In Anspielung auf den derzeit tagenden parlamentarischen Ermittlungsausschuss über den Geheimdienst und auf den laufenden Prozess um die Bombenanschläge der Achtzigerjahre meinte Mittelstands-, Fremdenverkehrs- und Chancengleichheitsministerin Françoise Hetto-Gaasch am Samstag, dass in ihrer Partei „viele Leute verunsichert“ seien. Tatsächlich dürften die Hunderten von Delegierten, die zum CSV-Kongress nach Junglinster geströmt waren, auf ein klärendes und vor allem beruhigendes Wort gewartet haben, was wahr und was unwahr an diesen täglich neuen, haarsträubenden Spionagegeschichten ist, und besonders, ob ihr Premierminister und Parteistar Jean-Claude Juncker dabei Schuld auf sich geladen hat. Deshalb handelte es sich für die Ministerin um einen „wichtigen Kongress“, damit die CSV „zusammensteht, zusammenhält“ und „keine Schwäche zulässt“, wie sie im passenden Drilljargon meinte.
In seiner Schlussrede beschwerte sich Premier Jean-Claude Juncker, dass eine Stimmung geschaffen werde, um „das Land in Daueraufregung zu versetzen“, kein Land könne sich aber über längere Zeit in Daueraufregung befinden. Zu der Stimmung trug auch bei, dass Juncker, ganz ungewohnt, unter dem Schutz einer Prätorianergarde von Polizeibeamten mit Stöpseln im Ohr angereist war, die ihn und den Saal während des ganzen Kongresses gar nicht unauffällig überwachten. Im Gegensatz zu der sonst üblichen Verschwiegenheit bei Fragen des Personenschutzes hatten die Polizei vergangene Woche in einer Pressemitteilung und CSV-Innenminister Jean-Marie Halsdorf auf eine parlamentarische Anfrage hin von „Indikatoren aus dem Ausland, welche auf mögliche Drohungen gegenüber der Person des Premierministers Jean-Claude Juncker und des Außenministers Jean Asselborn“ berichtet. Das Luxemburger Wort spöttelte daraufhin am Samstag, da wisse „das Volk doch endlich, wozu man einen Geheimdienst braucht“.
Jean-Claude Juncker fühlte sich durch diese Affären jedenfalls davon abgehalten, sich den wesentlichen Problemen des Landes zu widmen. Zuerst habe er sich monatelang mit den Immobiliengeschäften in Wickringen und Livingen beschäftigen müssen, mit denen er überhaupt nichts zu tun gehabt habe. Nun müsse er viel Zeit auf die Geheimdienstaffäre verwenden, die allerdings tatsächlich eine Affäre sei.
Bereits bei seiner Pressekonferenz am 6. Dezember hatte Juncker sich gefragt, wer Interesse daran gehabt habe, die bereits mehrere Jahre zurückliegende und dank des parlamentarischen Geheimdienstkontrollausschusses auch der Opposition bekannte Geheimdienstaffäre gerade jetzt auffliegen zu lassen, und auch am Samstag ließ er den Verdacht im Raum stehen, dass nicht genannte Strippenzieher gezielt eine Atmosphäre der Daueraufregung schaffen und ihn am Regieren hindern wollten.
In der CSV geht der Verdacht um, dass derzeit ein Angriff auf ihren Spitzenkandidat läuft. Nach nunmehr 30 Jahren Regierungstätigkeit scheint er noch immer unverrückbar, seine Versuche, sich zugunsten eines europapolitischen Amtes abzusetzen, sind gescheitert. Weil alles andere nicht geholfen habe, solle er nun aus dem Hinterhalt destabilisiert und mit den Mitteln der psychologischen Kriegsführung gar zu Fall gebracht werden, wird geargwöhnt.
CSV-Präsident Michel Wolter, der beim besten Willen keinen Zufall ausmachen konnte, wurde am Samstag deutlicher als Juncker: Monatelang sei die Regierung wegen der Immobiliengeschäfte in Wickringen und Livingen verdächtigt und unter Druck gesetzt worden. Bis im Juli dann ein Polizeibericht gezeigt habe, dass es sich um eine Inszenierung der DP und eines Promotors gehandelt habe, der sich an die DP gewandt habe.
Laut der am 10. Juli 2012 dem Parlament von der Staatsanwaltschaft zugestellten Akte über eine Voruntersuchung wegen Korruptionsvorwürfen hatten sich Teilhaber der Gruppe Guy Rollinger hilfesuchend an den DP-Abgeordneten Paul Helminger gewandt, dessen Parteipräsident Claude Meisch dann mit Unterstützung des grünen Fraktionssprechers François Bausch während einer Pressekonferenz am 7. Juni Regierungsmitglieder der Korruption und Erpressung verdächtigt hatte.
Laut dem CSV-Präsidenten habe die Affäre Wickringen-Livingen mit dem Bekanntwerden der Vorermittlungsakte und damit der Verwicklung der Liberalen zu Beginn des Sommerurlaubs „von einer Sekunde zur anderen nicht mehr interessant“ geschienen. Dafür sei dann nach den Ferien gleich die Geheimdienstaffäre gefolgt. Am 19. November hatte Jean-Claude Juncker in einem Interview mit RTL bestätigt, dass sein ehemaliger Nachrichtendienstdirektor Marco Mille heimlich ein Gespräch mit ihm aufgezeichnet hatte.
Michel Wolter konnte sich jedenfalls des Eindrucks nicht erwehren, dass mit solchen Affären abgelenkt, dass „insbesondere der Staatsminister angegriffen“ werden solle. Wo er die Urheber dieses Komplotts zur Destabilisierung des Regierungschefs vermutet, wollte der CSV-Präsident nicht sagen – außer dass er Parallelen zu der von ihm als Inszenierung der DP dargestellten Affäre Wickringen-Livingen zog. Dafür schießen die Spekulationen anderer Anhänger einer Komplotttheorie ein Jahr vor den Kammerwahlen um so wilder ins Kraut: Die Verdächtigungen reichen von offenbar zu Allem fähigen aktuellen und ehemaligen Geheimdienstbeamten über ausländische Nachrichtendienste bis hin zu unzufriedenen oder auf Rache sinnenden Wirtschaftskreisen, der durch Junckers anhaltende Popularität frustrierten politischen Opposition und über seine politische Langlebigkeit und sozialdemokratische Gesinnung unglücklichen Parteikollegen.
Um zu verhindern, dass auf diese Weise ein von Michel Wolter befürchteter „ganz, ganz langer Wahlkampf“ geführt wird, hofft man nun, dass pünktlich zur Sommerpause der nun bereits hinter verschlossenen Türen tagende parlamentarische Ermittlungsausschuss seinen Abschlussbericht über den Nachrichtendienst vorlegt und die Neunte Strafkammer sich zur Urteilsfindung über die Bommeleeërten zurückzieht. Behält der CSV-Präsident Recht, müsste dann im Herbst die nächste Affäre folgen.