Die Szene wirkte gespenstisch: Nach dem Referendum saßen sich die Parteivertreter am Sonntagabend im Fernsehen gegenüber. CSV-Fraktionssprecher Claude Wiseler wirkte gewandt und staatsmännisch, wie es eben so die Art von CSV-Staatsministern ist. Ein zerknirschter Regierungschef Xavier Bettel, der Kraft seines Amtes die Diskussion dominieren sollte, sagte kaum etwas, hatte nichts zu sagen, geriet irgendwann in Vergessenheit, und das Gespräch ging ohne ihn weiter.
Der merkwürdige Rollentausch sah schon ein wenig aus wie eine Kostümprobe für 2018. Unweigerlich musste man sich fragen: War es das? War es das frühzeitige politische Ende der jungen Männer, die sich vor zwei Jahren für so tolle Burschen gehalten hatten, dass sie groß die Fenster aufreißen, kopernikanische Wenden einleiten, CSV-Ministerien ausmisten und das ganze Land reformieren und modernisieren wollten, bis kein Stein auf dem anderen blieb? Haben sie nicht nach zehn Jahren, wie sie selbst geschätzt hatten, sondern schon nach anderthalb Jahren ihre beste Milch gegeben und versuchen nun, bloß noch bis 2018 zu überleben, bis ein christlich-sozialer Politiker ins ihm durch Naturgesetz zustehende Büro des Premierministers einzieht, und die gottgewollte Ordnung der Welt wieder ihren Lauf nimmt?
Nach dem Sturz Jean-Claude Junckers vor zwei Jahren war die liberale Koalition so siegestrunken, dass sie sich für unbesiegbar hielt und ein Referendum beschloss, um die CSV bei der Verfassungsrevision auszutricksen. Damit das gut gegangen wäre, hätte die Regierung die nach ihrer Wahl für kurze Zeit aufgekommene Aufbruchsstimmung in der Öffentlichkeit nutzen und damit eine politische Dynamik schaffen müssen, die bis zum Referendum angehalten hätte. Das war selbstverständlich mit einem Sparhaushalt auf USB-Schlüssel, einer liberalen und technokratischen Modernisierung, sowie einer gehörigen Portion Dilettantismus stolzer Regierungsnovizen nicht möglich. Hinzu kam, dass die Koalition ziemlich rasch die Lust an ihrem Referendum verlor, die Regierung die Verantwortung auf das Parlament abschob, das Parlament sie an die Parteien weiterreichte, und die Parteien gleich ein Wahlkampfabkommen unterzeichneten, um sich nicht zu verausgaben.
Doch ohne breite öffentliche Unterstützung, ohne charismatische Politiker, war ein Referendum so etwas wie die Atombombe im Kalten Krieg: Diese war nur nützlich, so lange man sie nicht zu zünden brauchte. Gegenüber dem sich seiner geringen Popularität bewussten Bistum hatte das Drohpotenzial des Referendums großartig funktioniert. Doch die CSV ließ sich nicht von der Drohung einschüchtern und wartete gelassen ab, dass die Regierung ihr Referendum zünden musste und dessen erstes Opfer wurde.
Das Referendum oder zumindest der Umgang damit erwies sich als ein verheerender Fehler. Die Regierung, die angetreten war, um weitreichende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Reformen durchzusetzen, hat sich nun selbst so geschwächt, dass es ihr schwerfallen wird, ihr politisches Programm umzusetzen. Denn auch den Gewerkschaften, den Unternehmerverbänden, allerlei Lobbys ist diese Schwäche am Sonntag nicht entgangen. Schon muss sie sich die ersten, noch höflichen Rücktrittsvorschläge anhören, und kaum etwas ist lähmender für eine Regierung, als ihre demokratische Legitimation verteidigen zu müssen. Um diese Schwäche zu überwinden, müsste die Regierung eine neue Aufbruchstimmung, eine neue Dynamik zu schaffen verstehen. Doch der unablässig einige rhetorische Floskeln wiederholende Premier Xavier Bettel zeigte am Dienstag in der Kammer, dass er dazu nicht in der Lage ist. Und Etienne Schneider als starker Mann der LSAP war mit der einen oder anderen Schnapsidee einer der Hauptverantwortlichen des Desasters.