Am Montag dieser Woche wurde er unterzeichnet: Der Vertrag, durch den die Stadt Luxemburg zum einen ihre kommunalen Strom- und Gasnetze in der Creos s.a. privatisiert und im Gegenzug ein Fünftel der Creos-Anteile erhält. Zum anderen bringt sie ihren Stromversorger Leo s.a. in das Versorgungsuntenehmen Enovos Luxemburg ein und hält künftig acht Prozent der Aktien an
der Holding Enovos International.
Die Vertragsunterzeichnung bildete jedoch nicht nur den Schlusspunkt hinter eine jahrelange Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften über die Zukunft der gemeindeeigenen Netze und des Statuts der Beschäftigten im städtischen Energiedienst.
Mit dem Beitrag aus Luxemburg-Stadt wachsen Enovos und Creos deutlich. 2007, im letzten Jahr, für das die Regulierungsbehörde ILR die Energiemarktanteile noch namentlich Versorgern zuordnete, brachte Luxemburg-Stadt es beim Stromhandel im Haushaltskundensegment auf 13,4 Prozent, bei den Großkunden auf 21 Prozent. Bildet sich, wenn die Leo s.a. zwar bestehen bleibt, aber als hundertprozentige Enovos-Tochter, ein preis- und leistungsbestimmendes Oligopol?
Als Enovos und Creos entstanden, konnte diese Frage schon deshalb nicht erörtert werden, da Luxemburg als einziger EU-Staat über keine Fusionskontrollbehörde verfügt. Heute lässt sich zumindest sagen, dass nach dem Vertragsschluss vom Montag das
Spektrum der heimischen Anbieter sehr überschaubar geworden ist: Im Strombereich umfasst es neben Enovos nur noch die aus dem Energiedienst der Stadt Esch/Alzette hervorgegangene Sudstroum s.à r.l., die Merscher Electris s.à r.l. der Gebrüder
Hoffmann, sowie Eida Green, den Ökostrom-Anbieter der Energipark Réiden s.a. Im Gashandel wird es an heimischen Anbietern, abgesehen von Enovos, nur noch die Gemeinde Düdelingen sowie den von 15 weiteren Südgemeinden getragenen Gasversorger
Sudgaz geben.
Und doch: Eigentlich müsste „zu wenig Wettbewerb“ angesichts der europaweit voll liberalisierten Märkte und der totalen Freiheit zur Wahl des Anbieters ausgeschlossen sein. Vom Conseil de la concurrence wird überdies angemerkt, dass „groß zu werden, nicht verboten“ sei, nur, „seine Größe zu missbrauchen“. Derweil verweist Enovos-Verwaltungsratspräsident Etienne Schneider auf die derzeit über 20 Anbieter aus dem Ausland, die zum Energiehandel hierzulande lizenziert sind. Die ILR-Direktion tut das ebenfalls.
Allzu viel Unzufriedenheit mit den Strom- und Gaspreisen scheint es überdies nicht zu geben: Laut ILR wechselten im vergangenen Jahr 188 Haushaltskunden ihren Anbieter; im Jahr zuvor war die Wechselfreudigkeit doppelt so hoch gewesen. Kommerzielle Konsumenten wechselten 249 Mal ihren Lieferanten, was leicht häufiger der Fall war als 2008, und unter den Großverbrauchern aus der Industrie gab es sieben Wechsel, gegenüber 13 im Jahr 2008.
Diese Zahlen, sagt der Enovos-Präsident, würden zumindest bei den Haushaltskunden nicht verwundern: Die Unterschiede im Endpreis je nach Anbieter würden sich in Luxemburg auf zehn bis 15 Euro jährlich belaufen. „Europäische Studien haben ergeben, dass erst ab 100 Euro Differenz im Jahr die Wechselbereitschaft wesentlich steigt.“
Aber natürlich gibt es je nach Kundensegment verschiedene Angebote. Deshalb sorgt der Beitritt von Leo zu Enovos nicht mal bei Großverbrauchern im Stadtgebiet für viel Unruhe: Für die Dexia Bil erklärt deren Pressesprecher TomAnen, es gebe „keinen
Grund anzunehmen, dass die drei entscheidenden Kriterien – Versorgungssicherheit, Preis-Leistungsverhältnis und Strom aus erneuerbaren Energien – in Frage stehen könnten“.
Der Direktor für Facility Management bei BGL BNP Paribas, Roby Thill, erklärt, der Wettbewerb bestehe „in Europa“; die Bank schreibe ihren Energiebedarf europaweit aus. Da sei es um so besser, wenn Enovos wachse, um ihrerseits günstiger einkaufen
zu können. Ganz ähnlich sieht der Verwaltungsdirektor des Centre hospitalier de Luxembourg, Jean-Paul Freichel, die Lage: Für
2011 sei das CHL noch Leo-Kunde. Für die Zeit danach werde man sehen und gegebenenfalls EU-weit ausschreiben. Das tun die Großverbraucher aus der Industrie sowieso.
Der Kleinkunde kann das freilich nicht. Das ILR hebt aus der von ihm geführten Anbieter-Liste im Strombereich mit der deutschen Pfalzwerke AG einen einzigen ausländischen Versorger hervor, der „erklärt“ habe, „über ein Angebot für Luxemburger Haushaltskunden zu verfügen“. Worin das Angebot besteht, wurde dem Land vier Tage nach einer Anfrage leider noch nicht
mitgeteilt.
Möglicherweise liegt es ja vor allem an der geringen Größe dieses Marktes, dass ausländische Anbieter hierzulande nicht schon längst in großer Zahl auch für Kleinverbraucher aktiv geworden sind. Denn dass ein Versorger die in Luxemburg üblichen Preise gezielt unterbieten könnte, ist keineswegs unmöglich: Die Luxemburger Anbieter sind stark importabhängig. Im Gasbereich zu hundert Prozent; im Strombereich verfügte Enovos zuletzt lediglich über 15 Prozent Eigenproduktionsanteil seines verkauften
Stroms. Ein ausländischer Versorger mit eigenem Kraftwerkspark, vielleicht gar einem Park aus längst abgeschriebenen Anlagen, könnte durchaus eine Zeitlang als Preisbrecher in Luxemburg auftreten – und die Preise anziehen, sobald er genügend viele Kunden gewonnen hat.
So dass die Frage nach der Qualität und dem Preis der Energieversorgung sich, pragmatisch gesehen, tatsächlich an Enovos entscheiden könnte und daran, wie es gelingt, den mittlerweile immer stärker öffentlich geprägten Anbieter auszurichten. Ursprünglich hatte Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) eine nationale Netzgesellschaft gründen wollen, in der möglichst sämtliche Netzinfrastruktur im Lande regruppiert und der öffentliche Anteil so hoch wie möglich sein sollte. Mit der Ankunft der Gemeinde Luxemburg in Creos wurde die öffentliche Hand aus Staat und Gemeinden in der Netzgesellschaft tatsächlich
majoritär, so dass auch der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes, der 2005 in einem Bericht an Krecké empfohlen hatte, die Netze zu verstaatlichen, findet: „Was nun geschehen ist, geht stark in die von mir damals vorgeschlagene Richtung.“
In welche Energie-Produktionsanteile Enovos längerfristig investiert, ist eine andere Frage. Sie interessiert auch die Großverbraucher aus der Industrie. Vor der Enovos-Gründung profitierten sie davon, dass der Gasversorger Soteg preiswertes Gas im Ausland „verstromen“ ließ und im Segment der kommerziellen Kunden die Strompreise der Cegedel unterbot. Das ist vorbei, doch nun verhandeln die Großbetriebe europaweit. „Da erwarten wir vor allem, dass Enovos mehr eigenproduzierten Strom anbietet“, sagt Fedil-Generalsekretär René Winkin.
Mehr und mehr Gewicht beim Einkauf erwirbt Enovos bereits. Kürzlich erhielt das Unternehmen den Zuschlag für die Gasversorgung an 16 Airbus-Produktionsstandorten in Frankreich. Und ein deutscher Automobilproduzent, dessen Jahresstromverbrauch halb so hoch ist wie der ganz Luxemburgs, wählte Enovos zum Lieferanten.
Seinen Eigenproduktionsanteil beim Strom werde Enovos in den nächsten Jahren auf zwei Drittel steigern, kündigt Etienne Schneider an. Dazu werde das GUD-Kraftwerksprojekt mit Gazprom im deutschen Eisenhüttenstadt beitragen, aber auch andere
Gasprojekte sowie „zahlreiche“ Vorhaben zu Investitionen in erneuerbare Energien. Bis 2015 wolle man 20 Prozent des Enovos-Stroms aus erneuerbarer Eigenproduktion anbieten.
Wie das am besten geschehen soll, ist allerdings auch eine politische Frage: Was dringend auf den Tisch gelegt werden müsse, sei eine „Energiestrategie für Luxemburg“, meint der grüne Energiepolitiker Turmes. Tatsächlich gibt es kein Papier, das von
der Regierung aufgestellt worden wäre und sich einerseits den energiepolitischen Herausforderungen zuwendet, vor denen Luxemburg steht, aus dem sich andererseits ableiten ließe, welche Rolle bei deren Lösung Enovos spielen könnte. Stattdessen sieht es so aus, als überlasse der Wirtschaftsminister dem Energieversorger Teile der Strategiebildung: etwa, wenn der Enovos-Präsident mit Umweltverbänden darüber befinden will, ob nationale Umweltvorschriften ausgerechnet dem Ausbau der erneuerbaren Energien im Lande entgegenstehen, und die Verbände entgegnen, darüber rede man nur mit der Regierung.
Gleichzeitig aber nimmt der öffentliche Einfluss in Enovos zu. Bringt die öffentliche Hand aus Staat, SNCI und Stadt Luxemburg in der Enovos Holding es zusammen auf 43,45 Prozent der Aktienanteile, hat sie im Verwaltungsrat der Holding unter Umständen sogar die Mehrheit: nämlich, wenn zu ihren sechs Stimmen noch die siebente des Personalvertreters käme. Diese delikate
Machtverschiebung wird möglich durch den Einzug der Stadt Luxemburg in die Holding.
Die Frage ist halt nur, was man mit so viel Einfluss anfangen will. Weil sie noch nicht geklärt ist, erinnert das immer potenter werdende Energieversorgungsunternehmen im Jahr zwei seines Bestehens ein wenig an die Cegedel, die mancheiner selbst dann noch mit einem Staatsbetrieb wie Post und Eisenbahn verwechselte, als sie längst an der Börse notiert war.
Peter Feist
Catégories: Énergie
Édition: 16.12.2010