Wie geht es weiter?, fragen Schüler und Eltern besorgt angesichts völlig verhärteter Fronten zwischen Lehrern, Gewerkschaften und Schulministerium im Sparstreit. Wird im Herbst ein Streik den Unterricht an den über 30 Sekundarschulen lahmlegen, werden wütende Lehrer weitere Reformen blockieren? Die Mehrheit der Lehrer scheint die Konfrontation zu wollen, stimmten sie doch dafür, den Kompromissvorschlag abzulehnen, der Anfang Mai während des viermonatigen Schlichtungsverfahrens zwischen Gewerkschaften und Bildungsministerium gefunden wurde. Das offizielle Abstimmungsergebnis lag bis Redaktionsschluss nicht vor, aber obschon sich die Mobilisierung an einigen Schulen in Grenzen hielt, sind die meisten der abgegebenen Stimmen gegen den Kompromiss.
Wobei dieser von vornherein auf wackeligen Füßen stand: Als am 4. Mai die Vertreter der Gewerkschaften Apess, Feduse und SEW nach viereinhalb Stunden Verhandlungen im Justizpalast vor die Kameras und Mikrofone der Journalisten traten, hatte es von allen Seiten noch geheißen, eine Einigung sei in Sicht. Selbst Daniel Reding von der Apess sagte damals, einen besseren Kompromiss zu erzielen, sei kaum mehr möglich. Bildungsminister Claude Meisch (DP) kündigte erleichtert den Durchbruch an, obschon er wusste, dass für eine endgültige Beilegung des seit Sommer vergangenen Jahres schwelenden Dauerstreits die Königsetappe noch vor ihm lag: Die Vertreter der Lehrerkomitees hatten im Frühjahr darauf gepocht, dass die Intersyndicale das Kompromisspapier den rund 4 200 Sekundarschullehrern zur Abstimmung vorlegen würden.
Doch während der Minister davon ausging, dass die Gewerkschaften in den Schulen um Unterstützung für den Vorschlag werben würden, gab es eine abrupte Wendung: Ende Mai veröffentlichte die Intersyndicale ein internes Sitzungspapier. Jules Barthel vom SEW zufolge entschlossen sich die Gewerkschaften zu dem historischen groben Regelbruch, weil ihre Änderungen im Schlussbericht nicht berücksichtigt worden seien. Die Gewerkschaften hätten dem Wegfall der Alters-Décharge ab 45 Jahren zwar nach zähem Ringen zugestimmt. Doch statt „une leçon d’activités autres que l’enseignement directe“, stehe im Schlussbericht „une leçon d’activités connexes autres que l’enseignement“. Eine Falle, so die Intersyndicale, mit der Lehrer zu allen möglichen Diensten herangezogen werden sollen. Der Minister habe seinen Wortlaut durchgedrückt, das Resümee des Schlichters sei fast „eins zu eins die Kopie des Arbeitspapiers des Ministeriums“, so der Vorwurf, den Schlichterin Marianne Harles aber empört von sich wies.
Das Ministerium verneint ebenfalls energisch, unfair gespielt zu haben, und behauptet, die Änderungswünsche der Gewerkschaften seien nie Gegenstand der Verhandlungen gewesen. Die Intersyndicale will, dass der für die Abschlussklassen geplante Coefficient réducteur nicht nur dort fallengelassen, sondern zudem auch in der Berufsausbildung gestrichen werde. Dabei war vereinbart worden, diese und andere Details in einer Arbeitsgruppe nach der Schlichtung zu diskutieren. Den Gewerkschaften dienten diese Unstimmigkeiten dazu, dem Minister Wortbruch vorzuwerfen und am 6. Juni im Forum Geesseknäppchen vor rund 140 Lehrer-Vertretern den mühsam errungenen Konsens kurzerhand aufzukündigen. Zur Kehrtwende entscheidend beigetragen haben dürfte der Druck führender Vertreter der Lehrerkomitees. Sie ließen kein gutes Haar an dem Kompromiss und wiesen ihn als „völlig inakzeptabel“ zurück. In ihrer Stellungnahme vom 3. Juni, drei Tage vor der Vor-Abstimmung, warfen sie der Regierung vor, sich mit vagen Formulierungen die Einigung quasi erschlichen zu haben. Keinesfalls dürfe einseitig auf dem Rücken der Lehrer gespart werden. Die Vertreter der Lehrerkomitees hatten sich von Anfang an vehement gegen jede Änderung ihrer Tâche gewehrt. An ihrem massiven Widerstand scheiterte im Dezember ein erster Verhandlungsanlauf.
Dieses Mal war es nicht anders. Die Feduse, durch die Niederlage bei den Sozialwahlen von diesem Frühjahr zusätzlich geschwächt, sah angesichts der unnachgiebigen Haltung der Lehrervertreter offenbar keine andere Option, als den Rückzug vom Kompromiss anzutreten. Daniel Reding von der Apess, dessen Beziehung zum Minister besonders angespannt zu sein scheint, rief, durch den negativen Ausgang des Referendums beflügelt, auf RTL zum Votum „gegen die Regierung“ auf. – Dass die Gewerkschaften sich gegen Kürzungen wehren, ist ihr gutes Recht und ihre Rolle. Trotzdem stimmt auch, dass der Minister ihnen entgegenkam: Der geplante Coefficient réducteur auf den Abschlussklassen würde wegfallen. Die Gewerkschaften schluckten im Gegenzug die bittere Pille bei der Alters-Décharge – aber eben nicht wirklich. So sagte Jules Barthel vom SEW am 4. Juni, zwei Tage vor dem Votum in der Geesseknäppchen und einen Tag nach der Stellungnahme der Lehrerkomitees, dass er von einem „negativen Votum“ ausgehe und ein Streik im Sekundarschulunterricht immer wahrscheinlicher werde.
Weil Schlichterin Harles selbst nicht die Initiative ergriff, das Verfahren als gescheitert zu erklären, hatte Claude Meisch den Schwarzen Peter in der Hand. Vergangene Woche stellte der Minister auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz seine Sicht der Dinge dar. Auf die Gewerkschaften sei kein Verlass, wetterte Meisch mit kaum verhohlenem Ärger. Ein Brief an die Lehrer, in dem der Minister dazu aufruft „Differenzen zu überwinden, Perspektiven zu schaffen“, war ein letzter verzweifelter Versuch, der Lehrerbasis die eigene Position und Pläne zu erklären. Darin wehrte sich Meisch Punkt für Punkt gegen die Vorwürfe von Gewerkschaften und Lehrerkomitees. Doch ein negatives Votum bedeutet zugleich eine Abfuhr an seine Bildungspolitik, da mag Meisch noch so oft betonen, dass er in den Schulen auch Befürworter hat. Es gibt sicher Lehrer, die den Zickzackkurs der Gewerkschaften kritisieren. Aber entweder haben sie nicht den Mut oder nicht die Kraft sich deutlich gegen die Blockadehaltung zu positionieren und dem Spuk ein Ende zu bereiten. Tatsache ist, dass viele Lehrer keine Sparanstrengungen machen wollen, zumal sie mit der Vereinbarung von 2007 finden, sie hätten schon genug gegeben – auch wenn das bedeutet, dass die Konfrontation weitergehen wird. Die öffentliche Kritik daran ebenso. Ob es deshalb zu einer breiten Streikfront und zu einem heißen Herbst kommen wird, ist damit nicht ausgemacht: Die Lehrer wurden bei der Abstimmung lediglich gefragt, ob sie für oder gegen den Vorschlag seien. Erfahrungsgemäß kühlt der Kampfgeist oft ab, wenn es darum geht, konkrete Streikaktionen zu starten. Als die Vertreter der Lehrerkomitees im Februar mit dem Streik der Abschlussklassen drohen wollten, unterschrieben nur rund 1 200 von 4 200 Stimmberechtigten dem Aufruf. So weit wollten sie dann doch nicht gehen.
Doch das Problem bleibt: Wie lassen sich Struktur- und inhaltliche Reformen angesichts des riesigen Grabens zwischen Lehrern und Ministerium umsetzen? Zumal die Regierung angesichts der Niederlage beim Referendum zusätzlich geschwächt ist. Dabei hält sich die Opposition in diesem Streit auffällig zurück. Die CSV hat lediglich eine Anfrage gestellt, in der sie um weitere Erläuterungen zur gescheiterten Schlichtung bittet. Aber Kritik am Minister gibt es kaum. Denn auch die CSV-Abgeordneten wissen: An Reformen führt in der Sekundarschule kein Weg vorbei. Sollen doch die anderen die Kastanien aus dem Feuer holen und sich die Finger dabei verbrennen.
Bessere Betreuung, Kampf gegen schulischen Misserfolg, neue Materialien für einen wirksameren Sprachunterricht – all das ist nur zu realisieren, wenn die Regierung ordentlich Geld in die Hand nimmt. Geld, das sie nicht hat. Seit Jahren herrscht chronischer Mangel an qualifizierten Lehrern, ein Großteil der Unterrichtsstunden wird schon jetzt von schlechter bezahlten Chargés übernommen, über deren Belastungen im Streit keine Rede war. Entsprechend wütend meldeten sich ihre Vertretung am zu Wort und forderten ebenfalls Verbesserungen. Kostenneutral, so wie das manche träumen, geht das nicht.
Die Vertreter der Lehrerkomitees sehen in den Reformplänen in erster Linie einen „neoliberalen“ Umbau, den es aufzuhalten gelte. Sie wollen keine verpflichtenden Betreuungspläne, keine Steuerungskomitees und keine Lehrer-Bewertung. Sie verdammen die Reformen als „Diktat von oben“, vom Ministerium und den Direktionen, ein Eindruck, der nicht ganz falsch ist, der sich aber mit jedem gescheiterten Einigungsversuch mit der Basis paradoxerweise verstärken dürfte. Die Behauptung der Lehrer, von Seiten des Ministeriums würden keine Sparanstrengungen unternommen, stimmt so indes nicht: Auch dort wurden Funktionskosten gekürzt, Schulen müssen die Gürtel enger schnallen, vielen fehlt schlicht das Geld und die Zeit, um bedürftige Schüler besser zu betreuen. Vor allem aber steht wegen der hohen Personalkosten – über 90 Prozent – immer weniger Geld für pädagogische Entwicklung zur Verfügung. Er wolle seine Verantwortung nehmen, hat Claude Meisch angekündigt. Laut Gesetz werden die Streithähne zunächst in die Mediation gehen. Danach dann wird sich zeigen, ob die Mehrheit der Lehrer wirklich bereit ist, bis zum Äußersten zu gehen.