Mit der Reform der europäischen Agrarpolitik ist es ein wenig wie mit dem Frühling, auf den die Bauern warten, damit sich auf den Äckern endlich etwas regt: Sie hat sich verspätet. Das liegt in erster Linie daran, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs bis Februar nicht auf den Finanzierungsrahmen für die kommenden Jahre einigen konnten. Ohne EU-Budget aber gibt es keine Gemeinsame Agrarpolitik (Gap), denn auf sie entfallen auch im Zeitraum 2014-2020 38 Prozent aller Ausgaben aus dem europäischen Haushalt. In den kommenden sieben, beziehungsweise sechs Jahren werden es 363 Milliarden Euro sein, die der Landwirtschaft zugute kommen. Eine Kürzung in der Größenordnung von 13 Prozent, die sich auch auf Länderebene bemerkbar machen wird. Weil insgesamt weniger Geld für die EU-Landwirtschaft zur Verfügung steht. Aber auch weil es zu Anpassungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie länderintern kommen wird, obwohl sich EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Cioloş sich mit der Idee der flate rate, einem EU-weit einheitlichen Betrag für die Direktzahlungen pro Hektar, nicht durchsetzen konnte. Wie diese genau aussehen, ist immer noch nicht bis ins letzte Detail abzusehen. Zwar haben sich die EU-Landwirtschaftsminister bei ihrer März-Sitzung auf ein Reformpaket geeinigt – erst jetzt aber beginnen die trilateralen Verhandlungen zwischen EU-Ministerrat, Kommission und Europaparlament. Da kann es noch Änderungen geben.
Augenblicklich sieht es für die Luxemburger Landwirtschaft so aus, als ob sie mit einem blauen Auge davon kommen könnte. Weil Luxemburg mit einem Durchschnittssatz von 265 bis 270 Euro pro Hektar leicht über dem EU-Durchschnitt der Direktzahlungen liegt, gehört es im Prinzip zu den Ländern, deren nationaler Umschlag im Hinblick auf die bis 2020 angestrebte „externe Konvergenz“ – also zwischen den EU-Mitgliedstaaten – gekürzt wird. So schlimm wie befürchtet und wie es auf dem Papier wahrscheinlich aussehen wird, wird es aber wohl nicht kommen. Nach der aktuellen Sachlage rechnet Josiane Willems von der Bauerngewrkschaft Cepal mit einer Kürzung von zwei Prozent des „Luxemburger“ Budgets für die Direktzahlungen.
Weil weitaus deutlichere Kürzungen zu befürchten waren, hatte sich die Luxemburger Regierung bei den Verhandlungen um das EU-Budget dafür stark gemacht, dass ein Teil der Gelder aus der so genannten zweiten Finanzierungssäule der Gap, die von dem Mitgliedstaaten kofinanziert wird, die beispielsweise als Investitionsbeihilfen oder Starthilfen für Jungbauern, für die Entwicklung des ländlichen Raums aber auch als Umwelt- und „Bio“-Prämien eingesetzt werden, in die „erste“ Finanzierungssäule übertragen werden dürfen. So sollten allzu drastisch sinkende Direktzahlungen aufgefangen werden können. Im Ergebnis können die Mitgliedstaaten nun 15 Prozent der jeweiligen Budgets zwischen den Finanzierungssäulen hin und her schieben. Das klingt sehr technisch und unbedeutend, ist aber eminent politisch. Nicht zuletzt weil durch die verschiedenen Finanzierungsmodi gesteuert werden kann, welche Art von Landwirtschaft betrieben wird. Sind die Betriebsprämien hoch, ist es dem Landwirt überlassen, ob er extensiv oder intensiv bewirtschaftet. Je mehr Geld über die zweite Finanzierungssäule zur Verfügung gestellt, umso vielfältiger die Anforderungen an die Bauern, die ihren Teil davon haben wollen.
Obwohl das nationale Betriebsprämienbudget insgesamt nicht allzu dramatisch gekürzt werden dürfte, heißt das nicht, dass Verschiebungen innerhalb der heimischen Landwirtschaftsgemeinde ausbleiben werden. Denn bis 2020 wird nicht nur eine „externe“, sondern auch eine „interne Konvergenz“ angestrebt, wodurch die auch binnen den Mitgliedstaaten von Betrieb zu Betrieb recht unterschiedlichen Jetons pro Hektar angeglichen werden sollen. Variabel sind die Luxemburger Jetons, die Direktzahlungssätze oder Betriebsprämien, weil bei der großen Agrarreform von 2005 die produktionsbezogenen Zuschüsse via historische Referenzwerte in den Direktzahlungssatz integriert wurden. Betriebe, die also vor 2005 viel Milch, Fleisch, Getreide produzierten, haben heute eine hohe Prämie, auch wenn sie vielleicht nicht mehr so viel produzieren. Der umgekehrte Fall ist ebenfalls möglich. So gibt es, sagt Josiane Willems, auch in Luxemburg Betriebe, die nur um die 100 Euro pro Hektar kassieren, aber auch solche, deren Jeton um die 600 Euro beträgt. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, für die externe wie für die interne Konvergenz, die gleichen Spielregeln anzuwenden. Sie sehen laut der Einigung der Staats- und Regierungschefs für den Haushaltsrahmen bis 2020 wie folgt aus: Bei Prämien, die nur 90 Prozent des Durchschnitts betragen, sollen 30 Prozent der Differenz bis 2020 abgetragen werden. Und: Jeder Bauer soll einen Jeton von mindestens 196 Euro pro Hektar erhalten. Was auch Luxemburger Landwirte mit niedrigen Betriebsprämien zugute kommen würde.
Diese sollten sich aber nicht zu früh freuen. Denn die Angleichung ist zeitlich gestreckt und obwohl dieses Konvergenzkonstrukt an sich schon kompliziert genug ist, gibt es noch einige Unbekannte. Zum Beispiel den Greening-Faktor. Mit Greening sind die Umweltmaßnahmen gemeint, die künftig jeder Landwirt erfüllen muss, weil 30 Prozent der Betriebsprämie davon abhängen werden. Auch in diesem Punkt haben die Mitgliedstaaten die ursprünglichen Reformvorschläge der EU-Kommission abgeschwächt, zur Erleichterung der Luxemburger Bauernzentrale. Der Kompromiss der Mitgliedstaaten sieht nun Folgendes vor: Betriebe, die bis zu 30 Hektar bewirtschaften, müssen mindestens zwei verschieden Kulturen anbauen, wobei die Hauptkultur einen maximalen Flächenanteil von 75 Prozent haben darf. Größere Betriebe müssen drei Kulturen anbauen, wobei die zwei Hauptkulturen maximal 95 Prozent der Anbaufläche belegen dürfen. Das Dauergrünland darf pro Betrieb nicht um mehr als fünf Prozent reduziert werden – was heißt, dass Wiesen und Weiden nicht umgegraben und in Ackerland verwandelt werden dürfen. Für die Luxemburger Landwirte keine größere Herausforderung, so die Einschätzung von Josiane Willems. Für sie geht es vor allem darum, den Kompromiss in Sachen „ökologische Vorrangflächen“ durch die nächsten Verhandlungsrunden zu retten: Statt der von der Kommission geforderten sieben Prozent der Acker- und Kulturflächen sollen nur fünf Prozent als ökologische Vorrangflächen bereitgestellt werden. Dabei sollen sie nicht unbedingt brachliegen und aus der Produktion herausgenommen werden müssen. Denn es sollen beispielsweise auch solche Flächen, auf denen stickstoffbindende Kulturen oder Zwischenfrüchte angebaut werden, als ökologische Vorrangflächen klassifiziert werden können. Würden Europaparlament und Kommission dem Ministerrat in diesem Punkt folgen „wäre das eine wesentliche Erleichterung“, so Willems. Ganz zufrieden ist die Gewerkschafterin dennoch nicht. Denn Betriebe, welche das Greening nicht erfüllen können, werden nicht nur auf 30 Prozent ihrer Betriebsprämie verzichten müssen, sondern riskieren eine Prämienkürzung, die über 30 Prozent hinausgeht.
Problematisch ist das Greening aber auch, weil noch nicht feststeht, wie es sich zur Konvergenz verhält. Das heißt: Werden die Jetons ohne Greening-Anteil oder inklusive Greening angeglichen? Bei einem Greening-Anteil von 30 Prozent keine unwesentliche Frage. Kritisch war auch das Verhältnis zwischen dem aus der ersten Säule finanzierten Greening (künftig obligatorisch) und den aus der zweiten Säule finanzierten Agrarumweltmaßnahmen (bisher freiwillig). Auch künftig sind „Umwelt“-Programme möglich, die über das Greening hinausgehen und damit zusätzlich gefördert werden können. Die Greening-Auflagen sollen bei der Kalkulation der Förderhöhe der Agrarumweltmaßnahmen nicht berücksichtigt werden. Doch im einzelnen Betrieb zu identifizieren, welche Maßnahmen zum obligatorischen Greening gehören und was darüber hinausgeht, wird nicht unbedingt eine leichtere Übung. Laut ministeriellem Rechenschaftsbericht erhielten die Luxemburger Landwirte 2012 Fördermittel in Höhe von 3,1 Millionen Euro für Agrarumweltmaßnahmen. Ein relativ geringer Anteil der 65,1 Millionen Euro die sie insgesamt an Zuschüssen erhielten.
Allerdings geht es für die Luxemburger Bauern um jeden Euro. Denn ohne öffentliche Prämien müssten viele von ihnen dichtmachen. Der Grund: Die Produktionsmargen reichen nicht aus, um die Kosten zu decken. Ein Trend, der sich in den vergangenen Jahren verstärkt hat. Lediglich 2007 und 2008, Jahre, die den Verbrauchern wegen der hohen Lebensmittelpreise nicht in guter Erinnerung sind, konnten die heimischen Produzenten ihre Kosten durch den Verkauf ihrer Produkte – Milch, Fleisch, Getreide – decken. Ohne Prämien wäre die Landwirtschaft ein Defizitgeschäft, 2011 betrugen die öffentlichen Zuwendungen im Verhältnis zum Betriebsgewinn der Luxemburger Betriebe 120 Prozent. Dabei sind die Gewinne in der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Aktivitäten recht bescheiden. Das Jahreseinkommen pro nicht-lohnabhängiger Vollzeitarbeitskraft – Statistik-Jargon für selbstständigen Landwirt – betrug 2012 laut Landwirtschaftsministerium und Statec 40 300 Euro, das nationale Referenzeinkommen hingegen 49 000 Euro.
Eine Situation, die bis zu einem gewissen Grad selbst verschuldet ist, denn was den Luxemburger Bauern das Genick bricht, sind die Investitionsausgaben, durch die in den vergangenen Jahren die Fixkosten in die Höhe geschnellt sind. Die Landwirte sitzen in der Zwickmühle: Um sich für die Zukunft aufzustellen, haben sie ihre Betriebe modernisiert, dafür Kredite aufgenommen. Die müssen sie nun zurückzahlen, obwohl sich die Preise für ihre Produkte – so gesehen auf dem Milchmarkt 2009 – in der Zwischenzeit nicht unbedingt verbessert haben. Was den Milchmarkt im Besonderen betrifft, haben die EU-Agrarminister beschlossen, nicht an der für 2015 geplanten Quotenabschaffung zu rütteln. Dass dennoch in einigen großen Mitgliedstaaten der Ruf nach einer Art Quoten-Regelung bis für die Zeit danach laut wird, birgt für Milchbauern einige Ungewissheit. Je nachdem, ob der Markt nun völlig freigegeben wird oder nicht, stellt sich für sie die Frage, ob sie in den Aufkauf von Quoten investieren sollen oder nicht.
Angesichts dieser Situation verwundert es kaum, dass die Bauerngewerkschaft Cepal über die Zugangsmodalitäten zu den Fördermitteln in der zweiten Säule nicht gerade glücklich ist. Denn gab es bisher verschiedene Finanzierungsachsen, beispielsweise für Investitionen, Landschaftspflege auch aber für Leader-Programme, für die bestimmte Summen reserviert waren, werden in der kommenden Finanzierungsperiode die Strukturmittel quasi in einen Topf zusammen gewürfelt. Deswegen befürchtet Willems, dass auch andere Akteure Fördermittel abzweigen können beispielsweise mit Projekten zur Entwicklung des ländlichen Raums, die bisher den Landwirten vorbehalten waren.
Zwar hat die Luxemburger Regierung auch in diesem Punkt clever verhandelt. Denn trotz der allgemeinen Haushaltskürzung hat sie für Luxemburg eine Sonderzuwendung von 20 Millionen Euro herausgeschlagen, die auf den noch zu definierenden EU-Beitrag für die zweite Säule hinzukommen werden. Das klingt nach viel Geld, ist es aber nicht unbedingt. Denn für den abgelaufenen, sieben-jährigen Finanzierungsrahmen bis 2013 standen der Luxemburger Landwirtschaft laut Josiane Willems rund 430 Millionen Euro Fördergelder aus der zweiten Säule zur Verfügung, von denen ein Viertel aus dem EU-Haushalt und drei Viertel aus dem Luxemburger Staatshaushalt stammten. Wie sich die in Luxemburg anbahnenden Sparmaßnahmen auswirken, mit denen die Regierung versuchen wird, das Defizit in den Griff zu bekommen, bleibt abzuwarten. Denn wenn sich die Regierung jetzt engagiert, auch in Zukunft Landschaftspflegeprämien und Ausgleichzulagen zu finanzieren, kann sie in den kommenden Jahren schlecht zurückrudern.
À propos Ausgleichszulage: Dass Luxemburg künftig nicht mehr als ganzes Land als benachteiligtes Gebiet gelten würde, hatte sich schon früh im Reformprozess abgezeichnet, weil die Kommission soziale Kriterien – das niedrige landwirtschaftliche Einkommen im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbranchen – für die Zukunft ausschließt. Deswegen werden künftig weniger Luxemburger Landwirte Anspruch auf die Ausgleichszulage erheben können, die ihnen 2012 insgesamt 15,3 Millionen Euro einbrachte. Immerhin hat der Ministerrat auch die Kriterien ein wenig aufgeweicht und die zwingende Anwendung der neuen Regeln bis auf 2016 verschoben – dies war auch ein deutsches Anliegen. Um also als „naturbedingt“ benachteiligtes Gebiet eingestuft zu werden, müssen 60 statt wie von der Kommission vorgesehen 66 Prozent einer Region eine von acht biophysikalischen Bedingungen erfüllen, beispielsweise eine Schräglage, sandige oder schlecht drainierte Böden aufweisen. Oder aber zwei dieser Kriterien nur knapp verfehlen. Außerdem sollen die Mitgliedstaaten zusätzlich zehn Prozent ihrer Gebiete selbst als benachteiligt einstufen dürfen, wenn sie es nicht von Natur aus sind. Ob Kommission und Parlament diesen Kompromiss so annehmen werden, bleibt abzuwarten. Doch selbst wenn sie dies tun sollten, ist die Bodenbeschaffenheit in manchen Luxemburger Regionen zu günstig, um als benachteiligt eingestuft werden zu können. Bis Juni will die irische Ratspräsidentschaft mit dem Parlament und der Kommission eine definitive Einigung über die Gap-Reform finden. Dann können die Taschenrechner gezückt und endgültig berechnet werden, was diese den Luxemburger Landwirten bringt oder nimmt.