Lokaltermin im Monnericher Rathaus vergangene Woche: Die Umweltministerin und Gemeindever-antwortliche aus Monnerich und Esch/Alzette erklären, wie weit man mit der Behebung der Folgen des Erdrutschs auf der Monnericher Abfalldeponie gekommen ist und dass im September ein Abschlussbericht über dessen Ursachen vorliegen soll. Man ist um Transparenz bemüht. Denn wenn auf einer 23 Hektar großen Deponie vier Hektar von einer „Großrutschung“ betroffen sind, wenn eine Straße zugeschüttet wird, eine Schule erst einmal nicht mehr benutzbar ist und der Abwasserkanalanschluss einer Gemeinde unterbrochen war, dann interessiert es das ganze Land.
Kleinere Erdrutsche aber kommen immer wieder vor, Felsstürze und Schlammlawinen auch. „Gefährliche geologische Ereignisse“ werden sie beim Service géologique de l’État genannt. Buch führt darüber niemand, Statistiken sind unvollständig; auch beim Geologischen Dienst, weil der sich als Abteilung der Straßenbauverwaltung nur um Vorkommnisse an Straßen und Brücken kümmert. Aber muss nach einem kleineren Erdrutsch ein Gelände saniert werden, wird der Service géologique häufig zu Rate gezogen. Aus dieser Sicht sind für Robert Maquil, seinen Chef, kleinere Erdrutsche schon beinah Alltagsereignisse. Gut ist das nicht, denn für Maquil sind sie im Grunde alle „vorhersehbar“ und treten sie tatsächlich ein, habe das „fast immer menschengemachte“ Gründe. Vor allem dann, wenn der Untergrund auf einer Baustelle rutscht. „Solche Beispiele“, sagt er, „kennen wir viel zu viele.“
Drei Faktoren wirken dabei stets zusammen: ein sensibler geologischer Untergrund, eine Hanglage und Wasser. Im Internet hat der geologische Dienst einen Atlas de mouvements de sols et de roches1 veröffentlicht. Der beschreibt, in welchen Gegenden des Landes mit welcher geologischer Formation das Risiko für gefährliche Ereignisse verschiedener Art besonders groß ist und wo es schon besonders oft dazu kam. Hanglagen vor Flusslandschaften sind offenbar gefährdet, die entlang der Mosel oder der Alzette etwa: In den oberen Hügellagen stößt dort oft hartes wasserführendes Gestein an durchlässiges, das Quellen speist. Austretendes Wasser durchweicht den darunterliegenden tonigen Untergrund, was dessen geotechnische Eigenschaften verändert. Fällt dann extrem starker Regen, kann es zu Schlammlawinen kommen, die zehn bis zwanzig Kubikmeter Boden- und Gesteinsmasse als Schlamm zu Tal stürzen lassen. „Zum Glück gab es in den letzten Jahren keine so starken Regenfälle“, sagt Maquil. Mit dem Klimawandel, der in für Luxemburg voraussichtlich für feuchtere Verhältnisse sorgen wird, könne sich das aber „sehr schnell ändern“.
Der entscheidende Punkt sei, solche Risiken zu kennen, sich auf sie einzustellen und Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. „Unsere Vorfahren hatten noch ein ausgeprägtes Gedächtnis dafür“, meint Maquil. „Uns dagegen kommt es immer mehr abhanden.“ Das sei riskant in einem Land, in dem immer mehr gebaut wird: „Die Landschaft kann man einteilen in Hügel, Plateaus und Täler. Unsere Vorfahren vermieden es noch, in steile und nasse Hügel zu bauen. Wir dagegen gehen immer mehr in steile Hügellagen und Baulücken hinein.“ Außerdem würden Baugruben immer tiefer. „Und das oft ohne ausreichende Stützmaßnahmen.“
In solchen Fällen ist das Risiko für Erdrutsche besonders groß – die häufigsten „gefährlichen geologischen Ereignisse“. Vor allem, wenn ein steiler Hang auch steil angeschnitten wird. Vor zehn Jahren zum Beispiel war es erneut zu einem Erdrutsch am Eicher Berg in der Hauptstadt gekommen. Nachdem für einen Hausbau eine Baugrube ohne angepassten Verbau ausgehoben worden war, gab über einem feuchten Bereich im Hang der Boden nach und stürzte mit Steinen vermischt in die Baugrube. Anfang März 2004 geschah das. Bauherr und Baubetrieb versuchten, die Unglücksstelle zu stabilisieren; zuerst mit einem Gitter, dann mit einer Betonmauer, aber immer wieder rutschte Gestein aus dem Hang nach. Bis die Gewerbe-inspektion die Baustelle im Mai 2004 schloss, weil ein Arbeiter verletzt worden war. Ende 2004 wurde die Baustelle mit einem Verbau aus Beton umgeben und teilweise verfüllt. Den Grundstücksbesitzer hat der Erdrutsch ruiniert, seither wird versucht, das Terrain weiter zu verkaufen.
Solche Fälle deuten an, was Maquil mit „kollektivem Gedächtnis für Risiken“ meint: Im Eicher Berg gab es immer wieder Erdrutsche, wenn jemand im Hang eine Baugrube unsachgemäß aushob. Ende 1999 war eine Stützmauer mit Hinterfüllung auf die Straße gestürzt, als eine Villa renoviert werden sollte. Eine Fahrspur war monatelang gesperrt; die Baustelle ist noch heute unvollendet. Und schon in den Sechzigerjahren gab es im unteren Eicher Berg einen großen Hangrutsch, als man das Fundament für ein großes Wohnhaus grub. Nur ein Stück weiter nördlich vom Eicher Berg, am Hang des Pilatusbergs, befindet sich die Stelle, in der es vielleicht die landesweit meisten Erdrutsche an Baustellen auf engem Raum gab: sechs auf einer Länge von zweihundert Metern entlang der Montée Pilate.
Fatale Schicksale? „Nein“, sagt Maquil. Wenn schon das Risikogedächtnis so kurz ist, dann sollten nicht nur Architekten und Bauingenieure wissen, was eine „geologische Erkundung“ des Bauterrains ist und wie sie durchgeführt werden sollte, sondern auch Grundstücksbesitzer, die in einer Hanglage bauen möchten, findet der Chef des Service géologique de l’État. So eine Erkundung sondiert den Baugrund mit seiner Wasserführung, trifft Aussagen über Wechselwirkungen zwischen Baugrund und Bauwerk und erfasst Einflüsse auf benachbarte Terrains. Das Problem ist nur: Es gibt zwar einen Standard für diese Erkundungen, doch an der Anwendung hapert es.
Auch hierzulande sind seit 2011 im Bauwesen die Eurocodes anwendbar. Nationale Anhänge zu den Eurocodes legen Regeln für Luxemburg fest; der Anhang zum Eurocode Nummer sieben ist ganz der Erkundung des Baugrunds und dem Calcul géotechnique gewidmet. Er beschreibt sogar für interessierte Laien verständlich die Parameter einer Erkundung. „Ein Nullrisiko wird es nie geben, aber wenn diese Vorschriften für jede Baustelle immer angewandt würden, wäre viel gewonnen“, meint Robert Maquil.
Allerdings muss ein Kalkül nach dem Eurocode nur vorgenommen werden, wenn der Bauherr das will, seine Versicherung es verlangt oder die betreffende Gemeinde das in ihrer kommunalen Bauverordnung so festgelegt hat. „Eine Reihe Gemeinden hat das bisher getan“, weiß Maquil, „aber noch nicht alle“. Welche und wie viele noch fehlen, sei unbekannt. Da sei es allemal besser, der Bauherr kümmert sich selber. Denn wenn etwas passiert, betrügen die Kosten für die Schadensbehebung ein Vielfaches des Aufwands für einen passenden und sicheren Verbau der Baustelle. Überdies würden Fälle von Baustellen-Erdrutschen immer öfter vor Gericht landen. Meist muss der Bauherr den Schaden übernehmen. Der Chef des Geologischen Dienstes rät Bauherrn auch, lieber zweimal hinzuschauen, wenn Firmen sehr unterschiedliche Kostenvoranschläge für die Absicherung eines riskanten Terrains machen: „Schlägt die eine Firma 30 000 Euro vor und eine andere behauptet, dasselbe für nicht einmal 10 000 Euro erledigen zu können, dann ist das preiswertere Angebot wahrscheinlich nicht adäquat.“
Wer sich über die geotechnischen Vorschriften aus den Eurocodes informieren will, muss auf der Webseite des Ilnas, des Institut luxembourgeois de la normalisation, de l’accréditation, de la sécurité et qualité des produits et services, nachschlagen. Leider scheint die Webseite eher für Fachleute als für einfache Bürger, die bauen wollen, konzipiert. Dass man die Anhänge zum Eurocode, wenngleich sie kostenlos sind, nur über den „Webshop“ der Seite erreicht, kann niemand auf Anhieb wissen, sei aber an dieser Stelle erwähnt. „Wir haben einfach zu viele Schadensfälle, die vorhersehbar sind, aber das wurde noch nicht richtig verstanden“, sagt Robert Maquil. Monnerich ist sozusagen überall.