Die WW2-Digitialausstellung ging im Dezember online. Welchen Erkenntnisgewinn bringt das Projekt über die Zeit des zweiten Weltkrieges?

Vergangenheit visualisieren

d'Lëtzebuerger Land vom 10.01.2025

Auf der Webseite WW2 ploppt eine Landeskarte auf, auf der mehrere Stecknadeln zu sehen sind. Wer auf Mersch klickt, sieht, wie im Zentrum von Mersch die Ziegelstein-Fassade des Hotel Rauschs aus der Mitte des 20. Jahrhunderts von der aktuellen weißen Fassade überlagert wird – die multimediale Bildbearbeitung schafft einen Bezug zwischen Früher und Heute. Klickt man auf das Abspiel-Symbol, beginnt ein etwa zweiminütiger Videoclip: Man sieht Soldaten in Uniform an endlos wirkenden Tischreihen sitzen; ihnen wird Kaffee von Frauen in weißen Hemden serviert. Die Off-Stimme erläutert, dass die Aufnahmen vom Sonntag, dem 15. Februar 1943 stammen; in ihrer dienstfreien Zeit suchten die Soldaten im Festsaal des Hotel Rausch Zerstreuung. Organisiert wurde der Nachmittag von der örtlichen Frauenorganisation der Nazi-Partei von Mersch. Eine für die damalige Zeit typische Veranstaltung.

Die interaktive Webseite wurde von der an der Universität Lüttich promovierten Archäologin Muriel Van Ruymbeke im Rahmen eines Postdoc-Vertrags zusammengestellt. Zwei Jahre lang arbeitete sie am Zentrum für Luxemburger Zeitgeschichte und digitale Geschichtswissenschaft (CD2H) an dem Projekt. Es habe ihr Freude bereitet, die Ausstellung zu gestalten, „weil meine Arbeit mir sinnvoll erschien und ich einige Parallelen zu heute ziehen konnte“. Denn derzeit verschärfen sich politische und gesellschaftliche Spannungen erneut, so Van Ruymbeke. 400 Fotos wurden aus den Nationalarchiven und der städtischen Fotothek digitalisiert – sie schätzt, dass diese nur etwa 20 Prozent des eigentlichen Bestands zum zweiten Weltkrieg ausmachen. Mehrere Videos wurden zudem im CNA entdeckt. „Die meisten Fotos muss ich noch verschlagworten“, kommentiert die Forscherin den Arbeitsaufwand für die kommenden Monate. Van Ruymbeke spricht zudem viel über die klassischen Musiktöne, die in die Webseite intergriert sind, kann aber nicht erläutern, welche neuen Forschungsergebnisse auf der Webseite zu sehen sind.

Für die digitale Ausstellung blieb die Arbeitslast nicht allein an der Postdoktorandin hängen: Die Kommunikationsfirma Bunker Palace aus Düdelingen übernahm die grafische Gestaltung, und das Mediacenter der Universität kümmerte sich um die informatische Umsetzung. 30 verschiedene Personen steuerten kurze Katalogtexte bei. Supervisiert wurde die Postdoktorandin von Professor Christoph Brüll, einem deutschsprachigen Belgier, mit unter anderem einer Station an der frankophonen Universität Lüttich. Er ist auf die Sozialgeschichte und transnationale Politik Westeuropas spezialisiert.

Auf der Homepage sind noch weitere Orte vermerkt, wie die Schieferminen von Martelingen, Diekirch und das städtische Bahnhofsviertel. Auch nach Russland kann sich der Cursor navigieren: zum Gefangenenlager Tambow. Dort wurden die zwangsrekrutierten Wehrmachtsoldaten zusammen mit Deutschen, Elsässern und Italienern festgehalten – in Wintern mit knietiefem Schnee. Aquarelle des ehemaligen Gefangenen Jos Zeimetz (1923–2017) werden in einem Clip gezeigt, der von der Historikerin Inna Ganschow kommentiert wird, der Autorin des Buches 100 Jahre Russen in Luxemburg. In der gesamten Sowjetunion wurden 2 000 Luxemburger gefangen gehalten. Im Süden von Luxemburg taucht Mondorf unter einer Stecknadel auf: In den 1920er- und 1930er-Jahren zählte der Kurort mehrere Grand Hotels, darunter das luxuriöse Palace Hotel. Während des Krieges residierten dort Familienangehörige von Nazi-Offizieren. In dem dazugehörigen Erklärvideo werden Kinder gezeigt, die auf einer Schaukel spielen oder an einem Springbrunnen ein Schiffchen durchs Wasser ziehen. In der Parkanlage sieht man nationalsozialistische Funktionäre in Uniform, ein Weinglas oder einen Fotoapparat in der Hand. Die 22 Amtsbezirke in Luxemburg wurden während der Besatzung eigentlich von Deutschen verwaltet. In der Kurgemeinde Mondorf jedoch war der Leiter ein Luxemburger, aufgrund seiner nationalsozialistischen Gesinnung. Zugleich war er Direktor der Thermalbäder. Nach dem Krieg wurde das Palace Hotel in ein Kriegsgefangenenlager umgewandelt, in dem unter anderem Hermann Göring festgehalten wurde. Bis September 1945 fanden dort Verhöre statt, bevor die Gefangenen nach Nürnberg überführt wurden. 1988 wurden aus dem Luxushotel die Thermalbäder von Mondorf.

Der Amtsdistriktleiter von Mondorf war Jacques Lichtfuss, wie Joé Voncken erläutert (denn im Film wird der Name nicht genannt.) Voncken arbeitet der derzeit an einer Doktorarbeit über deutsche Verwaltungsinstanzen und lokale Behörden im annektierten Luxemburg; seine Dissertation wird voraussichtlich in einem Jahr vorliegen. „1941 wurden die gewählten luxemburgischen Bürgermeister in größeren Kommunen abgesetzt. In kleineren Gemeinden konnten sie ihr Amt behalten, wurden jedoch von Ortsgruppenleitern überwacht“, erklärt er. Die Nationalsozialisten führten zudem Amtsbezirksverwalter ein, unter anderem in Esch/Alzette, Diekirch und Mondorf. „Jacques Lichtfuss ist eine interessante Persönlichkeit, nicht zuletzt, weil er ein Vielschreiber war. Er war bereits in der Zwischenkriegszeit schriftstellerisch tätig und war etwa Mitbegründer der Gesellschaft für deutsche Literatur und Kunst“. Seine Beiträge veröffentlichte unter anderem in der Zeitung für kleine Leute und im Luxemburger hinkenden Boten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, nachdem er jedoch frühzeitig entlassen wurde heiratete er Charlotte Kratzenberg, die Tochter von Damian Kratzenberg, Leiter der Volksdeutschen Bewegung. Ab 1951 lebte er mit ihr in Baden-Baden, erneut in einem Kurort, wo er weiterhin publizistisch tätig war.

Der Historiker Joé Voncken hat zwei Dutzend Gemeindearchive durchforstet, um Archivmaterial aufzuspüren. „Relativ umfassend sind die Archive von Düdelingen, Ettelbrück und Echternach; dort konnte ich auch Polizeiberichte über Deserteure und ähnliches auffinden.“ Er befasste sich auch mit den Gemeindearchiven von Steinfort, Luxemburg-Stadt und Mersch. Gleichzeitig stellt er fest, dass es große Lücken in den Archiven gibt, „entweder weil Nazifunktionäre diese kurz vor dem Fall ihres Regimes zerstörten oder lokale Milizen ganze Ordner beschlagnahmten, um beispielsweise Anklagen gegen Kollaborateure vorzubereiten“. Im Nationalarchiv stieß er auf einen aufschlussreichen Polizeibericht aus dem Jahr 1941 über Konsdorf, verfasst von einem Beamten des so genannten Einsatzkommandos vom Sicherheitsdienst. Darin wird die „deutsch-feindliche Haltung der meisten Dorfbewohner“ beklagt, die „offen zum Ausbruch“ kam, indem luxemburgische Fahnen geschwenkt wurden und „französischsprachige Lieder“ erklangen. Der Gendarmiewachtmeister Hansen eilte den Nationalsozialisten nicht zur Seite, denn er „bemerke keinerlei Demonstration“.

Weiterhin wird der Gemeindesekretär Aloys Hoss beschuldigt, Anordnungen der deutschen Behörden sabotiert zu haben – er habe die „Anschaffung von Hakenkreuzfahnen und Führerbildern für Grundschulen“ verweigert. Der Verfasser des Berichts schreibt: „Nach den Gründen ihres Verhaltens befragt, gaben die Verantwortlichen an, dass man eine abwartende Haltung einnehmen wollte.“ Und sieht in diesem Verhalten eine typische Einstellung luxemburgischer Gemeindebeamter – sie würden die deutsche Besatzung als ein vorübergehendes Intermezzo wahrnehmen. Öffentliche Oppostionsbekundungen wie in Konsdorf waren jedoch eher selten, die luxemburgische Bevölkerung verhielt sich größtenteils passiv. So schlussfolgert Voncken: „Während einige die aktive Zusammenarbeit mit deutschen Behörden und Parteiorganen suchten, andere sich hingegen mehr oder weniger offen widersetzten, wartete ein Großteil der Bevölkerung die Entwicklung der Lage ab.“ 

Das Digitalprojekt WW2 ist nicht das erste seiner Art. 2014 sagte das Staatsministerium zusammen mit Kulturministerin Maggy Nagel (DP) eine vom Historiker Benoît Majerus kuratierte Ausstellung für das Museum Dräi Eechelen über den Ersten Weltkrieg aus Kostengründen ab. Schließlich wurde 2018 eine Ersatz-Ausstellung im Internet online gestellt. Das Format fand Nachahmer: 2019 folgte eine Webseiten-Ausstellung über die Geschichte der BGL; im Jahr darauf eine über die Post (175joerpost.lu) und vor zwei Jahren wurde eine weitere über das Statec (Framing Luxembourg) veröffentlicht. Im Land wurde vor allem letztere als reüssiert wahrgenommen, da sie das Potenzial des digitalen Mediums optimal ausnutzte: Mit dem Cursor könne der Internetnutzer spielerisch verschiedene Kurven zu Bevölkerungswachstum, Heiratsraten und Arbeitslosenquote entdecken.

Die Ausstellungen über die Weltkriege und das Statec wurden aus Steuergeldern finanziert; diejenigen über die BGL und die Post waren hingegen Auftragsarbeiten von Privatunternehmen. Wie hoch das Budget für die WW2-Ausstellung angesetzt war, teilte das Staatsministerium nicht mit. Der Direktor des C2DH, Professor Andreas Fickers, war für eine Auskunft ebenfalls nicht erreichbar. Die 2018 abgesagte Ausstellung vor Ort im Dräi Eechelen hätte 256 000 Euro gekostet; laut Tageblatt sei die schließlich von Denis Scuto und Sandra Camarda durchgeführte Digital-Ausstellung jedoch „wesentlich teurer“ gewesen. Angesichts der Tatsache, dass für das WW2-Projekt eine dreijährige Postdoc-Stelle und externe Kommunikationsexperten eingesetzt wurden, dürfte auch dieses Projekt deutlich höhere Kosten verursacht haben. Die Zusammenarbeit zwischen der Universität Luxemburg und Unternehmen hat hierzulande bereits fast Tradition: Es gibt und gab Lehrstühle, die von der Deutschen Bank, PayPal, Atoz, SES, ArcelorMittal und Arendt & Medernach finanziert werden. Darüber hinaus stiftet Ferrero mehrere Stipendien. Die Nähe der Geschichtswissenschaft der Universität zu Unternehmen sorgt intern allerdings für Unbehagen. Forschungseinrichtungen sollten eigentlich unabhängig arbeiten können, ohne dass Unternehmensinteressen einfließen. Im Tageblatt sagte Benoît Majerus im April 2023: „J’ai participé récemment à deux projets commémoratifs, l‘un sur la CSSF, l‘autre sur BGL BNP Paribas. J’ai écrit autrement. Je suis aussi prisonnier dans ces cas.“ Dennoch kann diese Zusammenarbeit Historikern den Zugang zu Archiven von Privatunternehmen ermöglichen. Das zunächst deskriptiv dokumentierte Material kann später in einem unternehmensunabhängigen Kontext historisch-kritisch interpretiert werden.

Wer sich mit dem WW2-Projekt befasst, könnte den Eindruck gewinnen, dass die Reihenfolge der Arbeitsschritte durcheinandergeraten ist: Müssten nicht zuerst die Grundlagenforschungsergebnisse aus den Gemeindearchiven vorliegen, bevor eine Ausstellung konzipiert wird? Denn welchen Erkenntnisgewinn bietet die nun online gestellte Plattform? Historisch-kritische Einordnungen, Interpretationen und wissenschaftliche Aufarbeitungen sind die eigentlich primäre Aufgabe universitärer Institutionen. So beschrieb sie auch der Direktor des C2DH, Andreas Fickers, 2019 gegenüber dem Land: Das Zentrum strebe eine kritische Reflexion darüber an, wie Wissenschaft durch digitale Daten, Methoden und Infrastrukturen geprägt wird – man betreibe „digitale Hermeneutik“.

Solider aufgestellt ist hingegen das Shoa-Memorial-Projekt des C2DH. Es wurde im Januar 2021 lanciert und beinhaltet Grundlagenforschung zu jüdischen Biografien im zweiten Weltkrieg und geraubtem Eigentum – von Gemälden, Geld, Büchern und Möbeln. Eine Inventur erfolgt im City Museum im nationalen Museum für Kunst und Geschichte, der Sammlung der Villa Vauban und in der Nationalbibliothek. In letzterer beispielsweise untersucht der Postdoc Marc Adam Kolakowski die Provenienz von 50 000 Dokumenten, die vor 1945 veröffentlicht wurden und zum nicht-luxemburgischen Bestand gehören. Aufschluss über die Herkunft der Dokumente sollen Widmungen, Besitzeinträge oder Stempel geben. Auf der Memorial-Soah-Webseite sind mittlerweile 152 Biografien abrufbar, die ähnlich wie im Luxemburger Autorenlexikon wie ein Nachschlagwerk konsultiert werden können. 

Die Reichweite der neuen WW2-Webseite wurde bisher noch nicht erfasst. Am stärksten besucht wurde bislang die Seite über den Ersten Weltkrieg; laut C2DH wird sie jährlich von rund 8 000 Nutzern aufgerufen. Die Kommunikationsphase für die neue Ausstellung läuft jetzt erst an. Gemeinsam mit dem Bildungsministerium möchte man ausloten, wie das Material mit Schulklassen besprochen werden kann. Zudem wird noch entschieden, welche Videoclips über Instagram verbreitet werden sollen und mit welchen Lokalvereinen im ländlichen Raum Konferenzen organisiert werden können. Denn tatsächlich ist fraglich, ob die WW2-Ausstellung bislang viele potenziell Interessierte erreicht hat. Professor Christoph Brüll zeigt sich zuversichtlich: Man habe diese Schwachstelle erkannt, und der Reflektionsprozess über die Kommunikationsstrategie sei an diesem Mittwoch bereits fortgeführt worden. Vielleicht könnte die Erkenntnis nach einigen Monaten aber auch lauten: Im Internet wimmelt und flimmert es ununterbrochen. Zur Aufmerksamkeitsaggregation könnten sich wieder Vor-Ort-Ausstellungen lohnen – mit großformatigen Bildern und Bildschirmen, mit Gegenständen in Schaufenstern. Ein Ort, den man betritt und dem man seine Konzentration widmet.

Stéphanie Majerus
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