Guy Verhofstadt

Der Föderalist

d'Lëtzebuerger Land vom 24.02.2012

„Ich war neun Jahre Mitglied des Europäischen Rates. Seit 2009 bin ich Vorsitzender der liberalen Fraktion im europäischen Parlament. Seit der Lissabon-Vertrag in Kraft ist, kann das Parlament praktisch überall mitentscheiden. Es ist interessanter im EP als im Rat.“ Der Belgier Guy Verhofstadt ist wohl der erste langjährige Regierungschef in Europa, der die Arbeit im Europäischen Parlament einem nationalen Chefsessel vorzieht. Er will die Vereinigten Staaten von Europa und glaubt fest daran, dass schon die aktuelle Krise den Durchbruch bringt. Sollte dieser unwahrscheinliche Fall eintreten, dann wäre der schnelle Guy ohne Frage als erster zur Stelle.

Bis es so weit ist, organisiert Verhofstadt die föderale europäische Debatte. Er ist zu großen Teilen ihm zu verdanken, dass das Wort föderal kein Un-Wort mehr ist. Glaubt man dem überzeugten Europäer, dann ist ein föderales Europa der einzige Ausweg aus der europäischen Schuldenkrise. Tatsache ist, die Europäische Union ist in der Vergemeinschaftung der Wirtschaftspolitik sehr viel weiter, als es die kühnsten Vertreter der „ever closer union“ noch vor zwei Jahren zu träumen wagten.

Europa hat sich in der Krisenbehandlung des griechischen Problems nicht mit Ruhm bekleckert. Dazu war es ein zu mühsamer Lernprozess. Nicht nur in Griechenland, Portugal, Frankreich und Belgien hat das Ansehen des Europäischen Rates und der Kommis-sion gelitten. Europa zwingt uns zu Austerität, heißt es vorwurfsvoll bei Gewerkschaften und politischen Wortführern. In Frankreich hat einer dieser Wortführer die besten Aussichten zum Präsidenten gewählt zu werden. Guy Verhofstadt spricht wenig darüber, ob er die Europäer bei seinen Plänen auf seiner Seite hat. Allerdings sagt er voraus, dass die Pro-Europäer die nächsten Wahlen zum europäischen Parlament entscheiden werden. Dann soll der Kommissionspräsident erstmals zwingend aus der Reihe der Wahlsieger kommen.

Für ihn gab es nach eigenen Angaben nur wenig Schlimmeres als die langen Stunden, als er sich 2004 dem Kreuzfeuer seiner Kollegen von den EU-Staats- und Regierungschefs stellen mussten, die am Ende einen farblosen, servilen José Manuel Barroso einem feurigen, am Rande der politischen Hyperaktivität agierenden Politiker wie Verhofstadt als Kommissionspräsident vorzogen. Dennoch könnte er, bei geschicktem Lavieren zwischen den großen Fraktionen von der europäischen Volkspartei und den Sozialisten und Demokraten das Mandat des Parlaments für seine Kandidatur als Kommissionpräsident gewinnen. Er stimmt mit zentralen Forderungen beider Fraktionen überein und wird als Vorkämpfer der europäischen Demokratie geschätzt.

„Ein Politiker muss es eilig haben, sonst erreicht er nichts“, sagt Verhofstadt seinem Publikum im Europäischen Parlament. Die Tageszeitung Le Soir hat in den zweitgrößten Sitzungssaal des EP eingeladen und der Saal ist voll. Verhofstadt kann sein Publikum nicht überzeugen, dass die Vereinigten Staaten von Europa so gut wie beschlossene Sache sind. „Sie werden Europa spalten“, sagt ein altgedienter italienischer Journalist. Verhofstadt geht nicht darauf ein. Sein Diskurs ist eher technisch, denn politisch, mehr Politikwissenschaft als Geschichte. So bleibt er lieber bei der Sanierung Griechenlands. Nea Dimokratia und der Pasok seien Gangs, die den Staatsapparat für ihre Klientel nützen. Der Einwurf eines Mannes aus dem Publikum, dass er bei Verhofstadts Worten zuerst an eine Beschreibung der Wallonie gedacht habe, konnte diesen nicht von seinen Lösungsvorschlägen abbringen. Staatsapparat verkleinern, Privilegien abbauen statt den Mindestlohn kürzen. Sparen und investieren und die Schulden in langfristige Eurobonds umschreiben. All das kann geschehen, ohne dass die Regierungschefs ihre Gewalt abgeben.

Das Argument Verhofstadt, dass die Krise die EU-Staats- und Regierungschefs zwingen würde, ihrer Macht abzuschwören, verfängt nicht. Niemand im Saal kann sich vorstellen, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hinsetzen und den Europäischen Rat zur Zweiten Kammer abwerten. Nicht einmal das Festbinden an Stühlen würde da helfen, dessen es in USA bedurfte, um die Verfassung abzustimmen.

Die USA sind das große Vorbild von Guy Verhofstadt. Er sieht die Gründung der amerikanischen Zentralbank 1790 als Initialzündung für den amerikanischen Bundesstaat. Gleiches will er mit Hilfe der Eurobonds erreichen. Die wiederum setzen eine europäische Wirtschaftsregierung voraus. Verhofstadt will die Eurobonds vom Europäischen Parlament aus durchsetzen. Gelingt ihm das, schreibt er Geschichte. Gelingt es hingegen Merkel und Sarkozy Griechenland zu stabilisieren, dann fehlt der notwendige Druck, der weitere institutionelle Reformen erzwingen würde. Greift der Fiskalpakt, dann wird der Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa noch lang werden. Druck von der Straße gibt es nicht. Es ist unvorstellbar, dass es demnächst in den europäischen Hauptstädten zu Massendemonstrationen zugunsten der Vereinigten Staaten von Europa kommen könnte.

Der schnelle Guy spricht nicht viel von den Europäern, die er doch mitnehmen will auf seine Reise. Er geht auch nicht ins Detail, wie denn nun die Vereinigten Staaten von Europa genau kommen sollen. Er spricht nicht über die Rolle des deutschen Verfassungsgerichts und nicht über den deutschen Bundestag. Der trifft die letzte Entscheidung in der griechischen Schuldenkrise. Das Bundesverfassungsgericht kann einem europäischen Föderalstaat zustimmen. Wenn das Parlament wirklich repräsentativ gewählt wird und die deutsche Bevölkerung der Gründung in einem Referendum zustimmen würde. In den Nationalstaaten wird sich das Schicksal der EU entscheiden. Aber es kann das Europäische Parlament sein, das den Ton der Diskus-sion bestimmt.

In der Krise hat Verhofstadt bisher die Entwicklung auf seiner Seite. Es wird der Zeitpunkt kommen, da Griechenland vollständig saniert werden muss. Das kann im Herbst geschehen, wenn der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) greift. Italien und Spanien müssen sich bis dahin stabilisieren, Portugal kann man zur Not retten. An der Griechenland-Rettung wird sich entscheiden, ob es doch noch Eurobonds braucht. Einer zumindest braucht sie, um seinen Traum von Europa zu verwirklichen.

Christoph Nick
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