Koalitionsverhandlungen in Österreich

(K)ein Aufschrei

d'Lëtzebuerger Land du 10.11.2017

Ein perfider Stratege hätte sich keine bessere Inszenierung ausdenken können: Ganz Österreich diskutiert. Über Männer und Frauen und wie das so ist mit den Bienchen und den Blümchen unter der Sonne der Macht. Ein renommierter und verdienter grüner Querkopf steht plötzlich als plumper Macho da: Aus dem Aufdecker im Parlament Peter Pilz wird ein Anmacher hinter den Kulissen. Pilz, grünes Urgestein, der Skandale der Republik aufgedeckt, Minister zum Rücktritt gezwungen und eine neue Qualität in parlamentarische Untersuchungsausschüsse gebracht hat, stolpert über Sexismus-Vorwürfe aus verschiedenen Richtungen. Sein Austritt aus der Partei und die Gründung einer eigenen Liste, die letztlich das Aus für die Grünen im Parlament bedeutete, erscheinen plötzlich in einem anderen Licht.

So kommt’s, dass Österreich eine wichtige Diskussion führt, und dabei eine andere ins Hintertreffen gerät, nämlich die um die Beteiligung einer Partei mit rechtsextremen Vertretern und Tendenzen an der künftigen Regierung. Während eine erhellende Sexismus-Debatte und verstörende Intrigen- und Gegenintrigen-Vorwürfe die Nachrichten dominieren, schmieden die Wahlsieger von Neuer Volkspartei und Freiheitlichen, Sebastian Kurz und Heinz Christian Strache, in aller Ruhe ihre Koalition. Schon bald nach Aufnahme der Gespräche eine Woche nach der Wahl hatte Kurz angekündigt, eine neue Regierung solle noch vor Weihnachten stehen.

Es könnte rascher gehen. Ein stramm gezurrtes System von Steuerungs- und Fachgruppen verhandelt auf verschiedenen Ebenen. Mit je vier Vertrauten um die Parteichefs verhandelt an der Spitze die Steuerungsgruppe. Darunter stehen insgesamt 25 Fachgruppen mit Parteivertreterinnen und Experten, die in fünf Clustern zusammengefasst sind: „Staat und Gesellschaft“ – „Sicherheit, Ordnung und Heimatschutz“ – „Standort“ – „Soziales, Fairness und neue Gerechtigkeit“ sowie „Zukunft“ sind Kapitelüberschriften, unter denen das künftige Regierungsprogramm entwickelt werden soll.

17 Jahre nach der ersten, damals noch schwarz-blauen Regierungsbildung, bleibt das politische Fieberthermometer jedoch im unauffälligen Bereich: Kein Gegenwind aus Brüssel, kein Rumoren in der Bevölkerung, keine Zwischenrufe von intellektueller Seite. Schien die mit 80 Prozent erfreulich hohe Wahlbeteiligung ein verstärktes politisches Interesse zu signalisieren, so macht sich jetzt eine „Ist halt so, schauen wir, was kommt“-Haltung breit. Dabei wäre Türkis-Blau deutlich mächtiger als beim ersten Versuch unter Schüssel-Haider: Zusammen mit den Neos, die ob der Implosion der Grünen an Selbstbewusstsein gewonnen haben, verfügen ÖVP und FPÖ über eine Verfassungsmehrheit im Parlament.

Das macht Laune in der neu gefärbten, zur smarten Bewegung konvertierten konservativen Volkspartei, die ihren Vorsitzenden zum Heilsbringer der Nation stilisiert. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler bescheinigt dem designierten künftigen Kanzler mit dem unbestrittenen politischen Talent in einem Interview mit der Wochenzeitung Falter eine „Chamäleonstruktur“: „Er hat seine Aufgabe nicht darin gesehen, die österreichische Gesellschaft in eine bestimmte Richtung zu bewegen, sondern er hat sich deren Grundstimmungen perfekt angepasst“. Es sei nicht klar auszumachen, „ob es eine Form der Zurückdrängung von Rechtspopulismus durch aggressiven Rechtskonservativismus war oder aber eine Übernahme von Rechtpopulismus ins eigene Programm“.

Dazu passt, dass Strache seinen Wahlkampfgegner Kurz noch als „Kopiermaschine“ des blauen Parteiprogramms verspottete. Dazu passt auch die Schnelligkeit, mit der die Verhandlungsgruppen ihre „Metaziele“ und „Leuchtturmprojekte“ definiert haben wollen. Schöne Worte, die sich geschmeidig über den dahinterliegenden Text legen. Den buchstabiert ein politisches Personal, das zum einen, türkisen Teil ideologisch zumindest diffus zu nennen ist, sich zum anderen, blauen Teil stark aus rechtsnationalen Burschenschaften rekrutiert.

Setzen sich die Strachianer mit ihren Postenwünschen durch, könnte ein Vertreter einer erklärt autoritären, ausländerfeindlichen Partei das Innenministerium bekleiden. Auch ein freiheitlicher Außenminister fände sich im Kabinett, aller Wahrscheinlich nach in Person von Norbert Hofer, der als Präsidentschaftskandidat mit einem Öxit kokettiert hatte. Dass die FPÖ im EU-Parlament gemeinsame Sache mit erklärten Anti-EU-Parteien macht und einen Block mit den rechtsautoritären Visegrad-Staaten Ungarn, Polen und Tschechien anvisiert, ist durchaus ein Dilemma und vor allem Imageproblem für Kurz. Er hatte eine europafreundliche Haltung als Voraussetzung für eine Regierungsbildung genannt. Er könnte dies lösen, indem er die EU-Agenden zu sich ins Kanzleramt holt. Vor zu viel Macht hat Kurz ohnehin keine Angst. Im Wahlkampf hatte er bereits angekündigt: „Ein Kanzler muss führen können“.

Irmgard Rieger
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