Fünf Jahre nach der Fusion von Cegedel, Saar Ferngas und Sotel ist Enovos zu einer Einheit zusammengewachsen, stellt Jean Lucius fest. Ganz einfach sei das nicht immer gewesen, wegen der verschiedenen Kulturen und Traditionen und Sprachen, doch heute fühlten sich die Mitarbeiter dem neuen Konzern zugehörig, so der Co-CEO der Holding Enovos International und CEO der operativen Einheit Enovos Luxembourg. Dass der Konzern ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise entstand, hat die Entwicklung nicht unwesentlich beeinflusst. Der Stahlkonzern Arcelor-Mittal, der die Tochtergesellschaft Saar Ferngas mit in die Fusion brachte, beschloss wenig später, sich zurückzuziehen. 2012 verkaufte der Konzern seine Anteile an Axa. Nun steigen auch die deutschen Energiekonzerne RWE und Eon aus der Holding aus – Wirtschaftsminister Etienne Schneider hat angekündigt, dass der Luxemburger Staat die Mehrheit übernehmen will. Große Veränderungen durch die neuerliche Verschiebung im Aktionariat erwartet Lucius nicht. „Die Firma hat eine Strategie, die der Staat als Aktionär unterstützt. Ich sehe eher Kontinuität“, so Lucius.
Dabei waren die Zeiten seit der Fusion für europäische Energieversorger insgesamt turbulent. Die Liberalisierung der europäischen Energiemärkte sorgte für eine gesteigerte Kundenmobilität, durch die Wirtschaftskrise sank die Energienachfrage aus der Industrie. Nicht nur dadurch wurde die Preisstruktur nachhaltig beeinflusst. Dazu trugen und tragen weiterhin die Bestrebungen zur Energiewende bei, der Umstieg von der Versorgung durch fossile auf erneuerbare Energiequellen. In diesem Kontext stechen bei Enovos zwei Entwicklungstendenzen hervor: die Internationalisierung und der Ausbau der Produktionskapazitäten.
Dass sich Enovos zum nationalen Energiechampion aufgeschwungen hat, zuletzt durch die Integration der Gasverteilung der Stadt Düdelingen 2012, dürfte den Luxemburger Konsumenten durchaus bewusst sein. Dabei ist Luxemburg, Heimat der ehemaligen Cegedel, geografisch gesehen nicht mehr der Hauptabsatzmarkt von Enovos. Das ist mittlerweile Deutschland, wo 2012 ein Drittel des Vorsteuergewinns erwirtschaftet wurde und wo sich Enovos als Zulieferer von Industriekunden und Stadtwerken vom regionalen Gasversorger im Saarland zu einem der zehn größten Gas- und Stromlieferanten in Deutschland entwickelt hat. Haben Luxemburger Industriekunden die Liberalisierung genutzt, um sich neue Zulieferer zu suchen, so hat Enovos seinerseits davon profitiert, um sich in den Nachbarländern zu etablieren. Zu den prominenten deutschen Kunden gehört die Daimler-Gruppe mit über 150 Standorten, die ihren Strom von Enovos beziehen. „Das ist ein riesiger Kunde, der allein fast so viel verbraucht wie alle Privathaushalte Luxemburgs zusammen“, erzählt Lucius.
Auch in Belgien und Frankreich ist Enovos sowohl im Strom- wie auch im Gasvertrieb tätig. Wie sich das Firmengeflecht zu einem Konzern mit zentralisiertem Ein- und Verkauf zusammengefügt hat, lässt sich an den Absatzzahlen ablesen. 2009 verkaufte Enovos 4 130,7 Gigawattstunden Strom an die Endkunden und andere Energieversorger. 2012 – die Zahlen für das Geschäftsjahr 2013 werden nächste Woche vorgestellt – setzte Enovos 9 511 Gigawattstunden ab, davon 4 467 an Firmeneinheiten des Konzerns. Die Verkaufsmengen beim Gas stiegen von 12 923 Gigawattstunden 2009 auf 28 284 Gigawattstunden 2012, wovon 14 802 Gigawattstunden an andere Konzerneinheiten gingen.
Beliefert Enovos Privathaushalte bisher ausschließlich in Luxemburg, so will die Firma „mittelfristig auch in Belgien und Frankreich in diesen Markt einsteigen“, wie Jean Lucius erklärt. Weil man ein gewisses Handelsvolumen brauche, um überhaupt neue Absatzmärkte zu erschließen, sei es in der Praxis einfacher, einige große Kunden anzuwerben. Doch die Privathaushalte, so Lucius, seien „ein ganz wichtiges Kundensegment“, dem man neue Dienstleistungen zu verkaufen hofft, wenn die europäischen Bestimmungen zur Energieeffizienz umgesetzt werden, um den Energieverbrauch der Kunden zu senken.
Die verlangt, zunehmend nach grüner Energie, und die Produktion grünen Stroms ist ein Bereich, in den Enovos in den vergangenen Jahren „systematisch“ investiert hat. In Windanlagen in Frankreich, in Fotovoltaik in Italien, in Biogasanlagen in Deutschland und Belgien. Zusammen mit der SEO hat Enovos 2012 das Joint-Venture Soler gegründet, um den Ausbau der erneuerbaren Energien auf Luxemburger Staatsgebiet voranzutreiben und damit zur Umsetzung der nationalen Klimaziele beizutragen. Soler betreibt die Wasserkraftwerke in Ettelbruck, Rosport und Esch-Sauer, aber auch die Windparks Burer Bierg, Kehmen-Heischent, Hengischt und die in der Gemeinde Weiswampach. Seit 2009 hat sich die Produktion grünen Stroms von 100 auf 500 Gigawattstunden verfünffacht, so Lucius, und „dieses Wachstum wird sich in den nächsten Jahren fortsetzten“. Anders als in der Vergangenheit, als Enovos eher in ausgereifte Projekte investierte, will die Firma früher einsteigen, erklärt der CEO. Das dazu notwendige Know-How habe die Firma in der Zwischenzeit aufgebaut. Mittelfristig, sagt er, wolle man den Verbrauch der Luxemburger Haushalte zur Hälfte mit selbst produziertem grünem Strom abdecken.
Wichtiger Faktor bei der Entscheidung darüber, wo und in welche Produktionsanlagen investiert wird, ist der jeweilige gesetzliche Subventionsrahmen – schwer navigierbares Terrain, wie das Beispiel Avaleos zeigt. Das Joint-Venture von Enovos mit der Schweizer Firma Avelar Energy, das in italienische Fotovoltaik-Anlagen investiert hatte, musste 2012 nach einer Änderung der italienischen Gesetzgebung reduzierte Einspeisetarife hinnehmen, so dass das Joint-Venture laut Jahresbericht beschloss, nicht weiter in Italien zu investieren und die bestehenden Parks zum Verkauf anzubieten. Über andere Tochtergesellschaften hält Enovos aber Anteile an anderren, gewinnbringenden Fotovoltaikanlagen in Süditalien Dass die Produktion von grünen Strom trotz Gratisrohstoff nicht auf Anhieb Gewinne verspricht, zeigen auch die Ergebnisse anderer Beteiligungen. Die Windparks in Frankreich sowie Soler konnten 2012 keine schwarzen Zahlen verbuchen. Das lag einerseits an hohen Abschreibungen, aber auch daran, dass 2012 nicht windig genug war.
Dabei ist auch mit konventioneller Stromherstellung in Gaskraftwerken kein Geld mehr zu verdienen. „Solche Anlagen sind heute nicht mehr rentabel“, sagt Lucius, „das gilt auch für Twinerg“, das Gaskraftwerk in Esch, das 2012 über ein Fünftel des über das Creos-Netz verteilten Stroms herstellte und an dem Enovos mit fast 20 Prozent beteiligt ist. Denn im Kontext der Wirtschaftskrise und aufgrund des steigenden Angebots von subventioniertem grünem Strom hat sich in den vergangenen Jahren folgende Entwicklung abgezeichnet: Die Absatzpreise für Strom fielen, während Gas als Rohstoff für die Stromgewinnung in den Kraftwerken aufgrund der branchenüblichen langfristigen Lieferverträge teuer blieb. Bis die Rechnung nicht mehr aufging. „Die Frage ist, ob solche Kraftwerke im Endeffekt gebraucht werden oder nicht“, sagt Lucius. Unter anderem darauf, dass dies immer weniger der Fall sei, führt er die rezenten Probleme anderer europäischer Energiekonzerne zurück. „Für Twinerg versuchen wir, eine Lösung zu finden“, fährt Lucius fort. Eine Lösung, die darin bestehen könnte, dass man mit belgischen und deutschen Netzbetreibern eine Vereinbarung abschließt, nach der das Gaskraftwerk eine regelmäßige Vergütung dafür erhält, dass die Produktionskapazitäten für windstille Tage, an denen die Sonne nicht scheint, bereitgehalten werden. Anders als die stark gebeutelte Konkurrenz in den Nachbarländern habe Enovos „Glück gehabt“, räumt Lucius ein. Denn auch der Luxemburger Energieversorger hatte Pläne, in diese Art der Stromgewinnung zu investieren. Weil sich die Projekte verspäteten, habe man aussteigen können, als sich abzeichnete, dass die Rentabilität künftig nicht mehr gegeben sei.
Auch als Gasverteiler hat die veränderte Gaspreisstruktur Enovos stark belastet. 2012 wurde die Kopplung der langfristigen Lieferverträge an die Ölpreise zu einem derartigen Problem, dass die Firma große Anstrengungen unternahm, die Verträge neu auszuhandeln und sie statt an den Erdölpreis an die Entwicklung der Spotpreise im Gashandel zu koppeln. „Für Rohstoffunternehmen hat das den Vorteil, dass sie immer noch Sicherheit über garantierte Absatzmengen haben. Den Abnehmern bietet es die Sicherheit, dass sich die Preise nicht von denen im täglichen Handel entfernen.“ Entwicklungen und Herausforderungen, die der Portfolio-Management- und der Handelsabteilung im Konzern eine neue Bedeutung gegeben haben.
Die Energiewende stellt außerdem die Netzgesellschaften vor größere Herausforderungen. Nicht nur auf der Ebene der großen Transportleitungen, ein Problem, das, wie Lucius sagt, künftig auch durch die zunehmend dezentrale Stromgewinnung ein wenig gelindert werde. Als Beispiel für solche dezentralen Projekte dient das Projekt Encasol, Joint-Venture zwischen Enovos und der Supermarktkette Cactus, das auf den Dachflächen der Cactus-Kaufhäuser Solarenergie gewinnt. Aber auch die bessere Steuerung der Nachfrage verlangt von den Netzbetreibern Investitionen. Creos testet derzeit intelligente Stromzähler, nächstes Jahr soll der Austausch der alten Zähler in den Luxemburger Haushalten im großen Stil gestartet werden. „Wenn die Tiefkühltruhe zwei Stunden vom Netz genommen wird, passiert nichts“, so Lucius, der eingesparte Strom könne dann anderswo eingesetzt werden. Die intelligenten Stromzähler sollen einerseits die Daten liefern, die ein besseres Verständnis des Bedarfs erlauben, um ihn dann andererseits besser steuern zu können. Bereits in fünf Jahren könnten solche Szenarien Realität werden, sagt Lucius, der überzeugt ist, dass die Entwicklung dank Smartphone-Apps schneller vorangehen wird, als bisher gedacht. Aber inwiefern die Konsumenten bereit sind, einem Konzern ferngesteuerten Zugriff in ihren Haushalt zu gewähren, sei eine nicht zu unterschätzende Unbekannte, räumt er ein. „Da sind auch wir als Unternehmen in der Aufklärungsarbeit und Information gefordert.“
Demografisches Wachstum und der damit einhergehende Netzausbau, Smart-Meter und die Instandhaltung der Netze – über 60 Prozent der für die kommenden fünf Jahre geplanten Investitionen von über einer Milliarde Euro, welche die Enovos Holding plant, werden im Netzbereich anfallen, wo gutes Geld verdient wird. 2012 verbuchte Creos Luxemburg bei einem Nettoumsatz von 191 Millionen Euro einen Gewinn von 50,5 Millionen Euro. Creos Deutschland verdiente bei einem Umsatz von 74,8 Millionen Euro 11,3 Millionen Euro. Die restlichen 40 Prozent der geplanten Investitionen, so Lucius sollen in den Ausbau der Produktionskapazitäten für grünen Strom gehen und eventuelle Beteiligungen finanzieren, durch die der Strom- und Gasvertrieb in den Nachbarländern ausgebaut werden kann. Wachstumspläne, die über neue Schulden finanziert werden sollen. Bei 1,1 Milliarde Euro Rücklagen und Kapital von Enovos International Ende 2012 sieht Lucius hierfür ausreichend Spielraum.