„Gott hat nicht gewollt, dass wir Sklaven halten“, dessen ist sich der selbstbewusste Erik McClure sicher. „Ich finde Gottes Wille erschreckend“, entgegnet, verstört, Edward Broderick. Er ist Besitzer einer Baumwollplantage im Süden der Vereinigten Staaten, wir schreiben die Nacht des 11. zum 12. April 1861, den Vorabend des Sezessionskrieges. Von diesem Tag an wird die Welt nicht mehr die Gleiche sein: Politische Überzeugungen, Identitäten und wirtschaftliche Interessen prallen aufeinander, Familien zersplittern an der Ideologie, eine ganze Generation fällt durch den Krieg.
Unter lustigen „Jihaa!“-Rufen umtanzen sich Luc Schiltz als Erik und Cornelius Schwalm als Edward zur Begrüßung. „Albern ist gut!“, versichert Thierry Mousset, aber die Blödelei der Improvisation sollte auf keinen Fall den Ernst ihres Zusammenkommens verbergen. Anfang Januar 2020 sind wir im Studio des Grand Théâtre auf Limpertsberg, wo Thierry Mousset mit einem deutsch-luxemburgisch-österreichisch-französischen Team Süden von Julien Green (1990-1998) probiert. Das Stück, 1953 geschrieben, war damals in Luxemburg und anderen europäischen Ländern „zum Schutz der Sittlichkeit“ verboten worden, wird auch heute noch wenig gespielt; der Text ist schwer zu finden. „Es ist ein unheimlich spannendes und reiches Stück“, sagt Thierry Mousset, weshalb es ihn begeistert. Es geht um Politik, um Religion, um Rassismus und... um Sex. „Alle Hauptfiguren sind zwischen 14 und 22 Jahren alt. Sie empfinden alles viel stärker. Wenn man noch keine Erfahrung hat im Leben, kann einen etwas Unerwartetes komplett umhauen.“ Die erste Liebe zum Beispiel. Um diese Jugendlichen zu spielen, hat Mousset zwei Jahre lang nach den richtigen Schauspielern und Schauspielerinnen gesucht. Und er wurde fündig in Luxemburg und in Berlin (seine Regina, die Nichte des Plantagenbesitzers, Meike Droste, hat er am Berliner Theater gesehen), traf sich immer wieder mit ihnen, um herauszufinden, ob die Chemie auch klappt, „ob wir die gleiche Sprache sprechen“. Denis
Jousselin, 65, spielt Brodericks Sohn Jimmy, 14 Jahre alt, „und man nimmt es ihm ab!“ Thorsten Lensing, dessen Dramaturg Thierry Mousset bei Foster Wallaces Unendlicher Spaß war (siehe d’Land vom 2.3.18), ließ den Helden Hal Incandenza von einer Frau, Ursina Lardi, spielen und den kaum erwachsenen Mario von André Jung. Überhaupt scheint Lensing allgegenwärtig, zum Beispiel auch bei der Wahl eines politischen Stückes, das extrem reduziert und abstrahiert etwas über die Menschen heute sagt – die Polarisierung der politischen Meinungen, die Identitätsfrage, das Verlorensein der Jugend... Mousset, selbst erst Ende zwanzig, hat Politik, Literatur und Theater studiert, unter anderem in Cambridge.
Hinten: eine lange Mauer aus Steinen, davor sind einige Stühle nebeneinander gereiht; daneben eine große Glocke und ein leicht höheres Podest gleich vor dem Publikum. Die Probenkostüme sind provisorisch, aber zeitlos. Mousset sitzt in der ersten Reihe, konzentriert aber gefasst; springt immer wieder auf, um zu kommentieren. Der Luxemburger Luc Schiltz, der Deutsche Cornelius Schwalm (Tatort, Amour fou, verschiedene Theater...) und der Österreicher Andreas Lust (Soko, Tatort, Kommissar Rex...) als polnisch-stämmiger Offizier der Armee Ian Wiczewski, die beiden letzten über fünfzig, proben das Eintreffen McClures auf der Plantage. Sie haben hundert Ideen, schlagen immer wieder Neues vor. Wie lustig, wie angespannt soll’s sein? „Die Frage der Körperlichkeit ist zentral an diesem Stück. Die jungen Menschen, sie sind ‚ver-rückt‘“, findet Mousset. Julien Greens Begehren für sehr junge Männer war lange ein Tabu, seine Tagebücher wurden erst letztes Jahr von Robert Laffont in Frankreich unzensiert veröffentlicht. „Julien Green ‚passt nicht‘, deshalb interessiert er mich. Er hat zu allem eine Meinung, die interessant ist und mit der ich einverstanden sein kann oder nicht. Aber er gibt Anlass zur Reibung. Und diese Reibung ist existentiell für mich!“ Thierry Mousset macht Schauspielertheater: „Die Welt muss durch das Spiel entstehen. Das ist die Kraft des Theaters, das kann das Theater. Ich muss als Regisseur nicht noch meinen Kommentar zu allem hinzufügen.“ Premiere des Experiments ist am 18. Januar.