„Viele Kühe machen Mühe“, rief Jos Thill vom Service de l’économie rurale (SER) den Zuhörern beim elften Buchstellentag in Mertzig in Erinnerung. Eindringlich warnten er und sein Kollege Gérard Conter am Montag die anwesenden rund 300 Bauern vor Fehlinvestitionen. Denn die SER-Statistiken zeigen [-]einerseits, dass die Luxemburger Landwirte beim Ausbau ihrer Höfe immer mehr auf Fremdfinanzierung zurückgreifen und die Schulden deshalb steigen, die Investitionen andererseits aber nicht unbedingt zu den entsprechenden Mehreinnahmen führen.
Nicht erst seit neuestem mahnt die Verwaltung die Landwirte, ihr Erfolg sei nicht an der Anzahl der Kühe, einem schmucken Stall oder den Pferdestärken des Traktors zu messen. Dass die Warnungen nun immer eindringlicher werden, hat mehrere Ursachen.
Nach dem Krisenjahr 2009 mit seinen Milchstreiks sind die Investitionen in der Luxemburger Landwirtschaft 2010 rasant angestiegen. Definitive Zahlen für 2010 gibt es zwar noch nicht. Doch wenn die 1 607 professionellen landwirtschaftlichen Unternehmen im Schnitt alle soviel investierten wie die 450 Höfe aus dem Testbetriebsnetz des SER, nämlich 95 000 Euro, ergibt sich für vergangenes Jahr ein Gesamtinvestitionsvolumen von rund 153 Millionen Euro im Vergleich zu 123,5 Millionen Euro im Jahr davor. Die Bauern trieben vor allem den Ausbau ihrer Höfe voran. Hauptinvestitionsposten waren 2010 die Gebäude, also Stallungen.
Während man aber davon ausgehen müsste, dass die doppelte Anzahl an Kühen auch den doppelten Gewinn einbringen müsste, so Thill am Montag, zeigten die Ergebnisse der Betriebe: Dies ist nicht der Fall. „Eine Katastrophe“, nennt er die Resultate der Erhebungen auf Basis der Zahlen von 2009. Denn die Rentabilität in der Milchproduktion ist von Hof zu Hof sehr unterschiedlich, die Investitionen, die zwischen 2000 und 2006 getätigt wurden, steigerten nur in wenigen Fällen tatsächlich die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen. So gibt es Betriebe, die in der besagten Zeitspanne fast gar nicht investierten, deren Gewinn pro Liter produzierter Milch knapp über 25 Cent betrug, eine Höchstleistung. Andere, die zwischen 2000 und 2006 über 1,5 Euro pro Liter investierten, verdienten 2009 aber weniger als fünf Cent pro Liter.
Entsprechend konnten erfolgreiche Höfe mit nur 36 Milchkühen und einer Produktion von rund 257 000 Litern ein ordentliches Ergebnis von über 47 000 Euro erzielen. Weniger erfolgreiche mit 58 Kühen und einer Produktion von 391 000 Litern wiesen nur ein ordentliches Ergebnis von rund 33 000 Euro aus. „Ob der Gewinn steigt, hängt von der Kompetenz des Betriebschefs ab“, stellte Thill am Montag fest, nicht von der Anzahl der Kühe oder der Höhe Produktion per se.
Diese Resultate seien ein eindeutiger Hinweis auf eine „falsche Investitionstätigkeit“, fügte der Beamte hinzu. Beim SER macht man sich Sorgen über die Entwicklung der Fixkosten und befürchtet, in den kommenden Jahren könnte es vermehrt zu Liquiditätsengpässen kommen. Denn 2009 wurden den Erhebungen der Verwaltung zufolge erstmals die Nettoinvestitionen ausschließlich über Schulden finanziert, während die Landwirte vorher noch verstärkt auf Eigenkapital zurückgriffen. So stiegen die Bankverbindlichkeiten 2010 auf über 140 000 Euro pro nicht bezahlter Arbeitskraft (NAK), also Betriebseigentümer, während das ordentliche Ergebnis pro NAK weniger als 40 000 Euro betrug und die Bankverbindlichkeiten deutlich schneller stiegen als die Ergebnisse. Angesichts der Schuldensituation einzelner Betriebe – ein Landwirt muss mit über 60 Jahren ein Darlehen von fast drei Millionen Euro zurückzahlen – fragte sich Thill, „ob die Leute nicht mitbekommen haben, dass wir keine Franken, sondern Euro haben?“
Mit den hohen Krediten steigt aber auch die Zinsbelastung der Betriebe, warnte Gérard Conter am Montag. Die betrug 2009 5 400 Euro jährlich, 2010 5 900 Euro und wird Conters Prognosen zufolge 2011 auf 6 750 Euro jährlich steigen. Auf vergangenes Jahr bezogen, heißt das, die Betriebe wenden etwas mehr als zehn Prozent ihres Ergebnisses von 53 500 Euro für Darlehenszinsen auf. Dabei variieren die von den Banken gewährten Zinsen stark von Unternehmen zu Unternehmen, weswegen die Vertreter des SER an die Bauern appellieren, einen Blick auf die gewährten Kreditbedingungen zu werfen und Nachverhandlungen nicht auszuschließen. Die Betriebe mit den günstigsten Zinsraten zahlen weniger als zwei Prozent, die mit den ungünstigsten fast 4,8 Prozent.
Spätestens als Thill am Montag vorrechnete, welchen Unterschied dies auf einem Darlehen von einer hal-ben Million Euro mit einer Laufzeit von 20 Jahren ausmacht – nämlich 8 900 Euro – hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit der anwesenden Bauern, die seine Warnungen vor Fehlinvestitionen und die Zweifel an ihrer Kompetenz mit verschränkten Armen und skeptischen Gesichtern ausgesessen hatten.
Dass die Bauern nicht nur investieren, um sich Statussymbole anzuschaffen, weiß man natürlich auch beim SER. „Die Landwirtschaft ist einer der dynamischsten Wirtschaftszweige“, verweist Gérard Conter auf die Produktionssteigerungen, die der technische Fortschritt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten herbeigeführt hat. Er setzt den aktuellen Investitionsboom in den Rahmen der Subventionierung und der fortschreitenden Reform der europäischen Agrarpolitik. Mit dem aktuellen Agrargesetz wurde 2006, eine gewisse Investitionsbremse abgeschafft. Davor betrug die maximal bezuschusste Summe über einen Zeitraum von sechs Jahren maximal 375 000 pro Bauer. Ob sich die Spielregeln ab 2013 wieder ändern, wissen die Bauern jetzt noch nicht. Ihr Hauptanreiz sei es aber, sich auf die für 2015 geplante Abschaffung der Milchquotenregelung vorzubereiten.
Dabei stehen die Luxemburger Milchbauern vor anderen Problemen als die Produzenten in Frankreich oder Deutschland. In Luxemburg wird regelmäßig die nationalen Quote überschritten, also mehr produziert, als unter der aktuellen Quotenregelung erlaubt. So auch im vergangenen Quotenjahr 2010/2011, weswegen Strafzahlungen von über einer Million Euro drohen. Deswegen können Bauern, die jetzt ihre Anlagen erweitern, um mehr Kühe halten zu können, ihr Potenzial gar nicht ausschöpfen ohne zusätzlich in Quoten, also Produktionsrechte zu investieren. „Sie verfügen über einen Ferrari-Motor, fahren aber mit dem Tempo einer Ente“, beschreibt Conter die Situation, die noch vier Jahre, bis 2015, andauern wird. Das findet er eine „ökonomische Katastrophe“. Beim SER befürchtet man, den betroffenen Bauern könne bis dahin die Puste ausgehen, weil die Darlehenszinsen steigen, ohne dass es auf der anderen Seite nennenswerte Produktions- und Gewinnsteigerungen gibt.
Dass die investierten Summen steigen, bestätigt Jacques Schanck, Direktionsmitglied der Banque Raiffeisen, die immer noch marktführend in der Landwirtschaft ist. Den Trend der hohen Darlehen führt auch er darauf zurück, dass sich die Bauern auf die Abschaffung der Milchquoten vorbereiten und deswegen vergrößern. Im Dorfkern, wo die alten Höfe sind, blieben aber aus Platzmangel oft nur noch wenig Erweiterungsmöglichkeiten, weswegen vermehrt Aussiedlerhöfe in Grünzonen gebaut würden. Projekte, bei denen die Kosten schnell über eine oder zwei Millionen Euro betragen würden, erklärt der Bankier. Weil die Baukosten durch Umweltauflagen in die Höhe getrieben würden, die abseits gelegenen Parzellen an die Infrastruktur angeschlossen werden müssten und bei einer Aussiedlung oft gleich mehrere Familien umziehen müssten, der Betriebschef und seine Eltern. Dabei werde der Zeitpunkt oft dadurch bestimmt, dass ein Bauträger den Landwirten ein Angebot für die Parzellen im Bauperimeter des Dorfes mache, so Schanck.
Ohne die hohen Erlöse aus diesen Verkäufen – bedingt durch die hohen Baulandpreise –, könnten sich nur wenige Betriebe die Aussiedlung und Modernisierung leisten, urteilt er. Sogar wenn die Kunden ihr Bauland teuer verkaufen könnten und trotz Investitionssubventionen blieben am Ende hohe Summen abzustottern. Auch deshalb, erklärt Schanck, seien hohe Grundstücksgarantien bei der Kreditvergabeentscheidung nicht mehr ausschlaggebend. Landwirtschaftliche Projekte würden genauso auf ihre Wirtschaftlichkeit und Rentabilität geprüft wie andere Unternehmensprojekte. Nicht umsonst, denn bei Prolitergewinnen im Cent-Bereich müssen die Kühe oft gemolken werden, bis eine Million beisammen ist.