Am Wochenende hatte sich die Regierung erneut in das Senninger Schloss zurückgezogen, um über die geplanten Tripartite-Verhandlungen zu beraten. Der allgemeine Eindruck der Ratlosigkeit bleibt: Während die CSV-Politiker unter sich nicht richtig einig sind, die Sozialisten zwischen Stabilitätsprogramm und Rentenreform manövrieren, um am Ende nicht zwischen allen Stühlen zu sitzen, bittet der Premier seine Minister und die Minister bitten ihre Verwaltungen hektisch um Sparvorschläge. Diese sollen dann den Unternehmern und Gewerkschaftern in der Tripartite vorgelegt werden, um das Defizit der Staatsfinanzen zurückzufahren.
Doch auch nach der weiteren Klausur war noch nicht einmal klar, wann die anfangs für Januar, dann für Februar angekündigten Tripartite-Gespräche beginnen sollen. Das inzwischen erwogene Datum vom Donnerstag, dem 18. März, wurde bereits wieder in Frage gestellt. Die Sozialpartner warten auf das Startsignal aus dem Staatsministerium und fragen sich, ob sie davor noch einmal in aller Eile zu einer Runde Einzelgesprächen mit der Regierung antreten müssen, um den Verhandlungsspielraum weiter auszuloten. Vorgegeben ist nur, wie 2006, das Ende: Bis zur Erklärung zur Lage der Nation soll wieder ein neues Tripartite-Abkommen fertig sein, diesmal ist sie für den 4. Mai vorgesehen.
Dass noch nicht einmal das Datum der Tripartite bekannt ist, beruhigt vielleicht ein wenig die LSAP-Führung. Denn nachdem die Kongressdelegierten im Juli letzten Jahres der Regierung einen Blankoscheck für die Bekämpfung der Rezession und des Haushaltslochs ausstellen mussten, hatte der zum linken Parteiflügel zählende Monnericher Bürgermeister Dan Kersch auf dem Südkongress Ende Januar einen möglicherweise folgenreichen Entschließungsantrag vorgelegt. Danach soll ein außerordentlicher LSAP-Kongress über das Tripartite-Abkommen noch vor dessen endgültiger Unterzeichung entscheiden.
Der LSAP-Südkongress sprach sich einmütig für den Antrag aus, so dass nun erwartet wird, dass die Parteiführung während des statutarischen Landeskongresses am 14. März ankündigen wird, dem Gesuch nachzukommen. Andernfalls ist damit zu rechnen, dass der Antrag auch dem Landeskongress zur Abstimmung vorgelegt wird und die Parteiführung eine Abstimmungsniederlage riskiert. Wird der Vorschlag aber angenommen, wird der Verhandlungsspielraum der Regierung deutlich eingeschränkt, weil mindestens eine der Koalitionsparteien am Tripartite-Tisch direkt ihrer Basis rechenschaftspflichtig ist. Vor einem Jahr hatte ein Parteitag der LSAP das Wahlprogramm umgeändert und eine zweideutige Formulierung über die Wiedereinführung der automatischen Indexanpassungen durch eine eindeutige ersetzt.
Doch die Öffentlichkeit und die Sozialpartner blicken seit Monaten auf die Regierung, um zu erfahren, wann und wie es mit der Tripartite weitergehen soll, und die Regierung bleibt stumm. Sie erweckt den Eindruck, als ob sie die Zeit verstreichen lässt, weil sie sich nicht entscheiden kann und die Konfrontation in der Tripartite fürchtet.
„So geht es auch in Regierungssachen“, lehrt aber Machiavelli in seinem Fürst. „Hat man hier entspringenden Übel von weitem erkannt (was nur dem Klugen gegeben ist), so heilt man sie bald. Läßt man sie aber, aus Nichterkenntniß, erst wachsen bis sie ein Jeder erkennt, so ist keine Hülfe mehr dagegen. Weßhalb die Römer, weil sie sie schon von weitem sahen, die Störungen immer beseitigt, und nie, um einem Kriege zu entgehen, sie überhand haben nehmen lassen. Denn sie wußten, daß man, zum Vortheil des Feindes, den Krieg nicht anfängt, wohl aber aufschiebt.“
Weil die Regierung die Tripartite-Verhandlungen immer wieder aufschiebt, bildet sich inzwischen ein Machtvakuum. Folglich führen die Sozialpartner den Sozialdialog nun in der Presse, und die Opposition versucht, die Auseinandersetzungen auf ihr eigenes Terrain zu zerren.
Handelskammer- und UEL-Präsident Michel Wurth meinte am Montag über RTL, dass die Einkommen der Beamten kein Tabu sein dürften, wenn es heiße, die Staatsausgaben zu senken. Aber die Sanierung der Staatsfinanzen soll in erster Linie durch eine Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen angestrebt werden, woraus sich dann eine Erhöhung der Steuereinnahmen und der Sozialbeiträge ergäbe. Die Arbeitskosten sollten in den nächsten Jahren ein bis anderthalb Prozent unter diejenigen der Nachbarländer gesenkt werden, meinte Wurth. Im Tripartite-Abkommen vom 28. April 2006 wird dagegen die Produktivitätsentwicklung als Ziel einer mittelfristigen Lohnpolitik vorgegeben.
Ebenfalls am Montag kündigte die Exekutive des OGB-L ihre „rote Linie“ an, die in der Tripartite nicht überschritten werden dürfe: Kürzungen bei den Leistungen der Sozialversicherung kämen nicht in Frage, der OGB-L lehnt Gehaltskürzungen sowohl in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Dienst ab, die automatische Indexanpassung sei nicht verhandelbar. Gleichzeitig beschloss die Exekutive eine Sensibilisierungskampagne in den Betrieben, die an die große Kundgebung vom 16. Mai letzten Jahres anknüpfen soll, als die Gewerkschaften drohten: „Wir bezahlen nicht für ihre Krise!“
Die Beamtengewerkschaft CGFP hält dagegen den „gierigen Managern“ und „privaten Profitmachern“ Woche für Woche Balken- und Tortendiagramme von Statec und Eurostat unter die Nase, um nachzuweisen, dass kein Grund dafür bestehe, die Gehälter beim Staat zu kürzen. Denn die Staatsverwaltung sei eine der schlanksten in Europa, die Zufriedenheit der Bürger mit der Staatsverwaltung sei in kaum einem anderen EU-Land so groß wie in Luxemburg, und die Staatsfinanzen seien trotz „Defizit-Hysterie“ noch immer gesünder, als vielfach behauptet.
Nicht nur die Sozialpartner, auch die Oppositionsparteien beginnen das Machtvakuum aufzufüllen. Nachdem die Grünen letzte Woche angekündigt hatten, ihr eigenes Krisenausstiegsszenario auszuarbeiten, das aber sicherheitshalber erst nach dem voraussichtlichen Ende der Tripartite bekannt gemacht werden soll, startete die DP eine Kampagne „Dat kanns du dir spueren, Lëtzebuerg! D’Initativ géint Steiererhéijungen“. Fraktionssprecher Xavier Bettel erklärte: „Wir wollen nur beweisen, dass die Regierung kein Sterbenswort einer Maßnahme präsentiert hat“, um den Haushalt wieder ins Lot zu bringen. „Der Steuerzahler ist der einzige, der bei einer Tripartite nicht um seine Meinung gefragt wird.“
Seit Mittwoch werben deshalb junge Menschen am hauptstädtischen Bahnhof, in der Fußgängerzone und an den Auffangparkings für die DP. Sie tragen T-Shirts, auf denen Banknotenbündel abgebildet sind und verteilen Postkarten – Porto zahlt Empfänger – , mit denen jeder Steuererhöhungen vermeiden soll, indem er einen Sparvorschlag einschickt. Dafür wirbt die Partei auch mit bezahlter Rundfunkwerbung und im Internet.
Mit ihrer Initiative gegen Steuererhöhungen versucht die DP, sich nach dem Vorbild ihrer deutschen Schwesterpartei weiter als liberale Steuersenkungspartei zu profilieren. Bereits im Wahlkampf vor einem Jahr hatte sie auf Plakaten „Nei Weeër féieren zu nidderegen Steieren“ versprochen. Die Kampagne der Partei, die sich Interessenvertreterin der Mittelschichten nennt, erklärt unausgesprochen vor allem dem Umverteilungscharakter des Steuerstaats den Krieg, da bei dem demagogischen Ideenwettbewerb erwartungsgemäß jeder auf Kosten seines Nachbarn sparen will.
Entsprechend lesen sich die Vorschläge der oft anonymen Sozialneider: Sparen soll der Staat nicht bloß bei der Straßenbahn, dem Pei-Musée und der Gëlle Fra, sondern vor allem bei den Gehältern, Pensionen und Kumulen der Beamten, dem Kindergeld, der Mammerent, dem Mindesteinkommen, dem Arbeitslosengeld, der Entwicklungshilfe, der Asylgewährung, der Kirche und dem Großherzog. Während das von DP und LSAP verabschiedete Tripartite-Gesetz vom 24. Dezember 1977 in Kapitel sechs ausdrücklich „mesures d’application générale et de solidarité nationale“ vorsieht, fördert die neue DP-Kampagne gezielt eine Entsolidarisierung der Gesellschaft. Dem Vorwurf, sie wolle mit dem Ideenwettbewerb von der eigenen Ideenlosigkeit ablenken, begegnet die Partei damit, dass sie ihr Wahlkampfversprechen wieder ausgräbt, einen Teil des Kindergelds durch eine Wohnprämie zu ersetzen, die Grenzpendlern vorenthalten würde.