Das Lëtzebuerger Land traf sich diese Woche mit der Lehrerdelegation DNL. Um den Tisch saßen fünf Vertreter (Françoise Brück, Deutschlehrerin am Echternacher Lycée classique, Jacques Maas, Geschichtslehrer im Collège, Frank Kirsch, Französischlehrer im Lycée Aline Mayrisch, Jasmina Pucurica, Französischlehrerin am Bonneweger Lycée technique, sowie André Berns, Mathelehrer des hauptstädtischen Lycée de Garçons). Im Fokus des einstündigen Gesprächs: zentrale Probleme des Luxemburger Schulsystems, welche Reformmaßnahmen die Lehrervertreter befürworten – und weshalb sie noch immer nicht mit der Kommunikation der Unterrichtsministerin zufrieden sind.
d’Land: Die Unterrichtsministerin meint, bei rund 90 Prozent deckten sich die „Sichtweisen“ zwischen Ministerium und DNL. Trotzdem sind Sie unzufrieden und kritisieren, es habe keinen kontradiktorischen Dialog gegeben.
Jacques Maas: Wir hatten mit Frau Delvaux eine Verhandlungsprozedur vereinbart, die von beiden Seiten zum größten Teil eingehalten wurde. Nach der Analyse des Ist-Zustandes haben wir Problembereiche der Luxemburger Schule identifiziert und Vorschläge vorgelegt, welche Gegenmaßnahmen zu ergreifen sind. Die Vorschläge der DNL wurden noch kontrovers diskutiert, aber als es dann an Frau Delvaux war, ihre Ideen zu erläutern, war die Diskussion schnell abgewürgt.
Die Ministerin betont, es seien keine Verhandlungen gewesen und sie hätten während der 19 Verhandlungsrunden auch kontrovers diskutiert.
J. M.: Das haben wir auch. Aber die Vorschläge der Ministerin waren von der Debatte ausgenommen. Buchstäblich in letzter Minute kam sie mit Vorschlägen, von denen zuvor nie die Rede war. Wir verstehen ihre Motive nicht und mussten mit vielen offenen Fragen vor unsere Basis treten, die uns gewählt hat. Es sieht so aus, als war der Dialog nur zum Schein.
Welche Motive waren unklar?
J. M.: Drei Beispiele: Wir waren erstens überrascht, dass die Ministerin in der letzten Sitzung plötzlich ankündigte, die Berufsausbildung aus dem Technique herausnehmen zu wollen. Das wäre eine Neugliederung unseres Schulsystems, von dem früher nicht nur keine Rede war, im Gegenteil: Die Ministerin hat stets betont, der EST verfolge beide Ziele – die Schüler auf die Berufsausbildung oder auf weiterführende Studien vorzubereiten. Zweitens: Wir haben lange über den oberen Zyklus im ES diskutiert, kontrovers in den eigenen Reihen. Aber wir waren uns alle einig, dass wir drei Mathematik-Leistungsniveaus brauchen. Nun scheint es, als sei die B-Sektion verschwunden, die Ministerin scheint nur zwei Mathe-Niveaus zu planen, ein eher theoretisches und ein anwendungsorientiertes. Drittens: Die sachkundliche Sektion wollten wir reformieren, aber sie taucht im Minister-Vorschlag nicht mehr auf, sondern ist wohl ins Technique verschoben. Warum erklärt sie uns nicht, was der Transfer soll?
Ihre Einwände können Sie doch im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses erläutern. Die Entscheidung fällt aber auf politischer Ebene.
J. M.: Wir wissen sehr wohl, wo Gesetze gemacht werden. Wir hätten aber gerne kontrovers zu Ende diskutiert. Wir haben uns bei unseren Vorschlägen etwas gedacht. Unsere Kriterien waren: Die Vorschläge sollten präzise definiert sein, die Lösungen pertinent und wirksam. Die Maßnahmen dürfen nicht isoliert stehen, sondern ihre Auswirkungen auf die Strukturen und auf den Unterrichtsalltag müssen im Vorfeld realistisch eingeschätzt werden. Sie müssen umsetzbar sein.
Ihre Statistiken, mit denen Sie Ihre Synthese begründen, sind lückenhaft und nicht genau.
Jasmina Pucurica: Wir haben auf der Grundlage des Fragebogens, den wir den Lehrerkomitees und den Programmkommissionen geschickt haben, ein detailliertes Meinungsbild gewonnen Es war uns in der Kürze der Zeit und mit unseren Ressourcen aber nicht möglich, das umfassende Datenmaterial der Öffentlichkeit klar und verständlich zu präsentieren. Die Version, die wir veröffentlicht haben, ist gestrafft und beinhaltet nur die grundsätzlichen Stellungnahmen der Befragten.
Sie fordern unter anderem kleinere Effektive, um schwache Schüler besser zu fördern, etwas, das die Ministerin grundsätzlich begrüßt. Das Sitzenbleiben wollen Sie erhalten, obwohl Bildungsexperten sich einig sind, dass die Klasse zu wiederholen kein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Lernschwächen ist.
Françoise Brück: Wir fordern kleinere Effektive lediglich für den Régime préparatoire und die Cours d’appui, und das aus genau dem Grund, weil wir die Schüler besser fördern wollen. Wenn wir die Schüler individuell betreuen, der Lehrer auch persönlicher Ansprechpartner sein soll, dann geht das nicht mit einer Klasse von 25 bis 28 Schülern. Deshalb wollen wir klare Richtgrößen.
Würde das Ministerium die Stunden und die Größe für die Cours d’appui vorschreiben, hieße es dann nicht von Ihrer Seite, die Ministerin beschneide pädagogische Freiheiten?
Jacques Maas: Flexibilität ist sicher wünschenswert, aber durch langjährige Erfahrung wissen wir, dass wenn wir nicht Mindestgrößen einsetzen, die Kurse meistens größer werden. Die Personaldecke in den Schulen ist schon dünn. Dann wäre es eine weitere von vielen gut gemeinten Aktionen, die im Alltag nicht greifen. Das wollen wir vermeiden.
Ein Schwerpunkt in Ihrer Argumentation sind die Promotionskriterien. Die Ministerin kommt Ihnen entgegen und wird sie verschärfen. Sie sind aber nicht zufrieden.
Françoise Brück: Die automatische Versetzung wird abgeschafft. Wie genau die Promotionskriterien insbesondere im unteren Zyklus des EST aussehen werden, wurde uns bis dato vorenthalten.
Die Ministerin spricht sich für eine nuancierte Bewertung der Sprachkompetenzen aus, um Schülern, die in den Sprachen nicht so gut sind, das Weiterkommen zu ermöglichen.
Françoise Brück: Es ist schon jetzt problematisch, dass der Sprachenunterricht und die Bewertung sehr zersplittert sind. Unser Vorschlag sieht Grund- und Fortgeschrittenenkurse vor. Ein schwacher Schüler hätte also durchaus die Möglichkeit, trotz der Defizite in einer Sprache weiterzukommen. Trotzdem muss sichergestellt bleiben, dass er am Ende der 9e ein annehmbares Niveau erreicht hat.
Der Druck auf unser Schulsystem durch den Bevölkerungswandel ist enorm. Immer weniger Schüler sprechen zuhause Luxemburgisch. Müsste man deshalb den Spracheneffekt auf die Schulkarriere nicht viel stärker zurückfahren?
Jacques Maas: Luxemburg hat eine spezifische Sprachensituation und wir müssen uns alle anstrengen, damit Schüler beide Sprachen so gut wie möglich lernen. Tun wir das nicht, führt das unweigerlich zu einer Aufspaltung zwischen eher germanophonen und eher romanophonen Schülern. Dasselbe gilt für den Fall, dass man die Schüler die Unterrichtssprache wählen lässt. Wir befürchten eine gesellschaftliche Segregation, wie man sie heute schon in den Nachbarländern beobachten kann. Es ist eine eminent politische Diskussion, die im Parlament geführt werden muss.
Haben wir die Spaltung nicht schon längst? Alle Studien belegen, dass der Anteil der portugiesischen Kinder im EST größer ist und sie es schwerer haben, ins Classique zu gelangen. Dasselbe trifft auf Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern zu.
J. M.: Unsere Antwort ist voluntaristisch. Wir dürfen nicht aufgeben. Wir haben ja durchaus auch Erfolge mit unserer heterogenen Schulbevölkerung zu melden. Überdies müsste der tatsächliche Schüleranteil mit Migrationshintergrund im ES aufgrund einer breiteren Datenerhebung überprüft werden.
Françoise Brück: Im aktuellen System sind die Durchfallquoten auf der 10e enorm hoch. Schuld sind die laxen Promotionskriterien im Cycle inférieur. Wenn wir wirklich die Studierfähigkeit der Schüler verbessern wollen, wenn unsere Schüler später in Luxemburg arbeiten sollen, müssen sie Französisch auf einem hohen Niveau sprechen und schreiben können. Wir Lehrer tragen da eine Verantwortung.
Warum gelingt das so schwer? Es wird bereits viel Zeit in den Sprachenunterricht investiert.
Frank Kirsch: Es heißt immer, die Leistungen der Schüler wären schlecht, weil die Anforderungen zu hoch sind, deshalb müssten diese niedriger angesetzt werden. Wir plädieren für den anderen Weg, nämlich mehr zu unterstützen. Es stimmt, das didaktische Material im Sprachenunterricht ist nicht gut. Wir schlagen das Konzept der Langue seconde für Luxemburg vor. Das wäre ein qualitativer Sprung, der jedoch bedeuten würde, dass in Deutsch und in Französisch von der Grundschule bis zur Oberstufe des Lycée Inhalte und Methoden grundlegend überdacht und systematisch aufgebaut werden müssen. Das wurde in der Form bisher, wenn überhaupt, nur ansatzweise gemacht.
Sie kritisieren die Ministerin, sie trage betriebswirtschaftliche Konzepte, wie den Kompetenzansatz, in die Luxemburger Schulen. Aber hat die Schule nicht auch die Aufgabe, Kinder auf die Arbeitswelt vorbereiten?
Françoise Brück: Der Vorteil, den Luxemburger Schüler durch die Mehrsprachigkeit haben, hilft ihnen gerade in einer globalisierten Welt. Wir entlassen die Schüler in eine Leistungsgesellschaft, deshalb müssen wir Anforderungen stellen und die Schüler entsprechend fördern Wir wissen, dass viele Kinder medial abgelenkt sind und Schwierigkeiten haben, sich zu motivieren. Aber auch im späteren Leben wird man Dinge tun müssen, die man nicht so gerne macht. Auch darauf muss die Schule vorbereiten.
Angeblich will niemand ein Nivellement vers le bas. Die Ministerin beteuert das jedenfalls.
Jacques Maas: Deshalb lautet unsere Antwort, proaktiv Schwächen zu erkennen und dort Hilfen anzubieten, sobald sie sich auftun.
Françoise Brück: Für Schüler, die Probleme haben, die nicht direkt mit dem Lernen zusammenhängen, fordern wir, stärker auf sozioedukatives Personal zurückzugreifen.
Sie wollen bestehende Strukturen in den Lyzeen stärken. Wie demokratisch sind diese? Brauchen Riesenschulen nicht professionelle Leitungen mit Zwischenstrukturen, die sich um die pädagogische Entwicklung kümmern?
Jasmina Pucurica: Auf der einen Seite spricht die Ministerin von individualisiertem Unterricht, auf der anderen Seite werden Schulen für tausend und mehr Schüler gebaut. Wenn wir von professionalisierter Schulentwicklung sprechen, dann muss sie dem Schüler etwas bringen. Und da sind die Schulentwicklungsteams wenig wirksam, denn die wichtigste Arbeit ist die, die im Klassenzimmer stattfindet, also die Arbeit des Lehrers mit den Schülern.
Jacques Maas: Die neuen Strukturen sind nicht demokratisch legitimiert. Keine Gewerkschaft kann damit einverstanden sein, dass neue autoritäre Strukturen in die Schulen eingezogen werden. In den Lehrerkomitees sind Kompetenzen vorhanden, dort und im Conseil d’éducation sitzen gewählte Vertreter, sie wollen wir stärken. In vielen Schulen klappt die Zusammenarbeit sehr gut. Die Ministerin hat uns bisher nicht sagen können, was der konkrete Mehrwert neuer Strukturen für den Schüler ist. Was haben wir von einer professionellen Kaderschmiede, die nicht mit der Lehrerschaft verbunden ist?
Wie geht es weiter?
J. M.: Wir werden ab der nächsten Woche den politischen Parteien unsere Vorschläge unterbreiten. Die Sprachenproblematik wird zentrales Thema sein. Die Vollversammlung der Lehrerkomitees Basis hat uns beauftragt, das Dossier weiter zu verfolgen, wir werden Stellung zum Entwurf nehmen, mit den Schulen Rücksprache halten und dann auf einer fünften Vollversammlung entscheiden, wie der neue Entwurf zu bewerten ist.