Was, wenn das ganze Leben nur ein Traum ist, aus dem wir irgendwann erwachen? Die neue Tanzsaison im Grand Théâtre verspricht spannende spartenübergreifende Kooperationen und kündet davon, dass der zeitgenössische Tanz vielfältig ist und sich weltweit neu erfindet.
Den Auftakt bildet Dystopian Dream, eine Arbeit zwischen dem Asian-Underground-Komponisten Nitin Sawhney und den Choreografen Honji Wang und Sébastien Ramirez. Die Choreograpfie des Duos kreist um Verlust, Isolation, Aufgeben und Weitermachen. Basierend auf Hip Hop und der tänzerischen Interpretation des Musik-Albums Dystopian Dream verspricht die Choreografie von Wang und Ramirez eine Reise durch Traumwelten, untermalt durch surreale Animationen von Nick Hillel und den Gesang von Eva Stone.
Ebenfalls surreal, doch vor allem bizarr wirkt das neue Projekt der luxemburgischen Tänzerin und Choreografin Sylvia Camarda Ex(s)ilium or down the rabbit hole. Die Beschreibung des Stücks wirft die Frage auf, ob man „böse Diktatoren“ wie Stalin, Gaddafi, Hitler, Idi Amin und Saddam Hussein über einen Kamm scheren sollte. „Die Figur ‚des Diktators’ in Sylvia Camardas neuem Solo-Stück ist wie eine Synthese verschiedener Diktatoren der Geschichte“, heißt es in der Ankündigung. In ihrem Tanzstück befinden sich die Gewaltherrscher im Exil. Wie bei Alice im Wunderland lässt die luxemburgische Choreografin ihre Diktatoren durchs Kaninchenloch auf die andere Seite des Spiegels wechseln, um das Exil zu durchbrechen. In ihrer Choreografie träumen die Diktatoren davon zurückzukehren. Man darf gespannt sein, was sich hinter diesem kühnen tänzerischen Ansatz der Geschichtsdeutung verbirgt.
Mit Vamos Cuba! dürfte jedenfalls keine Überraschung, sondern ein buntes karibisches Tanzstück garantiert sein. Die Bilder erinnern an die Varietés Havannas. Die Rhythmen Salsa, Rumba, Cha-Cha-Cha sind spätestens nach dem Erfolg von Buena Vista Social Club weltweit bekannt und beliebt geworden. Die Choreografin Nilda Guerra hat die 500-jährige musikalische Geschichte ihrer Heimat in Havanna Rakatan erzählt. Vamos Cuba! lädt zu einer Reise in die Karibik ein und feiert das Lebensgefühl der Kubaner, die ‚Cubanidad’ mit Live-Band, DJ, traditionellen und modernen Klängen und einem großen Tanzensemble.
„Con Pasión“ geht es auch ins neue (christliche) Jahr. Israel Galváns’ La Fiesta feiert den Flamenco. Denn der ist für Galván nicht nur eine Lebenseinstellung, eine Art, Rhythmus und Takt zu setzen, sondern seine Daseinsform, der sich der Choreograf ganz und gar verschrieben hat. In La Fiesta experimentiert Galván mit den Ausdrucksformen des Flamenco zwischen avantgardistisch und orthodox.
Im Escher Theater begibt sich Anne-Mareike Hess mit ihrer Choreografie Give me a reason to feel dagegen auf die Suche nach in uns schlummernden Begierden. In ihrem Tanzstück brechen drei Tänzerinnen unter vollem Einsatz ihrer Kräfte aus der Starre aus und begeben sich auf die Suche nach ihrer Sehnsucht. Traumhaft geht es auch in Icon zu. Sidi Larbi Cherkaoni und die „Göteburgsoperans Danskompani“ (18 Tänzer) entführen einen im Grand Théâtre in eine Traumlandschaft. 3,5 Tonnen Ton bilden die Szenerie für das Stück. Der belgische Choreograf vergleicht den Werkstoff mit den Körpern des Tänzers. Beide hätten das Potenzial zur Transformation.
Ausbruch aus der digitalen Welt und Aufbruch ins wahre Leben, darum geht es bei Pixel, in der sich Tänzer der „Compagnie Käfig“ durch eine virtuelle Welt bewegen. Das dreidimensionale Bühnenbild bewegt sich im Gleichklang, bis die Grenzen zwischen Körper und Raum verschmelzen. Ob die Gesellschaft tatsächlich bereit für Inklusion ist erkundet schließlich Annick Pütz in À part être. Ob Tanz gleichermaßen für Menschen mit und ohne Einschränkungen erfahrbar ist, haben die Luxemburgische Choreografin und der Psychomotoriker Thierry Raymond erforscht. Seit zehn Jahren arbeiten sie gemeinsam am Projekt „Blancontact“. Man darf gespannt sein, ob in dem Tanzstück Barrieren gesprengt werden.
In Driven geht Jean-Guillaume Weis, der selbst einst im Ensemble von Pina Bausch getanzt hat, schließlich der Frage nach, was Menschen antreibt, Tänzer zu werden. Sein Stück versucht Antworten darauf zu geben, indem es den Darstellern Raum gibt, sich über Tanz und ihre künstlerischen Aussagen auszudrücken. Frauen und Männer aller Altersgruppen legen via Videoprojektion ein Zeugnis ihres Werdegangs und ihrer künstlerischen Identität ab. So dürfte ein buntes Kaleidoskop entstehen.
Die Saison endet leidenschaftlich mit Carmen(s) von José Montalvo. „Ich glaube, dass in jeder Frau eine Carmencita schlummert oder zum Ausdruck kommt“, meint Montalvo. Zeugt sein Zitat von Machismo oder der uneingeschränkten Liebe zu den Frauen? Vermutlich Beides. Mehrere Tänzerinnen teilen sich in seinem Tanzstück die begehrte Hauptrolle der Heldin aus der Novelle von Prosper Mérimée und der darauf basierenden Oper von Georges Bizet.