Eltern und Schüler Schulter an Schulter für Reformen in der Sekundarschule. Das war die Botschaft, die Vertreter der nationalen Schülerkonferenz, Jugendparlament, Studentenorganisationen und die Elterndachvereinigung Fapel vor einer Woche der Presse mitgaben. Sie verteidigten die Reform der sozialistischen Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres, auch wenn diese ihnen in vielen Punkten nicht weit genug geht.
Es ist das erste Mal, dass beide Seiten, Schüler und Eltern, sich auf nationaler Ebene zusammentun, und manche Journalisten zeigten sich ob des neuen Bündnisses erstaunt. Dabei hatte sich die engere Zusammenarbeit über die vergangenen Monate abgezeichnet. „Uns überrascht das nicht so sehr“, sagt Pol Reuter von der nationalen Schülervertretung CNEL. „Das war nur eine Frage der Zeit.“ Im gesetzlich verankerten Conseil supérieur de l’éducation, in dem alle Schulakteure zusammensitzen und über wichtige schulische Belange beraten, hatten sowohl Schüler als auch Eltern wiederholt Gelegenheit, ihre Positionen zur angedachten Reform darzulegen. „Da haben wir erste interessante Übereinstimmungen festgestellt“, erinnert sich Fapel-Präsidentin Jutta Lux-Hennecke.
Auch in ihren schriftlichen Stellungnahmen zum umstrittenen Vorentwurf vom Dezember 2011 von Ministerin Delvaux-Stehres gab es Schnittmengen. Schüler- und Elternvertreter waren für den Travail personnel, wie er damals noch hieß; die Schüler können sich sogar vorstellen, diesen außerhalb der Unterrichtszeit zu organisieren. Von der nationalen Lehrervertretung DNL wird dies strikt abgelehnt. Das Tutorat wollen beide – Schüler und Eltern – verpflichtend für den gesamten unteren Zyklus, also sowohl für den Technique als auch für den Classique. Die Lehrervertretung hält darauf, es allenfalls im unteren Zyklus des Technique vorzusehen.
Nicht nur über Detailfragen gibt es viel gegenseitiges Verständnis: Grundsätzlich geht beiden, den Schülervertretern und der Elternvertretung Fapel, der nun vorliegende Entwurf nicht weit genug. In ihrer gemeinsamen Pressemitteilung von letzter Woche warnen sie die politischen Verantwortlichen davor, den Text nicht noch weiter zu verwässern. Das ist, erinnert man sich an die Positionen vieler Schüler von vor einem Jahr, für die sie zu Hunderten auf die Straße gegangen waren, doch eine bemerkenswerte Kehrtwende.
Sie mag daher rühren, dass das Verhältnis zwischen Lehrervertretern und Schülern in den Monaten nach den Demonstrationen deutliche Dämpfer erhalten hatte. Schüler hatten nach dem legendären Treffen im Forum Geesseknäppchen mit über tausend Teilnehmern davon berichtet, sich von Lehrern manipuliert zu spüren. Andere, die früher aktiv waren, scheinen sich zurückgezogen zu haben. Ein von Studenten und Schülern gemachter Film über die Luxemburger Schule kritisierte die sklerosierte elitäre Haltung vieler Lehrer. Entscheidend dürfte nicht zuletzt die Haltung der DNL selbst gewesen sein: Sie setzt auf (noch) mehr Leistung, verlangt verschärfte Versetzungsverfahren und striktere Benotungskriterien sowie mehr motivierte Schüler. Spätestens da dürfte es vielen Jugendlichen gedämmert haben, dass viele Lehrer vielleicht doch nicht in ihrem Interesse sprechen.
Dass Schüler und Eltern jetzt zusammenrücken, müsste für die DNL-Vertreter ein Warnsignal sein. Der Zeitpunkt ist für sie nämlich denkbar ungünstig. Denn anders als bei den Schülern und Eltern, die weitere Aktionen für die Zukunft nicht ausschließen wollen, knirscht es mächtig im Gebälk der Lehrervertretung. Im April, als sie den Synthesebericht vorstellte, hatten ihre Vertreter – neun Lehrer und neun Gewerkschafter – noch triumphiert: Allen Unkenrufen zum Trotz sei es gelungen, eine gemeinsame inhaltliche Position auszuarbeiten. Lediglich bei der Frage der Schulentwicklung, Stichwort: Schulentwicklungszellen und -pläne, waren sich die Vertreter der Gewerkschaften SEW und Apess auf der einen Seite sowie Feduse auf der anderen Seite nicht einig geworden.
Inzwischen mobilisieren erstere für einen Streik, während die Feduse und SNE in offenen Briefen vor einem Streik warnen. Was war geschehen? Nach der Veröffentlichung des Syntheseberichts hatte die Feduse ein Gespräch mit dem Land mit der Begründung abgelehnt, Fragen zur Reform müssten direkt an die DNL gerichtet. Zwei Tage später, gegenüber Radio 100,7, betonte Camille Weyrich, Feduse-Generalsekretär und Mitglied in der nationalen Lehrerdelegation, keinen Anlass für einen Streik zu sehen. Seine persönlich geäußerte Einschätzung sorgte DNL-intern für Unmut. Meinungsdifferenzen, die länger schwelten, traten offen zutage. SEW und Apess hatten nämlich noch ehe der Synthesebericht vorlag, ihren Mitgliedern einen Streik in Aussicht gestellt. Begründet wurde das damals mit den in den Augen von SEW und Apess gescheiterten Verhandlungen um das Beamtenstatut. Beide Gewerkschaften lehnen die Reform des öffentlichen Dienstes ab, beziehungsweise verlangen, die Lehrer von verschiedenen Regelungen auszunehmen.
Als sich nach der großen Demonstration im März 2012 die Gewerkschaften und Lehrer als DNL mit der Ministerin an einen Tisch setzten, um über die Sekundarschulreform zu diskutieren, lautete eine Abmachung gleich zu Beginn, die Meinungsverschiedenheiten in Sachen Reform des öffentlichen Dienstes bei den Beratungen auszuklammern und sich ganz auf die Sekundarschule zu beschränken. Nach außen hin schienen sich alle daran zu halten. Aber als die CGFP im Sommer den Rahmenabschluss unterschrieb und die CGFP-Unterorganisationen Feduse und SNE sich mit dem Minister des öffentlichen Dienstes und der Unterrichtsministerin trafen, um weitere Fragen, wie etwa die Evaluation oder die Schaffung von Bis-Graden zu verhandeln, brach der alte Streit auf. Jetzt sind die Beratungen der DNL mit dem Ministerium offiziell beendet, und für einige ist offenbar der Moment gekommen, wieder mehr Druck in eigener Sache zu machen.
In einer Pressemitteilung von SEW und Apess vom April rufen beide zum Streik gegen die Beamtenstatutreform, aber auch gegen die „Umsetzung von den Schulreformen“ auf. Auf der SEW-Homepage wird man noch deutlicher: Es gehe nicht nur um die Lehrerkarriere, sondern „ums Ganze. Es geht um ein Gesellschafts- und ein Schulmodell“, heißt es dort. Gestreikt werden soll nicht nur gegen die Bewertung der Lehrerleistung oder niedrigere Einstiegsgehälter für Junglehrer, sondern auch gegen den Europäischen Referenzrahmen für Sprachen, für strengere Promotionskriterien im Technique oder gegen den „Wahn vom so genannten Kompetenzunterricht“. „Sie hatten versprochen, beides voneinander zu trennen, aber sie halten sich daran nicht“, ärgert sich Schülervertreter Pol Reuter.
Derweil wird der Streit zwischen den Gewerkschaften um die Deutungs- und Meinungshoheit immer hitziger. Ein offener Brief jagt den anderen. Während SEW und Apess der Feduse und dem SNE mehr oder weniger deutlich Verrat vorwerfen, weil sie bei den Verhandlungen um die Beamtenstatutreform einen Kompromiss ausgehandelt haben, wähnt die Feduse durch die unnachgiebige Haltung von Teilen der DNL und die Streikandrohung druch SEW und Apess den Ruf der Lehrerschaft in Gefahr. Sich selbst sieht die Feduse als Opfer einer Kampagne des gewerkschaftlichen Konkurrenten, der die DNL von innen usurpiert habe: „Es sieht so aus, als wollten gewisse Mitglieder der DNL uns absichtlich raus haben“, mutmaßt Camille Weyrich im Gespräch mit dem Land. Sein Vorwurf: Unter dem „neutralen Deckmantel der DNL“ würden gewerkschaftsnahe Lehrer für Positionen von SEW und Apess agitieren. Tatsächlich ist DNL-Sprecher Jacques Maas auf der SEW-Internetseite als Komiteemitglied der Sekundarschulabteilung gelistet. Jhemp Hoscheit, DNL-Mitglied, ist ebenfalls mehrfach beim SEW in Erscheinung getreten.
„Die DNL ist überholt“, sagt Weyrich. Mit dem Synthesebericht habe sie ihre Existenzberechtigung verloren. Erledigt ist sie aber keineswegs: DNL-Mitglieder ziehen derzeit von Lyzeum zu Lyzeum, um ihre Thesen darzulegen. Im Bericht einer Informationsveranstaltung mit der DNL (ohne Feduse) und dem Lehrerkomitee des Lycée Hubert Clement in Esch klingen die Positionen in der Tat zugespitzter und schärfer als im Synthesebericht. Bisweilen erscheinen sie gar verzerrt, etwa wenn behauptet wird, das Lehrerkomitee würde durch die geplanten – und an 31 Lyzeen existierenden – Schulentwicklungszellen „ersetzt“. Das ist nicht der Fall, das Ministerium und auch die Direktionen wollen die Zellen quasi als Zwischenstruktur und pädagogischen Thinktank haben, wo sie gemeinsam mit der Direktion und in Abstimmung mit dem Conseil d’éducation Schulprojekte entwickeln und koordinieren sollen. „Da scheinen manche gezielt, Halbwahrheiten zu verbreiten und Details dramatisieren zu wollen“, befürchtet Weyrich.
So oder so, das Tischtuch zwischen den Gewerkschaften ist nun zerschnitten. In Sachen Sekundarschulreform mobilisieren beide Seiten getrennt: Die Feduse trifft sich demnächst mit den Grünen. Auch die DNL hat angekündigt, bei verschiedenen Parteien vorstellig zu werden. Derweil wartet die Feduse auf die Ausführungsbestimmungen für die Reform des Beamtenstatuts. „Ich hoffe, sie liegen vorm Sommer vor“, so Camille Weyrich, „dann wäre wenigstens das Thema endlich vom Tisch.“
SEW und Apess pokern hoch: Sie halten am Streik-aufruf fest. Streng genommen, müsste die Beamtenstatutreform der Streikgrund sein, denn nur hierfür hatten die Gewerkschaften die Schlichtung abgerufen, das sie, als die Ministerin ihre Forderungen ablehnte, für gescheitert erklärten. Beide Gewerkschaften machen aber keinen Hehl daraus, dass sie im Falle eines Streiks alle Reformen – auch die bereits beschlossene Berufsausbildungs- sowie die Grundschulreform – auf die Agenda setzen werden.
Entscheidend wird deshalb sein, wie die Stimmung an der Basis ist und wer von den Gewerkschaften mehr Mitglieder überzeugen kann. Als im März 2012 5 000 bis 6 000 Lehrer auf die Straße gingen, existierte das Amalgam zwischen den Schulreformen bereits. Unklar ist, wie groß die Unzufriedenheit der Lehrer heute ist und ob sich die allgemeine Aufregung nicht inzwischen etwas gelegt hat. Zumal nun die Schülervertreter nicht mehr hinter den Lehrern stehen. Für einen Streik muss die Hälfte aller Lehrer zustimmen. Auf der SEW-Internetseite, die die Streikbereitschaft dokumentiert, sind bislang neun Gemeinden angegeben, deren Grundschullehrer mehrheitlich einem Streik zustimmen. Drei Sekundarschulen aus dem Süden (Mathias Adam, Hubert Clement, Lycée de garçons in Esch) sowie die Handelsschule werden mit einer Zustimmung von 50 bis 80 Prozent aufgeführt. Zu den anderen liegen noch keine Ergebnisse vor. Auf einer Facebook-Seite, die für den Streik mobilisiert, fanden sich binnen weniger Tage rund 860 Unterstützer – um seitdem auf dem Niveau zu verharren. SEW und Apess, die ihrerseits von einer „Kampagne der Desinformation“ sprechen, verlängerten am Donnerstag die Frist für die Streiklisten, sind aber zuversichtlich, das Quorum zu erreichen.
Viele Lehrer dürften ihr Votum für oder gegen einen Streik wohl auch davon abhängig machen, wie sich die Unterrichtsministerin und die Abgeordneten verhalten werden – und wie sich die öffentliche Meinung entwickelt. Im Streit um die Zeugnisse in der Grundschule hofft das Ministerium, mit Hilfe der Uni Luxemburg den verfahrenen Dialog wieder in Gang zu bekommen und einen tragfähigen Konsens zu finden, der dann hoffentlich einige Jahre hält. Der SNE hat sich bereit erklärt, mitzudiskutieren. Und dann sind da noch die Schüler und die Eltern: Auf Facebook und in Nachrichtenforen mehren sich genervte Stimmen, die meinen, die Lehrer sollten „endlich Ruhe geben“ und zufrieden sein mit dem Kompromiss, der nun auf dem Tisch liegt. „Persönlich habe ich ein ungutes Gefühl wegen Detailfragen zu demonstrieren, während andere Leute auf die Straße gehen, weil sie ihren Arbeitsplatz verlieren“, sagt Camille Weyrich von der Feduse. Zumindest den Eltern- und Schülervertretern dürfte er damit aus dem Herzen sprechen.