Nach 34 Jahren kam im vergangenen Herbst wieder eine Reformkoalition an die Macht, um ein wenig aufzuräumen und die unter der CSV und LSAP liegengebliebene Reformarbeit zu erledigen. Große Hoffnungen wurden an ihr Versprechen geknüpft, die Fenster weit aufzureißen und das Land zu modernisieren. Die Voraussetzungen dazu stehen nicht einmal schlecht. Denn nennenswerte politische Opposition gibt es, bis die CSV Jean-Claude Junckers los ist, nicht. Der Wirtschaftsaufschwung verspricht, das Regieren einfacher zu machen. Die Presse ist wohlwollend, sozialer Widerstand kommt bisher lediglich von Schülern.
Es ist sicher zu früh, binnen weniger Monate ein gerechtes Urteil über die neue Koalition zu fällen. Doch der Voluntarismus ihrer siegestrunkenen Anführer machte inzwischen Bekanntschaft mit der normativen Kraft des Faktischen. Von den Volksbefragungen über die kopernikanische Wende der Haushaltsprozedur bis hin zur Trennung von Kirche und Staat gibt man sich schon etwas bescheidener. Manche Veränderungen brauchen mehr Zeit, als ursprünglich vermutet und im Koalitionsabkommen abgemacht. Das einzige deutlich zu erkennende politische Projekt ist der ausgeglichene Staatshaushalt bis zum Ende der Legislaturperiode.
Einigen Anhängern der liberalen Koalition reicht das aber nicht, ihnen geht das alles zu langsam. Dazu zählen Unternehmer und ihre Verbände, die sich Hoffnungen gemacht hatten, als namhafte Vertreter Ihresgleichen an den Koalitionsverhandlungen teilnehmen durften und der Direktor der Handelskammer sogar Finanzminister wurde. Wenn die Beamtengehälter erhöht, der Index beibehalten und die Unternehmer mit immer noch demselben Omnibus-Gesetz hingehalten werden, fühlen sich ganz Ungeduldige schon an die CSV/LSAP-Koalition erinnert. Sie haben sich von liberalen Erneurern wie Xavier Bettel und Etienne Schneider mehr erwartet als bloß Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben, nämlich Wirtschafts- und Sozialreformen, durch welche Lohnkostensenkungen und Produktivitätssteigerungen ihre Lohnstückkosten dem deutschen Niveau annähern.
Vielleicht ist diese Ungeduld und Enttäuschung eine der Ursachen dafür, dass die Handelskammer diese Woche ihren neuen Thinktank vorstellte. Fondation Idea soll die Lobbyarbeit der am Sturz der für reformresistent gehaltenen CSV/LSAP-Koalition nicht ganz unbeteiligten Initiative 2030.lu fortsetzen und politischen Druck zugunsten liberaler Reformen aufbauen. Zum Auftakt legte Idea dem Regierungschef gleich eine To-do-Liste mit den „zehn Arbeiten von Bettel & Co.“ vor – immerhin zwei weniger als Herkules. Danach sollen Bettel & Co. die Industrie und den Finanzplatz fördern, den Arbeits- und Immobilienmarkt liberalisieren, den Wettbewerbsverlust bremsen, bei Firmengründungen und Innovation helfen... Die erste über allerlei Internetkanäle verbreitete „Idee des Monats“ von Idea befasst sich mit dem internationalen Benchmarking der Wettbewerbsfähigkeit am Produktionsstandort.
Um keine Missverständnisse über ihre Entschlossenheit aufkommen zu lassen, organisiert die Handelskammer zudem in 14 Tagen eine Lesung des radikalliberalen Ökonomen und ehemaligen polnischen Finanzministers Leszek Balcerowicz. Der Vater der deflationistischen Schocktherapie in Polen soll Auskunft darüber geben, ob wirtschaftliche Reformen besser schnell und schmerzhaft oder schrittweise und unter Lokalanästhesie durchgeführt werden sollen. Mit Finanzminister Pierre Gramegna soll er eine Podiumsdiskussion darüber führen, wie Politiker solche Reformen darstellen können, um die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung zu erzielen, also Massenkundgebungen und Wahlniederlagen zu verhindern. Mundgerechter kann man es den Bettel & Co. wohl nicht machen.