Inflation

Keine Kinkerlitzchen

d'Lëtzebuerger Land vom 10.03.2011

2,83 Euro kostet ein Kilo Weißbrot derzeit im Laden. Im Juni 2010 ging laut Statec in Luxemburgs Bäckereien das Kilo ungeschnittenes Weißbrot für 1,90 Euro über die Ladentheke. Vergangenen Monat waren es vor allem frische Eier, die teuerer wurden (plus 4,1 Prozent), frisches Obst (plus 1,7 Prozent) und der Kaffee (plus 1,6). Um 3,6 Prozent stiegen die Verbraucherpreise im Februar 2011 im Vergleich zum Februar 2010, teilte das statistische Amt am Mittwoch mit. Hauptursache: die Ölpreise. Bereits im Januar war die jährliche Inflationsrate – trotz Winterschlussverkauf – 3,2 Prozent in die Höhe geschnellt.

Noch steigen die Preise für frische Lebensmittel verhältnismäßig wenig. Doch der Anstieg der Ölpreise, bedingt durch die Jasmin-Revolu-tionen und -Aufstände in Nordafrika und im Nahen Osten, sowie die steigenden Kurse für landwirtschaftliche Erzeugnisse werden nicht ohne Auswirkung auf die Lebensmittelpreise in bleiben.

Dabei hängen beide zusammen. Durch die schlechten Ernten vergangenes Jahr wurde Weizen, die Grundlage für Brot und andere Basislebensmittel, teurer. Es waren die steigenden Lebensmittelpreise, die den Volkszorn in Nordafrika schürten, unter anderem in Ägypten, das als zweitgrößter Weizenimporteur der Welt gilt. Um die wütenden, hungrigen Massen zu besänftigen, kauften die Regierungen Weizen in großen Mengen, was wiederum den Preis in die Höhe trieb. Tunesien, Algerien, Marokko, Ägypten, das sind die traditionellen Kunden des zweitgrößten Weizenexporteurs der Welt, Frankreich. Wer im Januar französischen Weizen für März kaufte, musste 328 US-Dollar die Tonne zahlen. Auch anderswo in der EU stiegen die Getreidepreise in bisher unbekannte Höhen. Die EU-Kommission senkte im Februar die Importzölle auf Weizen und Gerste zum Teil auf Null. 660 Millionen Tonnen Weizen würden in der Saison 2010/2011 vorraussichtlich produziert und 662 Millionen Tonnen vorrausichtlich verbraucht, berechnete das französische Landwirtschaftsministerium. Davon werden allein 461 Millionen Tonnen zu Lebensmitteln weiterverarbeitet. Auch die Fleischpreise werden dadurch steigen; das Kraftfutter für die Mast wird ebenfalls aus Getreide hergestellt.

Noch nie, seit die Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation ihren Index erstellt, waren Lebensmittel so teuer wie jetzt. Und das wird, warnen Vertreter der FAO, kurzfristig nicht besser. Denn die hohen Ölpreise machen erstens die Herstellung von Biosprit finanziell interessanter, zweitens aus Mineralöl hergestellten Dünger sowie drittens den Sprit, mit dem die landwirtschaftlichen Maschinen betrieben werden, teurer. In den Luxemburger Agrarpreisindizes (Basis: 2005 = 100) schlägt sich das wie folgt nieder: Im vierten Quartal 2009 lag der Index für Getreide bei 88 Punkten, im vierten Quartal 2010 bei 143 Punkten. Ende 2009 betrug der Index für Dünge- und Bodenverbesserungsmittel 101 Punkte, Ende 2010 156 Punkte.

Die volatilen Ölpreise schlagen sich natürlich auch direkt an der Zapfsäule nieder. Über 20 Mal hat das Wirtschaftsministerium seit Jahresbeginn die Maximalpreise für Treibstoff, Heizöl und Gas angepasst. Ein paar Mal nach unten, öfter nach oben. Der Liter Super 95 kostet derzeit 1,311; der Liter bleifrei 98 1,336; der Liter Diesel 1,198 Euro. Der Liter Heizöl kostet aktuell 0,764 Euro pro Liter. Noch vor einem Jahr musste für einen Liter Heizöl „nur“ 0,5590 Euro gezahlt werden. Innerhalb von zwölf Monaten sind die Preise der Erdölprodukte um 18,68 Prozent gestiegen, hält das Statec im Statnews Nummer 9/2011 fest. Noch bleiben sie unter den Rekordpegeln von 2008. Im Juni 2008 kostete ein Liter Heizöl 0,8760 Euro. Kurz darauf erreichte im internationalen Handel der Barrel-Preis bei rund 147 Dollar einen vorläufigen Höchststand. Aktuell wird das Barrel Brent für um die 115 Dollar gehandelt.

Die Belastung für die Haushalte dürfte 2011 aber höher liegen als 2008. Damals nämlich stieg nicht nur der Rohölpreis in ungeahnte Höhen. Auch der Wechselkurs des Euro gegenüber der US-Währung schwang sich zu dem noch nie dagewesenen Höchstwert von 1,60 hoch. Weil die US-Währung für Europäer günstig war, war auch das in Dollar gehandelte Öl nicht ganz so teuer. Anfang März 2011 ist der Euro weniger als 1,40 Dollar wert. Vor allem aber, gibt Bastien Larue vom Statec zu bedenken, stiegen 2008 die Gehälter in Luxemburg noch, während die Lohnentwicklung Anfang 2011 noch flach ist. Im zweiten Semester 2010 steigen die durchschnittlichen Lohnkosten um lediglich 0,7 Prozent, stellten die Statistiker in der Konjunkturnote Nummer 2/2010 fest. Weit weniger als die drei Prozent, um die die Lohnkosten in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt stiegen. Zwar könnte eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt in Kombination mit der zunehmenden Inflation die Gehälter nach oben treiben, meinten sie Ende 2010. Doch die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt ist Anfang 2011 kaum merklich. Die Arbeitslosenrate war im Januar mit 6,5 Prozent unverändert hoch.

Deswegen droht der Kaufkraftverlust 2011 spürbarer zu werden als 2008. Zumal die Lohnempfänger durch die Verschiebung der Indextranche auf den 1. Oktober eine deutlich höhere Verzichtsleistung erbringen als geplant. Denn als sich Gewerkschaften und Regierung im Herbst hierauf einigten, gingen sie davon aus, dass die verschobene Tranche ohnehin erst im Herbst fällig würde. So müssten die Erwerbstätigen nur auf ein oder zwei um den Index erhöhte Monatsgehälter verzichten. Jetzt aber wird allgemein damit gerechnet, dass die Gehälter ohne Modulierung schon zum 1. Mai erhöht würden. Die Angestellten büßen also fünf Mal 2,5 Prozent ihres Lohnes ein. Auf den seit Januar geltenden sozialen Mindestlohn von 1757,56 Euro übertragen, sind das 219,6 Euro.

„Keine Kinkerlitzchen“ findet der LSAP-Fraktionsvorsitzende Lucien Lux. Der Gesetzentwurf mit dem dieser Beschluss umgesetzt werden soll, werde vorrausichtlich diesen Freitag im Regierungsrat verabschiedet, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Am 7. April, ergänzt Lux, nach der Rede zur Lage der Nation und den Debatten zur Rede, solle im Parlament darüber abgestimmt werden. Gerade rechtzeitig, bevor aller Wahrscheinlichkeit nach die cote d’échéance überschritten wird.

Sollten zwei Tranchen innerhalb von zwölf Monaten anstehen, so das Abkommen zwischen Regierung und Arbeitnehmervertretern vom Herbst 2010 , müsste man zurück an den Diskussionstisch. Wie wahrscheinlich das ist? Als die Erdölpreise vor der Finanz- und Wirtschaftskrise in die Höhe schnellten, wurden im November 2007 (auf den März 2008 verschoben) und im Juni 2008 (auf den März 2009 verschoben) zwei Tranchen innerhalb von acht Monaten fällig. Noch sieht das zentrale Szenario des Statec vor, dass eine nächste Tranche erst im vierten Quartal 2012 fällig wird. Das allerdings trägt den aktuellen Erdölpreisen noch nicht Rechnung. Im April werden die Vorhersagen aktualisiert, sagt Jérôme Hury vom Statec. Legt man den Berechnungen einen Rohölpreis von 117 Dollar das Barrel zugrunde anstatt von 97 Dollar, stünde besagte Tranche schon im zweiten Quartal 2012 ins Haus.

Bei der Unterredung zwischen Regierung und Sozialpartnern am Dienstag im Staatsministerium, dem ersten in Dreierformation seit einem Jahr, sei eine eventuelle zweite Tranche innerhalb von zwölf Monaten aber kein Thema gewesen. „Wir haben ein Abkommen, und der Staatsminister hat uns bestätigt, dass man sich daran halten wird“, sagt OGBL-Generalsekretär André Roeltgen. „Eine solche Diskussion steht dieses Jahr nicht an“, sagt er.

Die hohen Rohstoffpreise geben allerdings jenen Aufwind, die eine dauerhafte Lösung der Index-Frage anstreben. Als vor zwei Wochen der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle in Luxemburg zu Gast war, dessen Regierungschefin Angela Merkel in ihrem Wettbewerbsfähigkeitspakt die Abschaffung von Lohnindexierungssystemen forderte, bekräftigte Juncker zwar, man werde den Index nicht auf Geheiß aus dem Ausland abschaffen. Dass er dennoch eine Systemreform herbeiführen will, die befristete Abkommen zwischen Sozialpartnern ersetzt, daran ließ er jedoch keine Zweifel aufkommen. Er versäumte es nicht, darauf hinzuweisen, wie sachdienlich und berechtigt seine vergangenes Jahr von den Sozialpartnern abgelehnten Vorschläge gewesen seien, den Index zu „vergrünen“, also die Ölpreise aus dem Index-Warenkorb zu entfernen. Das mache der aktuelle Ölpreis deutlich. Auf die aktuelle Entwicklung der verordneten Preise ging er nicht ein.

Michèle Sinner
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