Europäische Saatgutverordnung

Eine rote Banane

d'Lëtzebuerger Land vom 24.05.2013

Diese Banane ist rot, ein wenig klein, leicht länglich in der Form, aber keinesfalls krumm und hat nur selten braune Flecken. Sie schmeckt fruchtig, doch nicht nach der gelben Tropenfrucht, sondern nach Paradiesapfel. Die Tomatensorte „Banane“ ist eine so genannte Regionalsorte – eine regionale Saatgutsorte, die von Hobbygärtner vermehrt und deren Samen im Tauschhandel erhältlich sind.

Und so soll es auch weiterhin bleiben. Das steht jedenfalls in der neuen Saatgut-Verordnung der EU-Kommission. Sie bringe Artenvielfalt und Verbraucherschutz zusammen, erklären die Befürworter der Novelle. Eine Beschlussfassung dazu hat die EU-Kommission dem Europaparlament Anfang Mai vorgelegt.

Alles gut. Einerseits. Andererseits regte sich bereits Ende April Widerstand gegen diese neue Verordnung. Sie ebne dem Einheitssaatgut den Weg und würde traditionsreiche, regionale Saaten vom Markt verbannen, denn diese Zertifizierung von Saatgut könnten sich nur wenige Unternehmen und Konzerne leisten.

Die Gegner der neuen Verordnung werfen der EU-Kommission vor allem Intransparenz und Lobbyismus vor. Wieder einmal. Die Novelle sei hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden und sehr zum Vorteil von Lebensmittelkonzernen wie Monsanto und Syngenta ausgefallen. Doch schon im Sommer vergangenen Jahres erschien in der Union ein so genanntes Non-Paper zu Neuregelungen des Saat- und Pflanzgutverkehrs. Ziel der Neuregelung sei es, die derzeit zwölf verschiedenen Richtlinien für Saatgut durch eine einzige zu ersetzen, die dann auch für die gesamte EU gelten solle. Dies sei das wichtigste Anliegen der Novelle, sagte der zuständige EU-Kommissar Tonio Borg. Zusätzlich zu den nationalen Registrierungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU soll es zusätzlich nur eine einzige weitere europäische Prozedur für den Binnenmarkt geben.

In diesem Registrierungsverfahren werden Mindeststandards festgeschrieben für alles, was irgendwie pflanzbar ist und gesät werden kann, unabhängig davon, ob es sich um landwirtschaftliche Nutz- oder Zierpflanzen handle. Die Registrierung von Saaten ist notwendig, denn sie garantiert unter anderem deren Keimfähigkeit sowie Schädlingsfreiheit und schreibt deren Verwendungszweck fest. „Man sieht Saatgut seine Ertragsfähigkeit, Krankheitsresistenz und Qualität nicht an“, teilte etwa der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter mit, der die Brüsseler Novelle gutheißt. „Deshalb müssen die Sorten und das Saatgut vor dem Verkauf getestet werden.“ Dabei wird auch ganz banal der richtige Verwendungszweck sichergestellt, ob die Weizensorte sich zum Backen oder doch nur als Futtermittel für Tiere taugt. Der Unterschied zwischen Back- und Futterweizen erschließt sich dem Laien nur zögerlich.

Ebenfalls im vergangenen Jahr fällte der Europäische Gerichtshof ein Urteil, in dem er das geltende gemeinschaftliche Saatgutrecht bestätigte. Darin sind auch spezielle Ausnahmeregelungen für Erhaltungs- und Amateursorten enthalten. Dies sind traditionsreiche und regionale Saaten. Sie können unter vereinfachten Bedingungen zugelassen werden.

Doch wie genau Erhaltungs- und Amateursorten definiert werden, welches Saatgut dazugehört, wie groß die Anbaufläche für diese Sorten sein darf und wie der Handel der Saaten geregelt sein wird, darüber gab und gibt es noch wenig Klarheit und Auskunftsfreude der EU, auch nicht darüber, wie genau das Zertifizierungsverfahren für neue Pflanzsorten ausgestaltet sein wird.

So sorgte denn die neue Verordnung für Befürchtungen bei Landwirten und Kleingärtnern, dass sie künftig nur noch und ausschließlich einheitliches, zertifiziertes Saat- und Pflanzgut anbauen dürften – allen Ausnahmen zum Trotz, denn mit dem Anbau zertifizierter Sorten sei man auf der – rechtlich – sicheren Seite. Kritiker der neuen Verordnungen sehen darin Vorteile für Lebensmittelkonzerne wie Monsanto oder BASF, die eher dazu in der Lage seien ein solches Verfahren finanziell und personell zu stemmen.

Doch Brüssel übt sich in seinem Mantra: „Ziel der Überarbeitung der Gesetzgebung ist eine vereinfachte Registrierung der verschiedenen Saatgutarten“, so die Europa-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt (SPE/PSE). Dies gelte auch und vor allem für alte und traditionsreiche Sorten. Bei diesem müsse lediglich nachgewiesen werden, dass sie bereits seit einiger Zeit angebaut werden. Zudem sei die Registrierung dieser Saatguten für Kleinstunternehmen – weniger als zehn Beschäftigte und zwei Millionen Euro Umsatz im Jahr – kostenlos. „Niemand in Brüssel will die alten und traditionellen Pflanzenarten verbieten. Sie sind Teil unserer Kultur. Wir tun unser Bestes, um etwa seltene Auberginenarten zu schützen, die nur auf einer griechischen Insel wachsen“, versichert die Europaabgeordnete. Und weiter: „Kleingärtner können weiterhin die Samen pflanzen, die sie pflanzen möchten. Auch werden Landwirte nicht von einer Zugangsbeschränkung zu Saatgut betroffen sein.“

Doch wie lange genau ist „einige Zeit“? Wann wird eine Pflanzgutsorte zur tradi-tionsreichen Saat unter besonderem Schutz und mit Ausnahmegenehmigung? Darf etwa eine regionale und traditionsreiche Tomatensorte „Banane“ so oft vermehrt werden, bis sie zum großflächigen Anbau ausreichend vorhanden ist? Und überhaupt: Geht es der EU-Kommission wirklich nur um eine Novelle der Verordnung und Bürokratieabbau?

Nur vorgeschoben, kontert Martin Häusling von der Fraktion der Grünen im EU-Parlament: „Hinter dem Vorgehen der Kommission ist ein massiver Druck zu erkennen, den großen Agrar- und Saatgutkonzernen den Weg zu ebnen.“ Andere Kritiker befürchten zudem, dass künftig nur noch Hochleistungssorten angebaut würden, so lange nicht klare Regeln auch für den Vertrieb und Handel von Traditionssorten erlassen werden, dass die Tomate „Banane“ eben auch von griechischen wie spanischen und niederländischen Landwirten angebaut und in den Handel gebracht werden darf.

Der eigentliche Knackpunkt in der Novelle liegt aber im übertriebenen Willen zum Bürokratieabbau in der EU. So will die Kommission künftig Firmen erlauben, selbst die entsprechenden Zulassungstests durchzuführen – selbstredend „unter Aufsicht der zuständigen Behörden“, wie es aus Brüssel backweizenfluffig heißt. Dies ist jedoch nichts anderes als ein Freibrief für Agrarkonzerne, sich ihre eigenen Saaten und Sorten selbst zu bewilligen. Das EU-Parlament wird in den kommenden Wochen über die Novelle beraten.

Martin Theobald
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