Österreich

Alles, was rechts ist

d'Lëtzebuerger Land du 22.03.2019

Wenn Schweigen Gold ist, ist Österreichs junger Kanzler ein Goldgräber. Seit 14 Monaten ist die Koalition aus der von Sebastian Kurz mit neuer Parteifarbe türkis zur „Bewegung“ definierten Volkspartei (ÖVP) und den Freiheitlichen unter Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Amt. Mit neuen Köpfen in Ministerehren sicherte sich vor allem Regierungschef Kurz Loyalität in der gemeinsamen Mannschaft. Nach außen dominierende Prinzipien sind Harmonie, Disziplin und Message Control: Zwischen die Regierungspartner soll kein Blatt Papier passen. Unangenehmes hält Kurz durch Schweigen von sich fern.

Und genau dies führte nun dazu, dass selbst Granden der eigenen Partei der Kragen platzt: „Es geht nicht, dass Du schweigst“, warf Erwin Pröll, Landeshauptmann des wichtigen Bundeslandes Niederösterreich dem Kanzler vor. Das war um die Weihnachtszeit, als der Regierungschef auf Tauchstation ging, während Protagonisten der FPÖ begannen, Organisationen der Zivilgesellschaft zu attackieren. Namentlich der Caritas, als Pars pro Toto für all jene, die während der Flüchtlingskrise 2015/16 im Auftrag des Staates die Versorgung der Flüchtlinge übernahmen, unterstellte FPÖ-Scharfmacher Johann Gudenus Profitgier.

Schon vorher hatte sich der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl, verantwortlich für Asylthemen, ähnlich profiliert. Er hatte im Niemandsland nahe der Grenze zu Tschechien eine Asylunterkunft neuen Stils in Betrieb genommen, das durchblicken ließ, welchen Umgang mit Flüchtlingen die Freiheitlichen für angemessen halten: ein („zum Schutz der Bewohner“) mit Stacheldraht bewehrtes schmuckloses Gebäude, kaum möblierte Zimmer, statt Betreuungspersonen Sicherheitsleute. Ein Dutzend Jugendlicher war dort untergebracht, „notorische Unruhestifter“ in der Lesart Waldhäusls. Die Jugendanwaltschaft trat auf den Plan, bezeichnete die Unterkunft als „Straflager“, sie wurde geschlossen.

Zu all dem schwieg Kanzler Kurz. Ebenso wie zu den Ausfällen von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, der mit immer neuen Aktionen die moralische Toleranzgrenze Stück für Stück nach rechts verschiebt. Zunächst verbal, indem er in Nazi-Jargon ankündigte, künftig Asylbewerber „konzentriert an einem Ort zu halten“. Dann mit einer Novelle des Fremdenrechts, die den Behörden den Zugriff auf Handydaten und mitgeführtes Vermögen von Asylbewerbern ermöglicht. Später wurden Regelungen gekippt, die es ihnen ermöglichten, eine Lehre zu machen; auch die Handhabe, Flüchtlinge in Ausbildung bei negativem Bescheid nicht abzuschieben, wurde aufgelöst. Schließlich forderte Kickl in einer Fernsehdiskussion, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“. Im gleichen Atemzug stellte er die Europäische Menschenrechtskonvention in Frage, deren Werte in Österreich Verfassungsrang haben. Das war sogar Kanzler Kurz zu viel und er erklärte öffentlich, er habe „mit ihm telefoniert“. Dennoch stützt er ihn: Sechs Misstrauensanträge der Opposition im Parlament überstand Kickl unbeschadet.

Inhaltlich scheint Kurz kein Problem mit der Strategie Kickls und der FPÖ zu haben, das Asylthema stets unter dem Sicherheitsaspekt zu behandeln und somit Asyl/Migration mit Kriminalität gleichzusetzen. Insofern ist der Ruf nach einer Sicherungshaft für „gefährliche Asylbewerber“ nur ein weiterer logischer Schritt. Wer als gefährlich einzustufen ist, darüber sollen zunächst Beamte entscheiden. Binnen von 24 Stunden soll ein Richter beigezogen werden.

Aus seinem Ziel macht Kickl keinen Hehl: „Es soll praktisch niemand in Österreich einen Asylantrag stellen können“, sagte er und schafft Fakten – nicht zuletzt in der Benennung. Seit März heißen die Erstaufnahmezentren für Flüchtlinge „Ausreisezentren“. Dort herrscht eine „freiwillige Anwesenheitspflicht“ während der Nacht. Wer sich nicht daran hält, wird in Quartiere in der Einöde verlegt.

Mitte März ging nun der Gesetzesvorschlag in Begutachtung, mit dem Kickl die Asylagenden weiter an sein Ministerium ziehen will: Die Rechtsberatung von Flüchtlingen sollen künftig nicht mehr NGOs durchführen, sondern eine neue „Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen BBU“. Mit deren Einrichtung sollen neben der Rechtsberatung auch die Abwicklung der Grundversorgung, die Rückkehrberatung, die Menschenrechtsbeobachtung sowie Übersetzung- und Dolmetschleistungen unter das Dach des Innenministeriums wandern.

* Die Autorin ist Mitarbeiterin von Caritas Österreich

Irmgard Rieger
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