Leichtfüßig spaziert sie in die Bouneweger Stuff, die Trainingstasche über der Schulter, abgetragene Sneakers, legeres Sommer-Outfit. Zierlich, aufrechte Haltung, gerader offener Blick: Die Luxemburgerin Annick Schadeck (geboren 1989) ist Performance-Künstlerin und Choreografin. Sie ist Teil einer aufstrebenden Generation, karrierebewusst, aber keineswegs verbissen, fließend wechselt sie die Sprachen und erzählt nur zögerlich von sich selbst.
Die Leidenschaft für den Tanz führte sie durch die Welt. Mit 13 begann sie am Konservatorium in Esch/Alzette und sich im Tanz auszubilden. Sie besuchte eine professionelle Ballett-Schule. „Ich trainiere noch immer Ballett. Für mich ist dies eine der besten körperlichen Vorbereitungen“, sagt sie, wenngleich sie nicht ohne Ernüchterung auf die letzten Jahre zurückblickt. Denn die Engagements in Compagnien und die harten Proben waren verbunden mit starken Hierarchien und Drill in einer Tanzwelt, die von Konkurrenz bestimmt ist.
Wie im Rausch
„Mit 23 Jahren kam ein Moment, wo ich alles in Frage gestellt habe. – Wie stelle ich mir mein Leben und meine Zukunft vor?“ Bis dahin hatte sie immer hart trainiert. Eine gute Schule, aber es blieb kaum Zeit nachzudenken, es hieß: Zähne zusammenbeißen!
2012 folgte der Sprung ins kalte Wasser; der Schritt vom Compagnie-Leben in die Selbstständigkeit. „Ich wollte meine Unabhängigkeit, mich ausprobieren, selbst kreativ sein und mein eigenes Ding machen.“
Weltenbummlerin
„In den Jahren danach hab ich ganz viel auf mich zukommen lassen.“ San Francisco – Frankreich – Berlin. Heute trainiert sie im Trois-C-L, wenn sie in Luxemburg ist oder geht in die Deutsche Oper, wenn sie in Berlin ist. Die Freiheit empfindet sie als herausfordernd. Wie choreografiert man und (er)schafft sich kreativ neu, wenn man vorher nur eine Tanzwelt kannte, in der die Tänzerinnen den Regeln von meist männlichen Leithähnen zu folgen hatten?
Durch das Emergences-Projekt vom Trois-C-L entwickelte sie 2015 ihre erste eigene Kreation in Luxemburg, die Solo-Performance: D’Stéck. Eine Zusammenarbeit mit Michèle Tonteling und eine Erfahrung, bei der sie merkte, dass sie sich noch als Tänzerin ausleben will, bevor sie eine choreografische Richtung einschlägt.
Im August 2019 kreierte sie in einer zweimonatigen choreografischen Residenz in den Uferstudios Berlin mit Unterstützung des „Fonds culturel national“ (Focuna) und dem Kulturdienst der Botschaft des Großherzogtums Luxemburg in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Autor Luc Spada und der Tänzerin Jeanna Serikbayeva das Projekt Locker Ruf.
„Es war erstmal ein weißes Blatt, wir standen vor der Her-
ausforderung: Wie verbindet man Text und Tanz?“ Gemeinsam entwickelten sie das Projekt weiter. Der Blick von außen von jemandem, der nicht aus dem Tanz kam, war gewinnbringend und half – nicht zuletzt dabei sich auszuprobieren. Die Performance versucht, die klassische Trennung zwischen Zuschauer/innen und Darsteller/innen aufzubrechen.
Dann kamen die Covid-19-Pandemie und der erste Lockdown. Was viele Künstler/innen als kreative und finanzielle Zäsur erlebten, erwies sich für Annick Schadeck als Chance. „Für mich war die Corona-Pandemie das Gegenteil.“ Der Stress und Planungszwang fiel mit einem Mal von ihr ab, und sie verspürte die absolute innere Ruhe. „Die Situation hat meine Kreativität angekurbelt. Kunst als absolute Notwendigkeit. Seit Corona spüre ich noch stärker, dass ich meine eigenen Sachen machen will.“
Social Media als Chance
Jenseits der selbstdarstellenden und -entlarvenden Foren seien Plattformen wie Instagram oder Facebook für sie als Tänzerin einfach praktisch, weil sie definitiv dabei helfen, sich auszutauschen und zu vernetzen. „Tanz war früher damit verbunden, dass du ins Theater musstest; aber jetzt ist er so zugänglich.“ Über Internet-Plattformen ließen sich Tanzvideos viel schneller verbreiten, bekomme Tanz eine ganz andere Reichweite und man könne sich einfach mit anderen Choreograf/innen verbinden. Den Tänzer und Choreografen Sofiane Tiet hat sie so kennengelernt. Tiet, mit dem Annick in diesen Wochen trainiert, kommt aus dem Hip Hop, ihre ersten improvisierten gemeinsamen Performances verbinden Martial Arts mit Hip-Hop und klassischem Ballett. Der Vorteil: Es bestehe kein Druck, sich unter Beweis zu stellen. Beide wissen schon jetzt, dass sie neue Formate entwickeln wollen mit Videos und Projektionen für Festivals.
Vor Kurzem hat Annick die Bourse „résidence à domicile“ des Kulturministeriums erhalten und probt zu Hause und im Trois-C-L, von dem sie wie fast alle Tänzer/innen in und um Luxemburg zwar sagt: „Es ist ein großes Glück, dass es diese Struktur gibt“, aber auch sanfte Kritik übt: „Das Tanzschaffen in Luxemburg könnte noch diverser sein. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn eine zweite Struktur in Luxemburg entstehen würde.“
Vision: mehr auf Gemeinsames setzen
„Ehrgeizig bin ich vielleicht in dem Sinne, dass Ehrlichkeit und Hingabe mir in meiner Arbeit wichtig sind, idealistisch in dem Sinne, dass Tanz ein Weg für mich ist, das Umfeld, in dem wir leben, zu verändern.“ Ihre Einstellung? Arbeiten und das Leben genießen! „Musik und Tanz haben für mich eine spirituelle Essenz. Abgekoppelt von Religion.“ Und das möge jetzt zwar esoterisch wirken, aber: „Auch, wenn ich mein Training mache, erlaubt es mir, mich zu verbinden.“ Es sei ein starkes Gefühl von Energie. Die Kreation im Team empfindet sie als gewinnbringend: „Ich bin gern Teil, wenn Menschen zusammenarbeiten. Bei Locker Ruf zum Beispiel war die Zusammenarbeit mit Jeanna Serikbayeva absolut bereichernd.“
Ein Vorbild? Habe sie nicht! Ihre Webseite lockt bunt mit Motiven aus dem Buddhismus. Ihr Mantra: „Schwierigkeiten lassen einen wachsen. Alles, was passiert, kann man auch umwandeln in positive Energie.“
Traum von einer weiblicheren Tanzwelt
Im Zuge der #Metoo-Debate“ sei ihr aufgefallen, wie wenige Choreografinnen es gibt. „Ich glaube, viele Frauen würden die Sachen wesentlich humaner angehen. Ich weiß ja, wie diese Dynamiken entstehen. Fast alle Compagnien, an denen ich gearbeitet habe, waren von Männern dominiert.“ Gerade in der Kulturszene gebe es sehr viele Missstände, die Szene sei extrem kompetitiv und leistungsorientiert und die Tanz- und Ballettwelt sehr auf Beurteilung aus. Ihr Fazit: „Es ist an uns Frauen, Verantwortung zu übernehmen!“
Die Fragen, die sie sich derzeit stellt, erscheinen grundlegend: Wie bringt man Projekte zu Stande? Wie leitet man seine Proben? Wie kommuniziert man mit Menschen? Und nicht zuletzt: Wie bewirken, dass Künstler/innen fair bezahlt werden?