New Kid in Town Farbflecken auf dem Parkettboden. Staubverschmierte Fenster. Und an einer Wand hängt ein abgerissenes Poster mit dem Titel: Das Mädchen aus der Lüneburger Heide. „Das hier sollen später Ateliers für Künstler werden“, sagt Christian Mosar. „Ich glaube, ich werde diesen Raum so rough lassen.“ Blaues Hemd, Jeans, Sneakers und Panto-Brille – Christian Mosar führt bereits seit einer halben Stunde durch das einstige Möbelbaus Lavandier in Esch, doch noch immer hat er nicht alle Räume gezeigt.
Anfang des Jahres hat die Stadt Esch den Gebäudekomplex von rund 3 000 Quadratmeer von Pit Lavandier für 10,5 Millionen Euro abgekauft. Der einstige Möbelmogul lebt mit seiner Frau weiterhin im Penthouse, und einige Objekte zeugen noch von seinem Privatleben: ein möblierter Aufzug, ein Porsche in der Tiefgarage und ein menschengroßer Kühlschrank für die Wildjagd im Keller. Aber ansonsten steht Mosar, dem ersten Direktor der neuen Konschthal Esch, die gesamte Fläche für zeitgenössischen Kunst zur Verfügung.
Dass Mosar die Konschthal Esch eröffnen soll, wird ihn wohl selbst am meisten überraschen. Der gelernte Kunsthistoriker sollte eigentlich gemeinsam mit Nancy Braun das Prestigeprojekt Esch 2022 organisieren. Doch im Mai kam es zum Bruch, seither ist Mosar Angestellter der frEsch asbl und zuständig für die Konschthal und das Bridderhaus, einer zukünftigen Künstlerresidenz in Esch. Warum es zum Moxit kam, darüber bewahren alle Stillschwiegen. Aber natürlich weiß insgeheim jeder, dass Braun und Mosar als Team nicht funktionierten – sowohl auf persönlicherer wie auf konzeptueller Ebene. Oder wie es aus dem Kulturministerium diplomatisch heißt: Beide sind „falsch gecastet“ worden.
Territorial Pissing Mosar will die Geschichte um die Europäische Kulturhauptsdat nun hinter sich lassen und Vollgas im Konschthaus geben: Er genießt die volle künstlerische Freiheit, will in der Kunsthalle vier bis sechs Ausstellungen pro Jahr veranstalten und mittelfristig bis zu 16 Mitarbeiter einstellen. Und auch sonst hat er große Pläne: „Ich will die Manifesta nach Esch holen“, so Mosar. „Und irgendwann auch den Luxemburger Pavillon in Venedig in der Konschthal konzipieren.“
Das klingt äußerst ambitioniert, manche würden es wohl als anmaßend bezeichnen. Kevin Muhlen, künstlerischer Direktor des Casino Luxembourg, wird die Aussagen von Mosar wohl auch als Angriff deuten. Aber Mosar hält seine Ideen für realisierbar und sieht seine Konschthal nicht in Konkurrenz zum Casino stehen. „Ass den Escher Theater eng Konkurrenz fir de Stater Theater?“, so Mosars rhetorische Replik. Zudem lehnt er ein „Pyramide der zeitgenössischen Kunst in Luxemburg“ ab, wonach es eine vertikale Hierarchisierung der musealen Institutionen gibt, die bei einer einfachen Galerie beginnt und beim Mudam endet.
Mosar genießt für seine Vorhaben dabei die Gunst und Unterstützung der Stadt Esch. Als sein Gönner gilt vor allem Kulturschöffe Pim Knaff (DP), der sich viel von Mosars Know How in zeitgenössischer Kunst erwartet und maßgeblich verantwortlich ist für die Umsetzungen des Escher Kulturplans Connexions. Kern dieses Plans, der bis zum Jahr 2028 reicht, sind unter anderem die Konschthal, das Bridderhaus und das Bâtiment IV. Auch wenn die Stadt Esch sich davor hütet, es so zu formulieren, sollen diese Projekte die Escher Bevölkerung langfristig mit dem unpopulären Kulturhauptstadt-Projekt Esch 2022 versöhnen. Manche fragen sich allerdings, wo die Stadt Esch auf einmal die vielen Millionen Euro für Kulturpolitik findet – immerhin liegt das Kulturbudget bei rekordverdächtigen 16 Prozent. Wie hoch Mosars Budget für die Kunsthalle sein wird, will er nicht verraten, aber dem Vernehmen nach soll es deutlich über einer Million Euro liegen.
Ikonoklasmus Nun steht erst einmal eine Umbauphase bis Herbst 2021 an: Teppichböden entfernen, Sanitäranlage bauen, zusätzliche Notausgänge anbringen und die Struktur des Gebäudes so freilegen, dass sie idealerweis mit Kunst bespielt werden kann. Doch allzu viel will Mosar nicht verändern: Die Konschthal soll wie die Kunsthallen in Deutschland ein schlichter Ort für zeitgenössische Kunst sein: Multimedial und interdisziplinär, ein Haus das sich mit den drängenden Fragen der Gegenwart auseinandersetzt. Sie soll „Werk- und nicht Künstlerorientiert“ sein, so Mosar. Will heißen: Keine Schau der großen Namen, des Bling-Bling oder der Häppchenkunst. Eher soll es eine Plattform der Vernetzung und des Experimentierens sein, wo Künstler/innen sich austoben und keine Angst vorm Scheitern haben sollen. Die Konschthal soll jung, kreativ im besten Fall avantgardistisch sein. Kein Ort für arrivierte oder apologetische Siegerkunst, sondern ikonoklastisch mit einem Hauch von Anarchie. „Vielleicht so wie das Palais de Tokyo in Paris“, sagt Mosar. Als Appetizer dient gerade die Schaufenster-Installation Un monde parfait des Künstlerpaars Martine Feipel und Jean Bechameil sowie ein Werk des Wiener Künstlers Alfredo Barsuglia: Das Wunder, ein Kugelauto, das vor der Kunsthalle steht.
Eventisierung Doch auch die Konschthal Esch wird nicht rein als Museum fungieren, kein profaner Ort der Kunst sein. Sondern sie wird der Stadt ebenso als Raum für gesellschaftliche Anlässe zur Verfügung stehen und auf den Zug des internationalen Phänomens der Eventisierung der Museumswelt aufspringen, der gerade nur temporär durch Corona ausgebremst wird. Ob das nicht den avantgardistischen Anspruch von Mosar konterkariert, wird sich zeigen.
Die Konschthal verfügt zudem über zwei Sammlungen: Die zeitgenössische Kunstkollektion der Stadt Esch sowie die Sammlung des Kunstliebhabers Marc Modert. Letztere umfasst rund 2 000 Objekte – vorwiegend von Luxemburger Künstler/innen –, die Modert der Stadt Esch geschenkt hat. Mosar wird sie in einem rund 500 Quadratmeter Großen Keller lagern. Was genau er damit vorhat, weiß er noch nicht, es gelte zunächst die Sammlung, die frei nach dem Geschmack von Marc Modert erstellt wurde, professionell zu erschließen. Aber das ist alles noch Zukunftsmusik, ebenso wie eine Manifesta in Esch.