Als die Verantwortlichen des Observatoire de la compétitivité vergangenes Jahr ihre Bilanz vorstellten, wussten sie zwar noch nicht so genau, welche Kriterien die EU am Ende festhalten würde, um die gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone zu messen, doch schon damals war klar, dass Luxemburg in einigen Kategorien des so genannten Macroeconomic Imbalance Procedure (MIP) Scoreboards durchfallen werde. Ob das für Luxemburg ein Verfahren nach sich ziehen würde, im Rahmen dessen EU-Kommission und EU-Ministerrat Korrekturmaßnahmen vorschreiben würden, war bislang nicht klar. Am Valentinstag veröffentlichte die EU-Kommission nun ihren ersten Alarm- oder Frühwarnbericht auf Basis der MIP-Indikatoren. Zwölf Länder müssen sich einer tiefer gehenden Analyse – der erste Schritt in Richtung Verfahren – unterziehen, darunter auch Vorzeigeländer wie Dänemark, Finnland, Schweden, aber auch Großbritannien. Resultat für Luxemburg: Eine tiefer gehende Analyse ist nicht erforderlich, obwohl die Bedingungen in drei Kategorien nicht erfüllt werden.
So weist Luxemburg mit plus 6,4 Prozent im Dreijahresdurchschnitt ein zu hohes Leistungsbilanzsaldo aus. Als Obergrenze wurden sechs Prozent Zuwachs festgelegt. Das sei, schreibt die Kommission in ihrem Bericht, aber kein Hinweis auf eine stagnierende Binnennachfrage, sondern reflektiere lediglich die starke Spezialisierung Luxemburgs auf Finanzdienstleistungen.
Auch die nominalen Lohnstückkosten stiegen mit plus 17,3 Prozent über drei Jahre fast doppelt so schnell wie nach dem Scoreboard für Euroländer zulässig (neun Prozent maximal). „Luxemburg hat in Folge hoher Lohnsteigerungen und niedriger Produktivitäts-zuwächse preislich an Wettbewerbsfähigkeit verloren“, meinen die Spezialisten der Kommission, „allerdings ist zu notieren, dass Luxemburg gleichzeitig Marktanteile beim Dienstleistungsexport gewinnt.“ Mit 254 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlands-produkt liegt die private Verschuldung ebenfalls über dem auf 160 Prozent festgelegten Grenzwert. Hinzu kommen große und volatile Kreditflüsse, hält die Kommission fest. Das sei aber eher auf die Darlehensvergabe und -aufnahme großer internationaler Unternehmen aus der Realwirtschaft zurückzuführen als auf eine übermäßige Verschuldung des Privatsektors. Die Verschuldung der Privathaushalte sei relativ gemäßigt.
Die Preise für Wohnimmobilien seien im vergangenen Jahrzehnt stark angestiegen, und die Preiskorrektur sei bislang nur gering, warnt die Kommission in ihrem Bericht. Trotzdem liegt Luxemburg, was die Entwicklung der Immobilienpreise betrifft, im Maß. Denn die Kommission beruft sich nicht auf die Wohnungspreise an sich, sondern vergleicht sie mit den Konsumausgaben der Haushalte. Deswegen – man denke an die schnelle Inflationsentwicklung – war die reale Hauspreisentwicklung in Luxemburg 2008 und 2009 nach Ansicht der Kommission sogar negativ, bevor sie 2010 wieder umschlug. Im Soll liegt Luxemburg nach Kommissionsmethodologie und -daten auch, was die Veränderung des effektiven Wechselkurses betrifft (plus 1,9 Prozent bei erlaubten fünf Prozent über drei Jahre), also dem Indikator, der einen Preisvergleich zwischen verschiedenen Ländern (in diesem Fall 35) erlaubt, wobei die Wechselkurseffekte neutralisiert sind. Steigt der effektive Wechselkurs zu schnell, bedeutet dies einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit für die lokale Wirtschaft gegenüber den Konkurrenten, die billiger produzieren können. Eine Entwicklung, vor der das Observatorium für Wettbewerbsfähigkeit bei der Bilanzvorstellung eindringlich gewarnt hatte.
Dass die Kommission nicht immer ein kritischeres Auge auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der EU-Staaten wirft als die nationalen Behörden selbst, zeigt sich am zehnten Indikator, der die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen misst. Immerhin zehn Prozent (Dreijahresdurchschnitt) der Erwerbsbevölkerung können arbeitslos sein, ohne dass bei der Kommission die Alarmglocken läuten. Dabei zählt die Europäische Statistikbehörde Eurostat die Arbeitslosen wohl nach einer anderen Methode als das heimische Statec und die Adem, ansonsten würde Luxemburg kaum mit einer Arbeitslosenrate von im Schnitt 4,9 Prozent über die Jahre 2008, 2009 und 2010 glänzen können.
Wenn die Kommission 2012 keine weiterführende Analyse über Luxemburg verlangt und damit ein Verfahren wegen gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte zumindest dieses Jahr abgewendet ist, bedeutet das nicht, dass die Kritik aus Brüssel dieses Jahr ganz ausbleiben wird. Für Länder wie Luxemburg wird es im Rahmen des Europäischen Semesters Empfehlungen zur Haushaltspolitik und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geben. Dabei werden alte Bekannte, wie die Hinweise auf die versteckte Verschuldung durch die Pensionsansprüche, das Defizit beim Zentralstaat, oder die Folgen der Lohnindexierung – aus Sicht der Indexgegner – sicher nicht fehlen.