Alles nur ein Sturm im Wasserglas, beschwichtigte am Dienstag das Wirtschaftsministerium in einer Pressemitteilung. Ein Forscherteam der Universität Luxemburg habe zwar ermittelt, dass in den Energiepässen der Endenergieverbrauch von Gebäuden „largement“ überbewertet werde. Doch sei nur festgestellt worden, dass es Differenzen geben könne „entre le besoin énergétique calculé pour un utilisateur standard et la consommation réelle générée par l’utilisateur du bâtiment“. Das System der Energiepass-Zertifizierung sei damit nicht etwa in Frage gestellt.
Was die Wissenschaftler um Professor Stefan Maas in der Februar-Ausgabe der Fachzeitschrift Bauphysik1 veröffentlicht haben, liest sich allerdings anders – und enthält durchaus auch politischen Zündstoff.
In Luxemburg werden seit 2009 Energiepässe ausgestellt. Bei Neubauten, bei Besitzer- und Mieterwechsel oder bei großen Renovierungen oder Erweiterungen eines Gebäudes müssen sie vorliegen. Anhand der Pässe werden die Gebäude in Kategorien von A bis I eingestuft. Doch nicht immer lässt sich der tatsächliche Endenergieverbrauch ermitteln. In einem Neubau sowieso nicht, solange dort noch niemand wohnt. Weshalb der tatsächliche Verbrauch drei Jahre später anhand von Heizenergie-Rechnungen nachgetragen werden muss. In Altbauten dagegen wird der reale Verbrauch nur berücksichtigt, wenn Informationen dazu „verfügbar“ sind. Sind sie es nicht, wird wie bei eben fertiggestellten Neubauten die Energieklasse von einem akkreditierten Experten auf der Grundlage einer großherzoglichen Verordnung vom 30. November 2007 „berechnet“. Der Vergleich dieser berechneten mit realen Verbrauchen durch die Uni-Forscher ergab, dass in 125 Einfamilienhäusern der berechnete Wert im Schnitt um 74 Prozent über dem Realwert lag. In 105 Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 870 Wohnungen war der Verbrauch sogar um durchschnittlich 103 Prozent zu hoch berechnet worden.
Liegt das am Unterschied im Heizenergiekonsum eines Standard-Verbrauchers zu dem eines tatsächlichen Hausbewohners? Eher nicht. Der „immer wieder ins Spiel gebrachte Nutzereinfluss greift hier nur wenig“, liest man in dem Fachartikel. Die Nachforschungen hätten ergeben, dass „der Nutzer seinen Endenergieverbrauch um +/- ein Drittel um den Mittelwert beeinflussen kann“. Die Abweichungen zwischen Messung und Berechnung „in dieser Studie“ könnten daher „kaum über den individuellen Nutzereinfluss erklärt werden“.
Und wodurch sonst? Offenbar durch die Vorgaben im Règlement grand-ducal und deren Anwendung beim Erstellen der Energiepässe. Die Verordnung schreibt nur einen Parameter fest: Die Innenraumtemperatur betrage überall in einem Haus jeweils 20 Grad Celsius. Das macht den Standard-Verbraucher aus, damit sollen Gebäude bei gleichen „Komfortverhältnissen“ miteinander vergleichbar werden. Andere Parameter, wie den Wärmedurchgangskoeffizienten der Gebäudehülle (den so genannten U-Wert), die Luftwechselrate oder Wärmebrücken gibt ein Leitfaden zur Verordnung nur als Anhaltspunkte je nach dem Alter der Gebäude an. Die Anhaltspunkte zu verwenden, ist nicht vorgeschrieben. „Dennoch wird sie aus Gründen der Einfachheit oft direkt benutzt, obwohl grundsätzlich die Fachkenntnis des Experten gefragt wäre, der den Pass ausstellt“, stellen die Uni-Forscher fest.
Vorgaben, die nur Anhaltspunkte sein sollen, und Experten, die sie anwenden, ohne ihre Fachkenntnis aufzubieten, um zu ermitteln, wie ein Gebäude tatsächlich beschaffen ist: Zwischen den Zeilen kann man ein ziemlich vernichtendes Urteil über das System der Energiepass-Zertifizierung hierzulande herauslesen. Vielleicht gab die Pressestelle der Universität deshalb, als sie auf den Artikel ihrer Forscher hinwies, vorsichtshalber an, solche Probleme stellten sich in anderen EU-Staaten auch, und längst nicht überall sei der in Luxemburg vorgeschriebene spätere „Reality Check“ von Pässen, die für Neubauten ausgestellt wurden, Pflicht. Die Wissenschaftler wiederum betonen in ihrem Text, die Luxemburger Analysemethode sei „stark“ an die deutsche angelehnt.
Bemerkenswert ist aber nicht nur, was das Uni-Team an „Überschätzungen“ nachträglich ermittelt hat. In seinem Artikel nimmt es auch Bezug auf andere Forschungsarbeiten der Uni zum Thema Energieeffizienz am Bau. Altbauten seien demnach „energetisch wohl besser als ihr Ruf“, wenngleich bei reduziertem Komfort für die Bewohner. Statt in jedem Zimmer die 20 Grad Celsius Raumtemperatur anzustreben, die das Règlement grand-ducal zum Standard im ganzen Haus erklärt, fänden Bewohner von Altbauten sich auch mit „Teilbeheizungen“ ihrer Wohnung und mit „Zugerscheinungen“ ab. Der „mittlere Endenergieverbrauch in Gebäuden bis Baujahr 1970 liege bei nur 200 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr und nicht, wie in den Energiepässen berechnet, beim Doppelten“.
Und nicht nur das: Neubauten würden „im Mittel“ gegenüber Altbauten „nicht die berechneten Einsparungen“ zeigen. „Vor allem im Niedrigenergie- und Passivhausbereich erreichen beispielsweise auch neue Schulgebäude und vor allem Bürogebäude in Luxemburg nicht die prognostizierten Zielwerte.“ Die Berechnung werde „hier zu optimistisch“. Und der tatsächlich festgestellte Mittelwert für den Endenergieverbrauch von Gebäuden ab dem Baujahr 1995 liege für Einfamilienhäuser wie für Mehrfamilienhäuser „nur wenig unter dem Mittelwert von Altbauten“.
„Die geringe Übereinstimmung zwischen Berechnung und Messung könnte auf dem Immobilienmarkt zu Diskussionen hinsichtlich der Gestaltung von Kauf- und Mietpreisen und dem Wert des Energiepasses führen“, schreiben die Forscher in einer ihrer Schlussfolgerungen. Sicherlich nicht zu Unrecht. Wenn Einsparprognosen für Renovierungen am Ende falsch sind, stellt sich außerdem auch die Frage nach dem Sinn teurer Investitionen in Energieeffizienz und ihrer großzügigen Bezuschussung aus dem Staatshaushalt.