Luxemburgs erste Zeitung

Souveränitätsnische Medienstandort

d'Lëtzebuerger Land du 01.07.2004

Die Idee von RTL in den Zwanzigerjahren, verschiedenen Sexfilmproduzenten und Erotikverlegern in den Sechzigern und SES in den Achtzigern, das Luxemburger Territorium gewinnbringend zu nutzen, um in den Nachbarländern Informationen und Unterhaltung zu verbreiten, die dort aus politischen, wirtschaftlichen oder Gründen des guten Geschmacks nicht immer erwünscht sind, wird dieser Tage genau 300 Jahre alt. An der Schwelle vom Jahrhundert des Absolutismus zum Jahrhundert der Aufklärung erfanden ein französischer Journalist und ein aus Frankreich stammender Drucker und Verleger den Medienstandort Luxemburg.

Ein Jahrhundert nach den ersten Zeitungen in den Nachbarländern gaben die beiden im Juli 1704 die erste Luxemburger Zeitung heraus, La Clef du cabinet des princes de l'Europe ou recuëil historique [&] politique sur les matieres du tems. Die Zeit war günstig, es war spanischer Erbfolgekrieg, und Kriegsnachrichten erhöhten nicht nur den Umsatz von CNN. Eine neue Zeitung im Sommer auf den Markt zu bringen, erscheint erst seit der Einführung des gesetzlichen Rechts auf bezahlten Urlaub undenkbar.

La Clef du cabinet des princes de l'Europe war ein Monatsjournal, das in erster Linie für den lothringischen und französischen Markt bestimmt war. Die französische Presse war ein Staatsmonopol wie später ORTF und hatte ebenfalls den Ruhm des Herrschers zu verbreiten. Um das Informationsbedürfnis des selbstbewusster werdenden Adels, Klerus und wohlhabenderen Bürgertums zu befriedigen, war aber der Import ausländischer Blätter toleriert, wenn auch sicherheitshalber künstlich verteuert. Aus diesem Grund erschienen in Frankreichs Nachbarstaaten Blätter für den französischen Markt, wobei die weniger zensierten "Gazettes de Hollande" am beliebtesten waren.

Der Journalist Claude Jordan (1659-?) hatte in den Niederlanden solche französischsprachigen Gazetten herausgegeben, ehe es ihn mit seinem Know-how ins lothringische Bar-le-Duc verschlug. Von dort belieferte er als Scheinselbstständiger den sehr geschäftstüchtigen Drucker und Verleger André Chevalier (1660-1747) gegen ein vertraglich abgemachtes Monatshonorar von 50 und später 87,5 Pfund mit Manuskripten für das Blatt: Korrespondenzen und geklaute Berichte von den europäischen Fürstenhöfen und Schlachtfeldern sowie Buchbesprechungen.

Nicht den erotischen, wie das Schlüsselloch, sondern den politischen Schlüssellochblick in die europäischen Regierungskabinetts versprach die Clef du cabinet des princes de l'Europe in ihrem Titel. Doch anders als die Luxemburger Zeitungen des 19. Jahrhunderts, hatte sie kein politisches Programm, sondern war ein geschäftliches Unterfangen. Damit ist sie wieder hochaktuell, wie die Entwicklung bei RTL, Saint-Paul und Editpress zeigt. Wie die meisten Luxemburger Zeitungen war sie konservativ und gottesfürchtig, aber antiaufklärerisch wurde sie erst, als der arbeitslos gewordene Jesuit François-Xavier de Feller 1773 den Titel in Journal historique et littéraire umänderte. So erfand de Feller das Luxemburger Wort von 1848 genau 75 Jahre zu früh.

In den Anfangsjahren erschien das eher harmlose Blatt ohne Angabe des Druckers und Druckorts. Als Jordan ein Druckprivileg für Frankreich erhielt, druckte Chevalier zehn Jahre lang einen Teil der Auflage jeder Nummer mit einem veränderten Titelblatt unter dem Namen Journal historique sur les matieres du tems und einer Briefkastenadresse in Verdun. Das Privileg schützte die umgeflaggte Teilauflage vor dem Nachdruck in Frankreich und berechtigte zum niedrigen Inlandsporto. Immer etwas billiger zu sein, schien lange vor RTL plus zum Erfolg des Luxemburger Blatts beigetragen zu haben. Das war wohl auch möglich, weil Druckergesellen in Provinznestern weniger Lohn bekamen als in den großen Städten. Gemessen an den Beständen in ausländischen Bibliotheken, hatte die Clef du cabinet des princesde l'Europe eine weitere internationale Verbreitung als alle anderen Luxemburger Zeitungen.

Im Streit um Honorarzahlungen zog Jordan schließlich nach Paris und gab dort ab 1717 eine als "Journal de Verdun" bekannte Suite de la clef du cabinet heraus. Chevalier setzte im nunmehr österreichisch-habsburgischen Luxemburg seinen Namen und seine Anschrift auf das Titelblatt der ursprünglichen Clef du cabinet des princes de l'Europe und gab sie weiter heraus. Trotz der Liberalisierung des französischen Zeitungsmarkts Mitte des 18. Jahrhunderts und schließlich ihres Verbots in Frankreich 1769 wurde die erste Luxemburger Zeitung gleich eine der langlebigsten. Bis zum Juli 1794 kamen innerhalb von 90 Jahren 1.325 Ausgaben in 202 Bänden mit insgesamt 105.058 Seiten heraus.

Hierzulande wurde das Journal wohl nur von einer Handvoll Bürgern gelesen, aber es half doch, deren Horizont über die engen Festungsmauern und dichten Wälder hinweg mit Auslandsberichten, Buchbesprechungen und Leserbriefen zu erweitern. So dass für ihre Urenkel die Pressefreiheit einer der wichtigsten demokratischen Forderungen in der Revolution von 1848 wurde, und das Parlament sie erst vor einem Monat neu einzäunte.

 

 

Romain Hilgert
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