Wien ist aus nahe liegenden Gründen ein Ort der Bewunderung Luxemburger CSV-Staatsminister und bekräftigt dies mit dem Druck gediegener Heiligenlegenden. Wem Klaus Emmerichs 1995 im Wiener Ueberreuter-Verlag erschienenes Europa neu. Das Konzept des Präsidenten der EU-Kommission Jacques Santer gefiel, wird seine Freude an Margaretha Kopeinigs im Wiener Czernin Verlag erschienenem Jean-Claude Juncker. Der Europäer haben. Der Leser und die Leserin werden sich auch bei der schwarz-braunen Regierung in Wien, beziehungsweise beim österreichischen Bundeskanzleramt/Sektion Kunst und dem Amt der niederösterreichischen Landesregierung/Abteilung Kultur und Wissenschaft bedanken können, die trotz knapper Finanzmittel diese Heiligenlegende eines ausländischen Regierungschefs bezuschussten. Das hat sicher kaum etwas damit zu tun, dass Juncker - auch im Interesse des beidseitigen Bankgeheimnisses - Wolfgang Schüssel und dessen Koalition mit den Hugo-Boss-Nazis der FPÖ wieder EU-weit salonfähig zu machen half. Vielmehr dürfte die staatliche Bezuschussung einzig dem künstlerischen, kulturellen und wissenschaftlichen Wert des Buches gerecht werden. Die Autorin Margaretha Kopeinig, Redakteurin beim Wiener Kurier, wird auf dem Buchdeckel als "wohl profilierteste österreichische EU-Journalistin" vorgestellt. Trotzdem kann sie die Bewunderung für ihr Studienobjekt schlecht verbergen: "Warum ist er authentischer als andere? Warum ist er glaubwürdiger? Und warum lässt er sich von Meinungsumfragen nicht leiten und populistisch verführen? Das Buch ist der Versuch einer Antwort, eine Annäherung an Juncker - mehr nicht." (S. 8) Dazu erzählt sie in kurzen Kapiteln noch einmal ausgewählte Sternstunden des Europapolitikers Juncker, von der Kür zum Mr. Euro und dem "Wandel gegenüber dem EU-Beitritt der Türkei" über den "Helden von Dublin" bis zur Prodi-Nachfolge: "Juncker sagt 'Nein'." Dazwischen helfen einige Gefälligkeitsinterviews und kurze Chroniken der europäischen Integration, auf die nötige Seitenzahl zu kommen. So konnte das Buch noch rasch vor Beginn des Ratsvorsitzes erscheinen und wohl Junckers Staatsministerium mit Mengenrabatt angeboten werden. Doch auch wer sich an den dadurch unvermeidlichen Setz- und Stilfehlern vorbei bis Seite 272 durchschlägt, erhält die versprochene Antwort nicht, weshalb Juncker authentischer und glaubwürdiger als Chirac, Schröder und Schüssel sei. Denn die Autorin hat sich mit wenigen Ausnahmen darauf beschränkt, konservative deutschsprachige Männer um Rat zu fragen. Und die bestätigten ihr zuvorkommend, was der mehr oder weniger konservative deutschsprachige Mann Juncker ihr "in Straßburg, im Hotel Hilton" (S. 8) mit allerlei bei CSV-Wahlveranstaltungen erprobten Anekdoten über sich als Sozialaufsteiger aus kleinen Verhältnissen erzählt hatte. Worauf sie zu dem nahe liegenden Schluss kommen muss: "Juncker ist eine überragende europäische Gestalt der Öffentlichkeit, kühn, stark und weitblickend. Er ist ein Mann der Tat, ein Redner von hinreißender Kraft, eine Persönlichkeit, die großen Einfluss auf die junge Generation in der Europäischen Union hat, ein großer Mensch, der die Menschen liebt." (S. 13) Vollends ins Schwärmen für diese Napoleonfigur aus Redingen an der Attert kommt sie, "wenn man einem authentischen Fall von Größe und seinem Wirken von Angesicht zu Angesicht gegenübertritt" (S. 15), was immer auch das "Angesicht" des "Wirkens" heißen mag. Daraufhin verrät Junckers Amtsvorgänger Jacques Santer: "Er wird noch eine Regierungsperiode in Luxemburg durchhalten. Im Jahr 2009 kann ich mir eine Berufung vorstellen und den Sprung auf das internationale Parkett." (S. 55) Wünschen wir Juncker, dass die Wiener Heiligenlegenden ihm mehr Glück bringen werden als Santer.
Margaretha Kopeinig. Jean-Claude Juncker. Der Europäer. Wien, Czernin Verlag, 2004, 272 S., 19,80 Euro.