Prix littéraire national 2001: À sept voix

Schlamperei mit Preisträgern in Poesie

d'Lëtzebuerger Land vom 20.02.2003

Der sozialliberale Kulturminister Robert Krieps ist nicht zuletzt als Initiator eines nationalen Literatur-Wettbewerbs in guter Erinnerung. Vor Krieps war der Literat hierzulande, vorausgesetzt, er hatte sich zeitlebens als Stütze von Thron und Altar erwiesen, allenfalls kurz vor der Vergreisung nationalpreisreif. Bis heute flicht die Regierung Literatur-GreisInnen mit dem auf Batty Weber getauften Nationalpreis vorposthume Kränze. Daran gemessen, ist der seinerseits schon wieder leicht angestaubte Literatur-Wettbewerb à la Krieps ein schierer Ausbund an demokratisierter Kulturpolitik.

Nur, was taugen offizielle und offiziöse nationale Anerkennung und finanzieller Lobpreis, wenn die von (wechselnden?) Jurys belobigten Texte und Autoren nicht "herüberkommen", das heißt nicht gedruckt erscheinen beziehungsweise nicht dem eventuell härteren Urteil der Kritik ebenso wie dem vielleicht abweichenden Befund eines breiteren Leserpublikums ausgesetzt werden? Darum ist es grundsätzlich begrüßenswert, die Jahr um Jahr ausgezeichneten Arbeiten unter staatlicher Beihilfe als Serie in Luxemburgs einzig nennenswertem Literaturverlag, den éditions phi, zu veröffentlichen. Leider ist in diesem Hause die Ära Francis van Maele fast ganz zu Ende; van Maele zeichnet zwar noch für das Layout von À sept voix verantwortlich, einer Broschüre, in der Ende letzten Jahres die Arbeiten der drei preisgekrönten und der vier lobend erwähnten Autoren des Lyrik-"crû" 2001 vorgestellt werden;  ansonsten schmückt sich diese Publikation zu Unrecht mit dem Gütesiegel "phi".

Eine fromme Lüge, ein echter Bluff ist schon gleich eingangs der dem Buckdeckel schwarzweiß aufgestempelte (3.) Untertitel "Prix Littéraire National". Die Sammlung enthält doch ausdrücklich kein Werk des Nationalen, also des Batty-Weber-Preisträgers, sondern unterbreitet die Auswahl, die eine Jury aus drei Damen und zwei Herren unter den Arbeiten glaubte, treffen zu dürfen, die eine unbekannte Zahl AutorInnen im Rahmen des der Lyrik vorbehaltenen Nationalen Literaturwettbewerbs 2001 unterbreitet hatten, oder?

Die Namen jedenfalls, weniger Werk und Wirkung der drei preisgekrönten und der vier (nur!) belobigten Autoren (sechs Herren! nur eine Dame!) sind hierzulande wohl jedermann und jederfrau, der (die) an Literatur schlechthin, insbesondere Luxemburgensia, interessiert ist, mehr und minder bekannt. Man stelle sich jedoch vor, das Taschenbuch fällt per Zufall (zum Beispiel über die seit neuestem in Luxemburgs Botschaften im Ausland unterhaltenen Mini-Nationalbibliotheken) einem neugierigeren Fremden in die Hände - der Arme, er sucht vergeblich nach den biobibliografischen Informationen, die einer derartigen Publikation mehr denn angemessen wären. 

Und warum sich immer wieder über die nahezu europaweite Unkenntnis des gleich dreisprachigen Luxemburger Literaturschaffens wundern und ärgern, wenn fünf JurorInnen es für müßig halten, ihrem Auswahlband ein Nach- oder Vorwort zu gönnen, in dem von der Lyrik in Luxemburg allgemein, vom Jahrgang 2001 oder etwa auch über das großherzogliche Preisgewese bündig die Rede gehen könnte? 

Der Kritiker - was gleich folgt - braucht mit der Auswahl der Lyrik-Jury 2001 nicht übereinzustimmen, er darf jedoch, er muss sogar feststellen: die (neuen) éditions phi haben bei ihrer Präsentation nicht nur nicht die Pflege walten lassen, welche sowohl die drei Preisträger als auch die bloß belobigten Wettbewerber verdient hätten, kurzum, der Verleger (pardon, die Verlegerin!) hat geschlampt!

 

Lyrisches Urteilsvermögen ­ zufriedenstellend

 

Dem Rezensenten von À sept voix gebricht es am Überblick über sämtliche Einsendungen zum Nationalen Literaturwettbewerb 2001, er muss sich also mit der von der fünfköpfigen Jury getroffenen Auswahl bescheiden und ist darauf verwiesen, die Leistung der mit den Preisen 1, 2 und 3 sowie der vier mit "mentions" bedachten Autoren untereinander zu vergleichen, um zu einer Wertung zu gelangen:

Sowohl von der Qualität wie der Quantität her geht der 1. Preis für Jhemp Hoscheits À deux voix wohl grosso modo in Ordnung. Der bislang vor allem im Dialekt exzellierende Hoscheit stimmt in der Tat auf 30 Buchseiten einen auch grafisch akzentuierten sprachmächtigen Wechselgesang an zwischen der inneren, reflexiven Stimme des Dichters und der Abnabelung eines Kindes beziehungsweise jungen Mannes von seinen Vätern; zu diesem Zweck wird eine so erkleckliche Reihe hochexpressiver poetischer Bilder aufgeboten, wie sie in der zeitgenössischen Luxemburger Dichtung in französischer Sprache nur bedingt ihresgleichen suchen, ja, Jhemp Hoscheit ist als französischer Lyriker schon eine freudige Überraschung. Er hätte sich freilich sparen können, sein À deux voix wie ein klassisches, langes Gedicht zu organisieren, es wäre auch vom Druckbild her als "poème en prose" glatt "comme une lettre à la poste" durchgegangen.

Unerfindlich dagegen bleibt, weshalb - um in der französischen Gedichtsparte zu bleiben - Giulio E. Pisanis Au nom... lediglich und wohl aus alphabetischer Rücksicht nur als Vorletzter belobigt wird. Zugegeben, Pisani schlägt einen hochmögenden, einen pathetischen Ton an, doch seine schon vor dem 11. September, schon vor dem "alliierten" Eingriff in Afghanistan angestimmte wuchtige Klage, seine wehmütige Nänie auf die von den Taliban wie Un-Menschen traktierten Frauen von Kabul und in ihnen auf alle unterdrückten, misshandelten, rassistisch verdammten Frauen dieser Erde ragt als engagierte "poésie pure" in dieser hierzulande ohnehin seltenen Literatursparte, aber wohl auch als "poésie pure" von saint-john perseschem Duktus über frühere und gegenwärtige Luxemburger Dichtung hoch hinaus: "Femmes du Siah Band, de l'Hindou Kouch / Je pleure de honte, j'entends les mots, / les mots impuissants et encore les mots / éructés par nos / surphallos / hausseurs d'épaules et suffragettes / apaisées par les miettes tombées / de la table des xylolingues / et autres forcenés du / veau-d'or-roi / et de ses / valets./ Femmes de Kaboul, de Charikar; / où reste le devoir d'ingérence / quand le pétrole se fait rare, / au fond de votre silence?"

Über den zweiten Preis für Francis Kirsch, den Sprachprotz, sogar über Freund Roland Harsch, der hinter der Sprachvirtuosität, mit der er uns verwöhnt hat, zurückbleibt, über die gobiwüstentrocknen Verse Georges Hausemers, über Michèle Thoma, die von Wien her gutfraulich und wie immer leicht exotisch einen Kabylen lyrisch anbaggert, sei sich hier schon deshalb sängerhöflich ausgeschwiegen, weil nicht verständlich wird, dass dem Stillsten im Literaturland Luxemburg, Léon Rinaldetti, für seine haiku-lakonischen Texte in diesem Wettbewerb nur der dritte Preis gebühren soll. 

Rinaldetti hat sich zwar seit je die Worte vom Munde abzusparen gewusst, und doch bringt er es immer wieder fertig, ohne in Selbstmitleid zu verfallen, die eigne Marginalität auf der Luxemburger Literaturszene plastisch auf die Pointe zu bringen, so zum Beispiel in: "Weiß der Ast / vom Stamm / dass im Boden / Wurzeln blühn?" oder in: "Der Storch auf einem Bein! / daran / die ganze Welt!" Rinaldetti diktiert nicht zuletzt dem Kritiker nach À sept voix, der angeblichen Blütenlese Luxemburger Lyrik Jahrgang 2001, die angemessene Formel in den PC: "Wie stellt man / Fragen / ohne Krücken / aufs Parkett?"

 

À sept voix; poésie; Prix littéraire national 2001, eine zweisprachige Anthologie mit Werken von Georges Hausemer, Roland Harsch, Jhemp Hoscheit, Francis Kirps, Giulio-Enrico Pisani, Leon Rinaldetti und Michèle Thoma, éditions phi, 2002; 144 Seiten, 14 Euro, ISBN: 2-87962-153-4

 

 

 

Michel Raus
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