Ende vergangenen Monats gründeten Umweltschützer, Gewerkschafter, LSAP und Grüne ein Comité d’action luxembourgeois contre le nucléaire. Zwei Wochen zuvor hatten ein Erdbeben und eine Wellenfront eine Nuklearkatastrophe in Japan und Panik in Luxemburg ausgelöst. Das Komitee greift die jahrelang fast vergessene Angst vor der Atomenergie und dem Atomreaktor bei Cattenom auf und übernimmt die Forderung von drei Dutzend Gemeinden, welche die sofortige Stilllegung der französischen Atomzentrale verlangen. Nebenbei setzt es sich auch für eine von Erdöl und Atomstrom unabhängige Energiepolitik ein. Binnen weniger Tage haben sich alle Parteien dem Komitee angeschlossen, auch wenn die CSV inzwischen wieder zögert.
Mit dem Comité d’action luxembourgeois contre le nucléaire steht rechtzeitig zu Ostern das Comité national d’action contre Cattenom wieder auf. Das Cnac war im Dezember 1979 nach einer einstimmig verabschiedeten Motion des Parlaments gegründet worden, um sich in geordneten Bahnen gegen den Bau der Atomzentrale von Cattenom zu empören. Ihm gehörten unter anderem sämtliche Parteien und Gewerkschaften an; der Präsident des Aktionskomitees war zwar nicht der Großherzog, aber immerhin als Erster Bürger des Landes Kammerpräsident Léon Bollendorff (CSV). Die offizielle Funktion des Aktionskomitees war es, gegenüber der französischen Regierung den geschlossenen Protest eines ganzen Volkes zu demonstrieren. Die inoffizielle Funktion war es zudem, nach der jahrelangen politischen Auseinandersetzung um den Bau eines Atommeilers bei Remerschen aus dem Atomreaktor auf der anderen Seite der Grenze eine nationale Frage zu machen. Auf diese Weise konnten die politische Opposition und die noch etwas junge und übermütige Umweltschutzbewegung eingebunden und klein gehalten werden.
Das nun wiederbelebte Aktionskomitee heißt nicht mehr „national“, aber immerhin noch „luxembourgeois“ und organisiert erneut den nationalen Schulterschluss. Dass es sich dabei etwas merkwürdig anlegt, zeigt nun das Zögern der CSV. Sie fühlt sich als größte und mächtigste Partei des Landes vom Koalitionspartner LSAP und den ihm nahen Gewerkschaften vor vollendete Tatsachen gestellt. Aber selbst wenn Präsident Michel Wolter jetzt ankündigt, er wolle erst einmal in Ruhe das Kleingedruckte lesen, können die Christlich-Sozialen bestenfalls ein wenig schmollen. Denn ihre Gemeindepolitiker unterstützen resolut die Zielsetzungen des Komitees, und das Generalsekretariat der Partei hatte schon Ende März am Ende einer Pressemitteilung etwas voreilig angekündigt, dass die CSV dem Komitee beitreten will. Aber dieses Manöver ist kaum merkwürdiger als die Rolle der LSAP, die ein Komitee gründen half, das von ihrem eigenen Energieminister eine ganz neue Energiepolitik verlangt.
Die Erfahrung der vergangenen 30 Jahre lehrt, dass es einen beinahe mechanischen Zusammenhang zwischen im Fernsehen gut sichtbaren Umweltkatastrophen in der Welt und der Popularität der Grünen in Meinungsumfragen gibt. Sechs Monate vor den Gemeindewahlen schwingt sich deshalb der CSV-Premier in seiner Erklärung zur Lage der Nation zum Ersten Atomgegner inter pares auf, und die LSAP hilft, das nationale Aktionskomitee gegen Cattenom wiederzubeleben. Denn wenn Energiepolitik Angst zu machen beginnt, gerät sie außer Kontrolle der Technokraten und entweicht als Politikum in die Öffentlichkeit. Bei diesem Größten anzunehmenden Unfall hilft meist nur eine rasche Entpolitisierung des Politikums mit dem bewährten Gift der Nationalisierung. Die Nationalisierung neutralisiert alle poltischen Standpunkte und tötet so, bis auf die verstockteste, jede Opposition.