dadurch die Inflation ein Stück zu bremsen; weil wir aber auch merken, dass in Luxemburg eine höhere Inflation als im Ausland und vor allem bei unseren Hauptkonkurrenten herrscht; um den Betrieben ein wenig Luft zu verschaffen; weil so aber auch Arbeitsplätze abgesichert werden. Weil es aber auch eine soziale Maßnahme ist, weil jeder seinen Beitrag leistet.“ Denn jeder würde „dabei 2,5 Prozent seines Einkommens aufgeben, und das ist für jemand, der das Vielfache des Mindestlohns verdient, weit mehr als für jemand, der um den Mindestlohn ist“. Deshalb sollte die Aufgabe einer Indextranche auch „kombiniert mit einer weiteren Anpassung des Mindestlohns werden, die wir bisher immer mitgetragen haben“.
Zusätzlich will die DP mit dem Vorschlag in die Wahlen gehen, „über den Warenkorb zu reden, wir müssen über den Warenkorb reden, vor allem, was die Gewichtung der Energie anbelangt“. Dies dränge sich auch im Sinne einer Politik auf, welche „von den Leuten im Land ein nachhaltiges Verhalten“ verlangen wolle. Es sei nämlich „nicht unbedingt sinnvoll, dass für die Mehrausgabe, die ich beim Heizen oder an der Tankstelle zahlen muss, nachher allein der Unternehmer aufkommt.“
Weil Indexmanipulationen aller Art bei einem großen Teil der Wähler eher schlecht ankommen, hätte die DP am liebsten, dass keine andere Partei einen Vorteil daraus ziehen würde. Deshalb wünschte sich Meisch „einen Pakt rund um den Index, zwischen Unternehmern und auch zwischen den Beschäftigten“. Während die Beschäftigten auf eine Indextranche verzichten sollen, sollen die Betriebe sich verpflichten, weniger Arbeitsplätze abzubauen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und mehr Jugendliche in Ausbildung zu nehmen. „Allerdings zweifele ich daran, dass ein solcher Pakt möglich ist“, räumte Meisch ein.
Gleich nach dem CSV-Parteitag hatten die Grünen in einer Pressemitteilung am 12. März daran erinnert, dass auch sie vor zwei Jahren für die Indexmanipulation gestimmt hatten, und stellten fest: „Eine dauerhafte Deckelung des Index ist keine Lösung für déi Gréng! In Luxemburg verdient nur die Hälfte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weniger als den zweifachen Mindestlohn. Diese arbeiten im Handwerk, auf dem Bau und in der Horesca. Deren Betriebe würden also von der Maßnahme gar nicht profitieren. Mehr als der doppelte Mindestlohn wird von der anderen Hälfte der Arbeitnehmer verdient, vor allem beim Staat, in der Erziehung und bei Banken und Versicherungen. ‚Warum sollen wir die Gewinne der Banken und Versicherungen weiter wachsen lassen?’, meint dazu Henri Kox und erklärt: ‚Der Index ist ein Instrument, um die Inflation bei den Löhnen zu kompensieren, das wir nicht in Frage stellen dürfen. Die Deckelung des Index führt mittelfristig keineswegs zu einem Ausgleich der Staatsfinanzen.’ François Bausch fordert dazu: ‚Statt billiger Polemik, sollte der Premier Vorschläge machen für eine gerechte und progressive Steuerpolitik. Denn so könnten wir nicht nur die hohen Arbeitseinkommen, sondern auch die Kapitaleinkommen zur Kasse bitten und den Abbau des Sozialstaates verhindern!’“
Nach dem Scheitern der Tripartite vor drei Jahren hatten die Grünen auch schon den von Jean-Claude Juncker vorgeschlagenen „ökologischen Index“ begrüßt und im Oktober 2010 erklärt, sie seien schon „bereit, das Erdöl aus dem Warenkorb des Index herauszunehmen, wenn vorher Maßnahmen ergriffen werden, die es den Menschen ermöglichen, sich von der Abhängigkeit des Erdöls in der Mobilität und beim Wohnen zu lösen.“
Einen Vorteil aus den Vorschlägen anderer Parteien zu weiteren Indexmanipulationen sucht die LSAP zu gewinnen. Denn sie will ganz einfach mit dem Versprechen nach der Wiedereinführung der automatischen Indexanpassungen in die Wahlen ziehen. Vielleicht deshalb hatte sich LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider bei der Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit gewünscht, dass am liebsten gar nicht über den Index geredet werden sollte. In Wirklichkeit hat die LSAP aber kaum eine andere Wahl. Ihre wichtigste Wählerbasis ist noch immer der industrielle Süden, und ihre Wähler strafen sie bei jeder Steuererhöhung oder Kürzung von Sozialleistungen besonders hart ab. Bei der vom Tageblatt Ende 2012 veröffentlichten Wählerbefragung kam die LSAP gerade noch auf 24,5 Prozent Zuspruch im Südbezirk – bei den Indexwahlen 1984 waren es noch 41,3 Prozent.
Deshalb erinnerte LSAP-Parteipräsident Alex Bodry vergangene Woche vor dem Parlament daran, dass das augenblickliche Gesetz Ende nächsten Jahres ausläuft. Danach würden „am 1. Januar die Uhren auf null gestellt und dann soll das alte System weiter funktionieren. Ich bin der Meinung, dass – wenn das eintrifft, was die Experten sagen und was wir nun nach Brüssel mitgeteilt haben – dass wir wieder damit rechnen können, ab 2105 ein Wirtschaftswachstum von um die drei Prozent, aber eine Inflationsrate von zwei Prozent oder weniger zu haben, so dass unsere Luxemburger Wirtschaft eine solche Indexierung, das alte System, weiter gut ertragen kann. Dass das nicht der Tod der Luxemburger Wirtschaft sein wird, sondern das, was eigentlich 30 Jahre lang galt, dann ab 2015 auch wieder einmal gelten kann.“ Denn „es gibt eigentlich keinen Grund dafür, das Indexsystem, das wir gekannt haben – und das unter anderem auch für den sozialen Frieden hier gesorgt hat, das auch dafür sorgte, dass das Lebensniveau der Leute erhalten blieb – es gibt keinen Grund, dieses System in Frage zu stellen.“
Sollte es dabei zu „Entgleisungen“ kommen in „Wirtschaftsbereichen, wo diese Parameter nicht stimmen“, dann solle man sich laut Bodry, wie in den guten alten Zeiten der Tripartite, wieder mit den Sozialpartnern zusammensetzen und diese Frage diskutieren. Für diesen Fall schlug Wirtschaftsminister Etienne Schneider in seiner Note an das Parlament vor, wie schon im Koalitionsabkommen von 2009 vorgesehen, die Indikatoren zu ersetzen, welche in Ausführung des Tripartite-Gesetzes von 1977 den Anlass zu Indexmanipulationen geben sollen.
Dagegen verlangen déi Lénk und die Kommunistische Partei, welche die LSAP laut Meinungsumfragen derzeit Stimmen kosten könnten, weiterhin eine bedingungslose Wiedereinführung der automatischen Indexanpassung. Sie stelle schließlich keine Einkommenserhöhung dar, sondern solle nur verhindern, dass die Inflation die Löhne und Renten real senke.
Auch die ADR spricht sich für die Beibehaltung des Index aus, wobei die Rückkehr zu staatlichen Preiskontrollen den selbstauslösenden Effekt des Index und ungerechtfertigte Preiserhöhungen verhindern soll. Zum „gedeckelten Index“ der CSV meinte vergangene Woche Fernand Kartheiser, der als Präsident die Rentenpartei rechts von der CSV verorten wollte: „Ich muss aber sagen, dass diese Debatte sich in der Öffentlichkeit so weit entwickelt hat, dass inzwischen jeder sieht, dass eine Diskussion um den gedeckelten Index an sich nutzlos und eine Form von Populismus ist.“