Mit einem Volksfest soll am heutigen Freitagabend der pünktlich mit der Zahlungsunfähigkeit eines Euro-Staates zusammengefallene Beginn des Luxemburger Ratsvorsitzes in der Europäischen Union gefeiert werden. Nach dem Besuch der Europäischen Kommission sollen Blasmusik, ein Europäisches Picknick, ein Beethovens Ode an die Freude singender Jugendchor, buntes Kunsthandwerk, eine Sonderbriefmarke und ein Europaquiz Europa den Bürgern näher bringen, wie seit 35 Jahren im Europawahlkampf versprochen wird. Aber auch dieses Standardrepertoire der hauptberuflichen Völkerverständiger und ihrer trostlosen Europa-Feste auf der Place d’armes kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass wenig übriggeblieben ist von der politischen Generalmobilmachung voriger Ratsvorsitze. Inzwischen ist nicht nur ein Großteil der turnusmäßigen Vorsitze nach Brüssel verlegt worden, so dass nur noch Kleinstaaten und neue Mitgliedsländer hoffen, mit dem Ratsvorsitz diplomatisch sichtbarer zu werden. Denn die Europäische Union ist auch größer und damit Luxemburg kleiner geworden.
In der Öffentlichkeit dürfte jedenfalls der Eindruck weiter vorherrschen, dass die Présidence eine sich in mehrjährigem Abstand wiederholende Veranstaltung von Berufseuropäern für Berufseuropäer ist, und tatsächlich ist es ja auch eine zu patriotischen Höhepunkten aufgebauschte Organisationsfrage von Tagungen der europäischen Bürokratie. Das Programm des Luxemburger Ratsvorsitzes unter dem Titel Eine Union für die Bürger liest sich dann so wohlklingend und unverbindlich wie die Wahlprogramme der Regierungsparteien, von Investitionen und Arbeitsplätzen über den Zauber des Internets bis zur Nachhaltigkeit. Sichtbarstes Zeichen des Ratsvorsitzes könnte also hierzulande sein, dass die Minister ein halbes Jahr lang in Brüssel tagen und die Regierungsgeschäfte so lange brach liegen. Was nach dem niederschmetternden Ergebnis ihres Referendums und verschiedener Meinungsumfragen vielleicht eine willkommen Ablenkung für besagte Minister sein wird.
Unterdessen muss hinter den Kulissen ein kleiner Verwaltungsapparat, wenn schon nicht im Einzelnen für nationale Interessen, so doch im Allgemeinen für die nationale Unabhängigkeit kämpfen und mit allerlei Kunststücken und 93 Millionen Euro Spesen den Beweis erbringen, dass das kleine Großherzogtum seiner diplomatischen Verantwortung als Vollmitglied genauso gut nachkommen kann wie andere Länder. Weil der wirtschaftliche Erfolg zum übergeordneten Staatsziel geworden ist und diese nationale Unabhängigkeit immer mehr als Waffe im internationalen Wettbewerb der Produktionsstandorte eingesetzt wird, muss auch die Présidence dem Nation Branding dienen, der Vermarktung von Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt unter einem Markenname samt recyceltem Logo der vorigen Présidence.
Am Ende sind dann Volksfeste für Europa bloß ein verzweifelter Versuch, gegen das selbst hierzulande merkliche Abkühlen der Europabegeisterung anzukämpfen. Sie war schon aus dem knappen Ausgang des Referendums über den Europäischen Verfassungsvertrag herauslesen. Das war zu Zeiten der vorigen Présidence vor zehn Jahren und seither wurden im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise die Austeritätspolitik europaweit institutionalisiert, die deutsche Hegemonie verstärkt und die Jagd auf die heimischen Souveränitätsnischen verschärft. Nach dem enttäuschenden Referendumsergebnis hatten die Regierung und sämtliche Parteien gleich die stärkere Einbindung der Bürger in europäische Entscheidungsprozesse versprochen. Mit dem Stabilitätspakt, dem Two-Pack, dem Sixpack, dem Europäischen Semester und der Defizitbremse geschah dann genau das Gegenteil. Die Ode an die Freude oder eine Sonderbriefmarke dürften vielen nur als schwacher Trost erscheinen.