Die vielleicht wichtigste Rede seiner politischen Laufbahn, seine Regierungserklärung, hatte Premier Xavier Bettel (DP) im Dezember gründlich verbockt. Weil die Bettel, Schneider und Braz dem plötzlichen Druck nachgaben, ihr Koalitionsabkommen im Voraus zu veröffentlichen, hatte die Regierungserklärung den Reiz des Neuen verloren.
Das wollte Bettel am Mittwoch wieder gutmachen. Seine Erklärung zur Lage der Nation klang deshalb wie der zweite Anlauf zu einer Regierungserklärung binnen vier Monaten. Die eine Erklärung bestätigte den Eindruck der anderen: Die neue Regierung von DP, LSAP und Grünen ist eine Wählerkoalition wirtschafts-, sozial- oder ökoliberaler Selbstständiger und Führungskräfte, Beamter und Angestellter, denen eine zusätzliche Anzahl Juncker überdrüssiger Wähler im Oktober provisorisch zu einer knappen Mehrheit verhalf. Sie haben sich eine liberale Modernisierung des durch die Finanz-und Wirtschaftskrise überholten CSV/LSAP-Staats vorgenommen. Ihr Ideal dabei ist ein privatwirtschaftlicher, auf Effizienz und Kostenreduzierung konzentrierter Management-Stil. Das übergeordnete Ziel der Legislaturperiode ist ein ausgeglichener Staatshaushalt als Mittel zur ökonomischen Disziplinierung im Sinne des europäischen Stabilitätspakts.
Denn „das, was seit einigen Jahren als Krise bezeichnet wird, ist in der Zwischenzeit die neue Wirklichkeit“, so der Premierminister (S. 58), obwohl für dieses Jahr über drei Prozent Wirtschaftswachstum erwartet werden. Als Reaktion auf die Krise als Normal- und Dauerzustand ist die Politik von Blau-Rot-Grün angebotsorientiert. Xavier Bettel fasste das Credo am Mittwoch so zusammen: „Wir müssen das Land hier reformieren. Wir müssen den Staat reorganisieren, die Verwaltungen effizienter machen, den Privatsektor unterstützen und entlasten, den Unternehmen die Möglichkeit bieten, Gelegenheiten zu nutzen. Und wir müssen die Staatsfinanzen wieder ins Gleichgewicht bringen“ (S. 4).
Dazu „geht die notwendige Sparanstrengung beim Haushalt 2015 weiter, der Staat wird effizienter, die Ausgaben werden sozial gerechter“ (S. 7). Soziale Gerechtigkeit soll nicht durch Umverteilung, sondern durch Selektivität bei den Ausgaben hergestellt werden. Der Sozialstaat soll streng zum einst katholischen Subsidiaritätsprinzip übergehen: „Wir sind eine Koalition der sozialen Verantwortung. Der Staat muss einspringen, wenn es notwendig ist – allerdings nur dann.“ (S. 29)
Die Wähler, die nach sozialem Ausgleich für die Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen rufen, werden vertröstet, dass „dieser Umstand bei einer allgemeinen Steuerreform 2016 berücksichtigt wird“, die 2017 in Kraft treten soll (S. 9). Daneben müsse das „System vereinfacht werden“, weil die Steuererhebung zu kompliziert sei. Und der Plan wird aufgegeben, Unternehmen nach dem Vorbild der belgischen „intérêts notionnels“ die Möglichkeit zu bieten, fiktive Zinsen von den Steuern abzusetzen, weil dies wohl allzu kostspielige würde.
Für die kleineren Unternehmer kündigte Bettel das vor einem Jahr von seinem Vorgänger Jean-Claude Juncker versprochene Omnibus-Gesetz zur Verkürzung der Verwaltungswege (S. 20) an und die Einführung der „1-Euro-Gesellschaften“ (S. 21), die Betriebsgründungen billiger und abenteuerlicher machen.
Weil der ausgeglichene Staatshaushalt das übergeordnete Ziel der Legislaturperiode ist, an dem die Juncker und Frieden gescheitert waren, befasste sich der Premier noch einmal mit der Haushaltslage: Die Staatsschuld habe vergangenes Jahr elf Milliarden Euro ausgemacht, nächstes Jahr drohe ein Einnahmeausfall bei der Mehrwertsteuer aus dem elektronischen Handel von 800 Millionen Euro. Anders als sein Finanzminister kündigte er zwar keine „kopernikanische Wende“ der Haushaltspolitik an, dafür entdeckte er aber im Entwurf für 2014, dass die unter Pierre Werner so beliebte „Haushaltsnorm wieder eingeführt“ worden sei. 19 Arbeitsgruppen von Ministerialbeamten und privaten Unternehmensberatern seien gerade „mit einem vollständigen Screening“ der Ausgaben des Staats beschäftigt, um „mit weniger mehr“ zu leisten (S. 7).
Da es politisch weniger riskant ist, bei den Familienzulagen als bei der Sozialversicherung zu sparen, kündigte Bettel an, dass „das System der Familienförderung vollständig neu organisiert wird“, damit die „Zulagen verstärkt nach sozialen Kriterien verteilt werden“ (S. 34). Einzelheiten wollte er aber erneut nicht nennen, sondern vertröstete darauf, dass „die Familienministerin den Plan in den nächsten Monaten vorstellen“ werde (S. 34).
Möglicherweise macht der Konjunkturaufschwung der Regierung das Leben in den nächsten paar Jahren leichter. Vorausgesetzt, dass der Finanzplatz nicht allzu viele Marktanteile verliert, wenn „wir auf den Weg von Informationsaustausch und Transparenz gehen“ (S. 11). Immerhin hatte der Statec gerade am Vortag von Bettels Rede vorgerechnet, dass der Informationsaustausch und die Transparenz 15 Milliarden Euro Einlagen und 1 500 bis 2 000 Arbeitsplätze kosten könnten, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Staatsfinanzen.
„Die Finanzindustrie ist nicht abhängig vom Bankgeheimnis,“ beschwor der Premier. „Wir sind nicht darauf angewiesen, dass Leute in Luxemburg ein Konto eröffnen, von dem das Finanzamt in ihrem Heimatland nichts wissen darf.“ (S. 12) Nun könne vielmehr, „befreit von allen Vorurteilen, für unseren Finanzplatz im Ausland“ geworben werden (S. 14). Dazu sei die Agentur Luxembourg for Finance „so gut aufgestellt wie nie“ – der Haushaltsentwurf für das laufende Jahr sieht eine panikartige Erhöhung der staatlichen Zuwendungen von zwei auf 3,2 Millionen Euro vor.
Zusätzliche Marktanteile drohen dadurch verloren zu gehen, dass das Globale Forum für Transparenz und Informationsaustausch zu Steuerzwecken von OECD und G20 Ende vergangenen Jahres den Finanzplatz für nicht konform zu den internationalen Standards erklärte. Deshalb soll in den nächsten Wochen im Finanzministerium eine Direktion „Compliance and Governance“ geschaffen werden, die dafür sorgen solle, dass der Finanzplatz einen untadeligen Ruf bekommt: „Noch dieses Jahr“ soll er „aus der Bereich der Regelwidrigkeit herauskommen“ (S. 14).
Weil der Informationsaustausch am Finanzplatz und „die Zeit nach dem elektronischen Handel“ (S. 16) das Luxemburger Modell teuer genug zu stehen kommen, bremste Bettel den grünen Eifer: „Das Umweltministerium ist beauftragt, Berechnungen zu koordinieren, um herauszufinden, was die mittel- und langfristige und was die positive und negative Wirkung wäre, wenn der Export von Diesel und Benzin abnehmen würde“ (S. 47).