Mit dem Rücken zum Publikum blicken Katarina, Frank, Jenna und Tomas in den grell aufleuchtenden Sternenhimmel. Ein Szenenbild komponiert wie ein Moment des puren Glücks, der reinen Zuversicht. Katarina trägt ein weißes Brautkleid. Die völlig verdunkelte Bühne verbirgt ihre blutverschmierten Hände, darin so mancher Glassplitter steckt, Scherben eines vergangenen Tages, Scherben einer Ehe. Die Hölle, durch die der Stockholmer Dramatiker Lars Norén seine Figuren in den 80 vorangehenden Minuten getrieben hat, pervertiert das konstruierte Glück jedoch zur bitterbösen Groteske.
Steve Karier hat sich Noréns Drama Dämonen angenommen und feierte am 15. Februar Premiere im Théâtre des Capucins. Mit der instrumentalen, in ihrer schrägen Verzerrung schrittweise intensivierten Musik von Serge Tonnar führt er uns in die Abgründe eines Quartetts, bestehend aus zwei Ehepaaren. Katarina schreitet aus einem feuerroten, an einen Höllenschlund erinnernden Eingang in die abgedunkelte Wohnung, trinkt, schlurft hin und zurück, trinkt und spricht nach Minuten angespannter Stille zu Frank, der die Asche seiner Mutter in einer Plastiktüte mit sich trägt. Dabei ärgert er sich über die bewusst verur-sachte Unordnung seiner Gattin. Die intelligent verwinkelte Architektur der Wohnung (Diane Heirend) geht mit der ebenfalls bis in die Abarten der Sprache pervertierten und verwobenen Ehe einher. „Entweder ich bringe dich um, oder du mich, oder wir trennen uns, oder wir machen so weiter“, folgert Katarina, die mit ihrem Ehemann fortan in eine verbale Schlacht der Verachtung und Bösartigkeit zieht. Dieser Schlagabtausch hat über die Jahre hinweg Zynismus als einzig mögliche Regung in die Gesichter gemeißelt.
Jenna und Tomas, das brave, kinderreiche Paar von nebenan, kommt zu Besuch. Die Schusseligkeit des Nerds Tomas und die angespannte Körperhaltung von Jenna, deren Babyfon wie eine untrennbare Nabelschnur in die Wohnung der Gastgeber reicht, deuten die Enge ihres Familienglücks an. Zudem richten Katarina und Frank ihren Hang zum Sadismus im weiteren Verlauf gegen ihre Gäste, deren Fassade schrittweise bröckelt, bis die verborgenen Dämonen auch sie heimsuchen, die Kindeserziehung sich als Graus, das Eheglück als Ekel erregende Gewohnheit entpuppt: „Wenn man zum richtigen Zeitpunkt sagt, dass man sich liebt, dann streitet man sich nicht.“ Hass explodiert, wird herausgewürgt. Was Katarina und Frank in zynischer Offenheit pflegen, ist bei ihren Nachbarn die Explosion eines zusehends aufgeblähten Überdrucks. Akte der Selbstverstümmelung, das Leben der Lüge in einem Glas voller Whiskey und die völlige Treulosigkeit hier im Gedanken, dort im Wort: Das Leitmotiv des seelischen Sturzes findet sich in Katarinas Hang wieder, ständig Gegenstände zu Boden fallen zu lassen.
Die klare Positionierung der Figuren auf der Bühne, die Vermischung von Nacktheit und Gewalt sowie die verbalen Demütigungen mögen so manchem Zuschauer im Kontext der Handlung zugesetzt haben. Die Produktion erweist sich trotzdem oder gerade deswegen in vielerlei Hinsicht als gelungenes Kunstwerk. Dabei ist die Plastik der Psyche, in die wir hineinblicken dürfen, dem herausragenden, teuflisch bösen Spiel von Martin Engler und Linda Olsansky geschuldet. Olsanskys starrer Blick in den letzten Zügen der Inszenierung lenkt die volle Aufmerksamkeit auf sich, der Auftritt im Hochzeitskleid nach dem autoaggressiven Akt lässt jede Illusion einer glücklichen Ehe verfliegen. Englers Blicke sind unvergesslich, wirken außerdem im Kontrast zu Brigitte Urhausens und Jules Werners gemimter Blauäugigkeit besonders eklatant. Während die kinderreichen Eltern in ihrer unterbewusst verborgenen Verkümmerung teilweise an ein Ibsen-Paar erinnern, leben die anderen das Böse aus, feiern es in allen Abarten. Selbst der scheinbar souveräne Frank wird am Ende in seiner Impotenz entlarvt. Allabendlich sticht seine Frau tief ins offene Fleisch dieser Wunde, wenn sie sich ihm in erotischer Pose nähert, und er diesem Ritual nichts weiter abgewinnen kann als die ständige Bloßstellung seiner eigenen Unmännlichkeit.
Gemeinsam mit Dramaturg Olivier Ortolani und Assistentin Esther Fischer hat Karier einen seelischen Ausverkauf inszeniert, dessen abschließender Sternenhimmel eher an eine lichtdurchlöcherte Finsternis erinnert.