Das Neue in der Kunst benötigt immer auch einen neuen Namen. Künstler, Kuratoren und Sammler verwenden für den jüngsten Trend ein englisches Adjektiv: unmonumental. Dieser neue „Genrebegriff“ stammt von der gleichnamigen Gruppenausstellung des New Museum in New York, das mit dieser Schau im Dezember 2007 seinen Neubau im Stadtteil Bowery (zwischen Chinatown und dem Broadway) eröffnete. Die dort gezeigten Skulpturen bestanden aus vorgefundenen Dingen und ausrangiertem Material, die zu sogenannten Assemblagen, also Materialcollagen, zusammengefügt waren. Diese unprätentiösen Objekte, die auf erhabene Kunst-Wiedererkennungswerte verzichteten, nutzen ausgediente Elemente unseres Alltags für ihre Kritik an der traditionellen Skulptur, dem Monument.
Einige Künstler möchten nicht mehr monumental sein. Sie verweigern sich der Idee, dass eine Skulptur verherrlichend und ein für die Ewigkeit gemachtes Denkmal sein soll. Bereits im 20. Jahrhundert verfolgten Künstler ähnliche Ziele, stellten aber die dreidimensionale Form inhaltlich in den Dienst ihrer eigenen Anschauungen (Dadaismus, Surrealismus, Hyperrealismus, Pop, Minimalismus, Arte Povera). Heute sind die Künstler dabei, die Skulptur inhaltlich zu entleeren, ohne einer einheitlichen Ästhetik zu folgen, und die Ergebnisse sind in ihrer Schlichtheit nüchtern bis brutal und häufig mit einer kleinen Portion Humor vermischt. Da es sich weder um eine definierte Künstlergruppe noch ein länderspezifisches Phänomen handelt, bleiben die individuellen Lösungen uneinheitlich.
Eine luxemburgische Vertreterinnen dieser ganz neuen Richtung ist Vera Kox (*1984). Sie ging 2003 nach Canterbury, um dort Kunst zu studieren, schob ein Studienaufenthalt in Granada ein und machte danach für anderthalb Jahre Station in Berlin. Augenblicklich studiert sie Art Practice am Goldsmiths College in London, wo sie dieses Jahr abschließen wird. Vera Kox sieht für sich Vorteile im englischen Kunstausbildungssystem, da dieses auf Kursen basiert und die Studierenden dementsprechend nicht auf einen Künstlerprofessor fixiert sind, wie es beispielsweise in den deutschen Kunstakademien der Fall ist. Dieses antiautoritäre Studium unterstützt Kox zusätzlich bei ihrem eigenen unautoritären Umgang mit dem Material ihrer Skulpturen. Dieses Rohmaterial findet sie größtenteils einfach auf Londons Straßen. Sie liebt es, sich in einer solch großen Stadtstruktur zu organisieren und nie an ihre Grenzen zu stoßen. Dieser Aspekt lässt sie auch überlegen, ob sie nach ihrem Studium nicht zunächst dort verbleiben sollte.
Die Arbeiten von Kox haben sich insbesondere im letzten Jahr sehr verändert – es setzte eine Phase ein, in der ihre Skulpturen entladener und leerer wurden. Eine Arbeitsphase zuvor waren ihre Installationen noch stärker aufgeladen – mit Geschichten und Anschaulichkeit. Einige dieser Arbeiten im öffentlichen Raum sind vielleicht noch im Gedächtnis. Zum Beispiel 2007 die Installation im Rahmen der Ausstellung Prix Robert Schumann in Tier: hier waren, – etwas versteckt in einem städtischen Parkhaus – zwei Autos zu einem Drittel beziehungsweise bis zur Hälfte im Boden ihrer Parkplatzflächen versenkt. Eine absurde Erscheinung; das Automobil im Zustand kompletter Immobilität und im scheinbaren Vorgang des Versinkens. Eine ähnliche Situation erschuf Kox auch im Sommer 2007 auf dem Escher Brillplatz: diesmal ließ sie Fahrräder im Boden versinken. Auf mit Latexlasur präparierten Stellen, die Pfützen ähnelten, ragten (angeschnittene) Fahrräder verschieden hoch aus dem Boden, so als würden sie vom Boden verschlungen. Im Sommer 2008 gestaltete sie auf Vorschlag des Kunstkritikers Didier Damiani den Kiosk an der Pont Adolphe in Luxemburg-Stadt. Eine düster beladene Szenerie; zerfetzte schwarze Regenschirme im Raum und Asphaltrinnsale von der Decke; das Ganze ein Sinnbild für die verrinnende Zeit, die alles zerfrisst und an allem klebt.
Solche Bilderwelten hat Vera Kox seit letztem Jahr hinter sich gelassen. Die neue entleerte Welt ist erleichterter, transparenter und manchmal sind die Dinge nur das, was sie sind, beziehungsweise das, was die Künstlerin aus deren verknittertem Teint herauspoliert. In ihrem Atelier befindet sich beispielsweise ein altes, deformiertes Absperrgitter, dessen Querstange sie partiell poliert hat; ein Schnorchelrohr, das sie in Ringform brachte, so dass es sich nur noch mit sich selbst beschäftigt; eine alte, verbeulte Metallkiste, deren Patina durch lange Schleifprozeduren eliminiert wurde; sowie eine verbogene ausrangierte Scherenteleskoptreppe, die sich auf dem Boden wie in einem Terrarium räkelt.
Diese Arrangements werden von Kox inszeniert, manchmal nur für wenige Minuten – so wie ihre aktuellen Jahresabschlussarbeiten. Sie rückte die kleinen Skulpturen auf die rechteckigen Lichtflecke, die sich auf ihrem Atelierfußboden nur exakt um 12 Uhr mittags bilden, wenn das Licht senkrecht durch die Dachluken fällt. Diese Inszenierungen hält sie fotografisch fest, ohne dass sie die Fotos an sich als eigenständige Kunstwerke verstehen würde. Das Foto dient der Künstlerin dazu, optimale Wahrnehmungsbedingungen zu schaffen und zu dokumentieren. In diesen „richtigen“ Momenten erhalten die kleinen Ensembles – ganz unverklärt – ihre eigene Bühne, die jedoch nichts mehr mit den steinernen Monumentsockeln vergangener Epochen zu tun hat. Sie sind nicht mit dramatischen Geschichten aufgeladen, gleichen eher Alltagserzählungen und enthalten ebenso wie diese eine gewisse bodenständige Erkenntnis.
Die unaufgeregte Form der Präsentation erweckt das einfache Vergnügen an der Form und die Lust am Material. Die Werke sind von jedem eigentlichen Nutzen befreit, so dass sich unser Interesse auf die Leere des Objekts konzentrieren kann. Ein kurzer kontemplativer Moment, – denn eines ist bei den Werken, die der unmonumental Richtung zugerechnet werden, sicher: Sie sind nicht für die Ewigkeit.