Der Kollateralschaden der griechischen Haushaltskrise für die Eurozone addiert sich bisher auf eine Diskussion über die Solvenz des Euro und eine Abwertung gegenüber dem Dollar um mehr als zehn Prozent. Ersteres ist unangenehm, letzteres in der Wirtschaftskrise hoch willkommen, verbessern sich dadurch doch die Bedingungen für den europäische Export. Lange ist beklagt worden, dass vor allem der Euro die wettbewerbsverzerrende Bindung der chinesischen Währung an den Dollar zu tragen hätte. Viel von diesem Druck ist nun für längere Zeit vom Euro und damit von den exportierenden Unternehmen genommen worden.
Kurz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe wird in Brüssel der Europäische Rat zum wiederholten Mal seine Haltung zur griechischen Schuldenkrise festlegen. Der Weg scheint nun klar: Auf Vermittlung von Herman Van Rompuy wird Griechenland in dem Fall, dass es sich im Laufe des Frühjahrs nicht mehr alleine refinanzieren kann, gemeinsam von Internationalen Währungsfonds und der Eurozone mit Geld unterstützt.
Was bleibt ist das Problem der Griechen, die das Steuerzahlen neu erlernen müssen, die sich fragen müssen, wie zeitgemäß noch eine Aufrüstung gegen die Türkei ist und die sich ernsthaft damit beschäftigen sollten, warum sie auf Platz 57 auf der Rangliste von Transparency International stehen. Griechenland droht auch 2010 eine Rezession von fünf Prozent. Im öffentlichen Sektor spart die Regierung zwölf Prozent bei den Personalkosten. Der Abbau von einem Prozent des strukturellen Defizits kostet nach Berechnungen 0,4 Prozent Wirtschaftswachstum. Nach sieben fetten Jahren mit der Olympiade 2004 folgen nun sieben magere Jahre. Den Griechen bleibt die schmerzhafte Sanierung nicht erspart, egal ob sie dafür eine milliardenschwere Unterstützung bekommen oder nicht.
Europa, das wegen der Griechen den Gürtel nicht enger schnallen muss, auch wenn die deutsche Presse das mitunter suggeriert hat, lernt sich dank der Griechen besser kennen. Bisher segelte es sich mit dem Euro wunderbar durch die Stürme der globalen Wirtschaft, jetzt steht zum ersten Mal die Gemeinschaftswährung selbst auf dem Prüfstand. Der Euro hat diese Prüfung bisher glänzend bestanden. Es gibt nicht wenige Experten, die ihn im Vergleich der amerikanischen und europäischen Kaufkraftparitäten immer noch für deutlich überbewertet halten.
Wichtiger für die europäische Politik ist der interessante Begleitumstand, dass die Hilfe für Griechenland plötzlich zu einer Frage des europäischen Prestige stilisiert wurde. Undenkbar, dass sich ein Mitglied des stolzen Eurolandes Hilfe beim Internationalen Währungsfonds holen sollte. Dieses Denken spiegelt ein gewachsenes Gemeinschaftsgefühl der Euroländer wider. Wo es ein Prestige gibt, gibt es auch so etwas wie eine Familie. In der Not steht man zusammen. Und handelt unorthodox. Aber nicht prinzipienlos. Die Griechenlandkrise ist eine tiefe existenzielle Gemeinschaftserfahrung der Euroländer. Wie tief, das zeigt vor allem wie selbstverständlich und positiv der revolutionäre Vorschlag diskutiert wird, einen Europäischen Währungsfonds einzurichten.
Mit einem EWF gliedert die Eurozone die Überwachung der Einhaltung der Stabilitätskriterien des Euro gewissermaßen aus dem Unternehmen aus und lässt sie von einem Subunternehmer überwachen. Wer mit seinen Schulden nicht mehr klar kommt, muss sich für Sanierungshilfen einem Regime des EWF unterwerfen. Das ist gegenüber den Schuldner vermutlich leichter durchzusetzen, als ein Maßnahmenkatalog der Kommission. Ein zukünftiger EWF wird der verlängerte Arm einer europäischen Wirtschaftsregierung sein. Das, was die Befürworter des Euro immer ihren Kritikern entgegen gehalten haben, tritt ein: Die Währungsunion erzwingt die politische Union. Die Androhung, dass der EWF ein Land auch aus der Gemeinschaftswährung ausschließen können müsse, ist allerdings nur politisches Getöse und ohne Substanz. Auch schwarze Schafe gehören schließlich zur Familie.
Familienoberhaupt ist zurzeit die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihre Geldbörse ist für jede europäische Griechenlandhilfe entscheidend. Nicolas Sarkozy und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker haben das erkannt und José Manuel Barroso hat sie sogar öffentlich daran erinnert. Der Kompromiss von Van Rompuy nutzt allen. Es ist keine Frage der Ehre, ob Griechenland mit dem IWF zusammenarbeitet, sondern lediglich eine Frage der Nützlichkeit. In fünf oder zehn Jahren wird der EWF bereitstehen, was könnte dagegen sprechen mit seinem Vorbild zusammenzuarbeiten, so lange man ihn noch nicht ersetzen kann? Das Modell weist auch den Weg für Italien, Spanien, Portugal und Irland.
Der Euro wird gestärkt aus der Krise hervorgehen und die Eurozone einer funktionierenden Wirtschaftsregierung näher kommen. Dass man sich aber nicht täusche: Diese Wirtschaftsregierung gibt es schon, nur spricht sie noch mit den sechzehn Stimmen der Euroländer. Von Harmonie kann vorläufig keine Rede sein. Chorleiter Juncker hat noch viel Arbeit vor sich, bevor er sich Vater der europäischen Wirtschaftsregierung nennen kann.