Bestnoten für die Forschung, es fehle aber eine gemeinsame Richtung und Identität, urteilen die Prüfer über die Uni Luxemburg

Fliehkräfte

d'Lëtzebuerger Land du 21.03.2013

Die Universität Luxemburg hat Bemerkenswertes erreicht, sie ist auf einem guten Weg. Voll des Lobes waren Hochschulminister François Biltgen (CSV) und das Team von europäischen Experten, als sie am Montag den zweiten Evaluationsbericht zur Landesuniversität der Presse vorstellten. Vor allem der zügige Ausbau und die teils „exzellente Arbeit“ an verschiedenen Forschungsbereichen, wie der Fakultät Rechtswissenschaften oder der School of Finance, hat das siebenköpfige (darunter eine Frau) Expertengremium um den isländischen Philosophieprofessor Pall Skulason nachhaltig beeindruckt.
Aber wo viel Licht ist, fällt auch Schatten. Auf Nachfragen von Journalisten stellte sich heraus: So positiv wie vor allem der Hochschulminister die Lage auf dem „großen Schiff“ Uni zeichnet, ist sie nicht: Es gibt enorme Schwierigkeiten auf der Kommandobrücke.
Dass die Uni ein Problem auf der Steuerungsebene hat, hatten die Experten bereits im ersten Evaluierungsbericht 2009 moniert. Auch die Medien haben in der Vergangenheit immer wieder über Demokratiedefizite und undurchsichtige Topdown-Entscheidungen geschrieben. Diese existieren weiter, auch wenn der Rektor der Universität, der Spanier Rolf Tarrach im Gespräch mit den Prüfern der Meinung war, die Kommunikation vor allem mit den Fakultäten habe sich in den Jahren seit dem letzten Audit deutlich verbessert. Das widerspricht dem Eindruck, den die Prüfer in ihren Interviews im Mai und Oktober 2012 mit dem Fakultätspersonal gewannen.  Dass der Conseil de gouvernance, der Aufsichtsart der Uni,  der überwiegend aus betriebsfernen Personen besteht, zu weit weg ist vom Universitätsalltag und seine Entscheidungen nicht genügend zurückgekoppelt sind mit der Basis, war schon im Prüfungsbericht vor vier Jahren Thema, die Fluktuation der Mitglieder hat die Situation nicht verbessert.
Sorgen macht den Prüfern insbesondere der Universitätsrat, vom Gesetzgeber als eine der Stützen des Uni gedacht, in der Vertreter des Personals der Uni und Dekanat wie Rektorat zusammenkommen und die großen Leitlinien und Themen gemeinsam festlegen sollen. Statt über wichtige strategische Fragen wie die akademische Ausrichtung oder die Qualitätsentwicklung von Forschung und Lehre zu diskutieren und einen gemeinsamen roten Faden auszuarbeiten, „funktioniert der Rat einfach nicht richtig“, heißt es im Prüfungsbericht. Seit einigen Monaten werde zwar verstärkt getagt, vor wichtigen Sitzungen des Conseil de gouvernance kommen auch die Mitglieder des Universitätsrates zusammen. Allerdings, so haben die Prüfer beobachtet, würden etliche Mitglieder nicht erscheinen oder wenn doch, sind sie nicht vorbereitet. Statt konstruktiv gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten und die verstopften Kommunikationskanäle zu reinigen, beobachteten die Prüfer ein Klima, von Misstrauen und gegenseitigen Schuldzuweisungen: Der Rektor wirft dem Universitätsrat mangelndes Interesse und zu wenig Initiativgeist vor, die Ratsmitglieder dagegen bemängeln Tarrachs autokratischen Führungsstil und dass viele Entscheidungen sowieso in kleinen Hinterzimmern irgendwo im Rektorat oder Hochschulministerium vorweggenommen würden. Das Land hat die Malaise bereits (19.10.2010) ausführlich beschrieben.
Seine Tür stehe immer offen, hatte der Rektor Rolf Tarrach in der Vergangenheit stets Kritikern entgegnet, die den mangelhaften Dialog und den Topdown-Führungsstil bemängelt hatten. Offene Sprechzeiten reichen aber nicht, um eine gemeinsame Identität für die Uni zu schmieden, rüffeln die Experten nun. Uneingeschränkt offen stand die Tür im Rektorat zudem nicht: Als das Land mit dem Rektor über die Hintergründe für die anhaltenden Verstimmungen zwischen Universitätsrat und Rektorat sprechen wollte, und über mögliche Verbesserungen im Rahmen der geplanten Reform des Unigesetzes, wurde es von der Pressesprecherin per E-Mail vertröstet und an den Hochschulminister verwiesen. Immerhin: Der Evaluationsbericht soll in den nächsten Monaten mit allen Akteuren intern diskutiert werden und Schlussfolgerungen in den geplanten Vierjahresplan einfließen.
Die Uneinigkeit und Zersplitterung der Uni konnten die Experten im Herbst hautnah erleben: Ihre Evaluation basiert neben Interviews auch auf Berichten, in denen sich die unterschiedlichen Akteure und Fakultäten selbst beschreiben und bewerten sollten. Den Bericht, den Pall Skulasson und sein Team vorgelegt bekamen, war aber mehr ein Sammelsurium an Einzelpositionen, als dass eine gemeinsame Handschrift sichtbar geworden wäre. Dieser fehlende rote Faden und die mangelnde gemeinsame Identität spiegelt sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen in der Uni wider: beim Tutoriat zwischen Professor und Student/Doktorand, das je nach Fakultät oder Fachbereich ganz unterschiedlich aussehen kann, oder bei den Forschungsprioritäten, bei denen teilweise unklar ist, was ein solcher Status zum Beispiel für die Haushaltsplanung oder die Rekrutierungspolitik heißt.
Ein Teil des Problems könnte die Reform des Unigesetzes lösen. Zumindest soll der Unirat darin aufgewertet werden. Aber, so betonte Forschungsminister François Biltgen zu Recht: „Die Institutionen sind immer auch die Akteure.“ Entscheidend sei, wie die veränderten Strukturen mit Leben gefüllt würden. Dabei komme dem Rektor und den Dekanen eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, „to initiate the development of a transparent and trusted framework for this communication“, schreiben die Experten. Sowohl eine „Grammatik“ als auch ein gemeinsames „Vokabular“ müssten dringend entwickelt werden. Wohlgemerkt, zusammen entwickelt und nicht von oben nach unten vorgegeben.
Dass auf der Pressekonferenz dieser Schwerpunkt des Berichts nur am Rande zur Sprache kam, muss erstaunen. Denn die Prüfer fanden durchaus eindringliche Worte für die Misere. Da ist von der Entwicklung einer „gemeinsamen Kultur“ die Rede, die „dringend gebraucht“ werde, von „totaler Verwirrung“, wenn es etwa um die  Frage geht, ob denn nun ein Projekt an der Uni besteht, das Personalfragen und vor allem Prozeduren klären soll. Unklare Beförderungskriterien würden für „ernsthafte Frustrationen“ unter dem Personal sorgen.
In Zukunft müsse das Augenmerk der fehlenden strategischen Reflektion und dem „Leadership“ gelten, fordern die Experten. Dazu zählt die Qualitätsentwicklung der Forschung und Lehre, eine weitere große Schwachstelle der bald zehnjährigen Uni. Eine gemeinsame Debatte darüber, was als Exzellenz in Forschung oder Lehre gilt, gebe es nicht, stellten die Experten überrascht fest. Was nichts anderes heißt, als dass ein Absolvent der Uni Luxemburg sich damit schwer tun könnte, den Wert seines Diploms genau einzuschätzen. Dass die Hochschule sowohl bei der Einstellung als auch bei der Beförderung nicht genügend transparent funktioniert, konnten Außenstehende an der Ziegler-Affäre ablesen. Sie ist noch vor Gericht anhängig, ebenso wie weitere arbeitsrechtliche Verfahren wegen unklarer Arbeitsverhältnisse. Es gibt an der Uni eine Vielzahl von Verträgen, durch die kaum jemand durchblickt. Inzwischen wurde zwar die Hausordnung und damit auch die Bewertungskriterien von Forscher überarbeitet, aber, so wird im Audit deutlich, noch immer fehlt bei wichtigen Fragen der rote Faden, der die Praxis der Fakultäten und Forschungszentren miteinander verbindet und so etwas wie eine gemeinsame Identität der Uni bildet. Hochschulminister Biltgen erwähnte diese Schwächen auf der Pressekonferenz nicht, sondern betonte lieber, dass Luxemburg mit dem 350 000 Euro kostenden externen Audit einen besonderen einmaligen Weg in Europa eingeschlagen habe. Andere Länder lassen diese von nationalen Prüfern erstellen. Bloß: Wer hätte in Luxemburg die Kompetenz dazu, eine solche Evaluation durchzuführen, noch dazu unabhängig?
Der Verweis auf Europa passt allerdings an anderer Stelle. Mit der Uni ist es ein wenig wie mit der EU-Erweiterung: Die Uni Luxemburg ist rasant gewachsen, vielleicht sogar zu schnell, zugleich sind die Führungsstrukturen nicht mitgewachsen, nicht angepasst worden. Wohin es führen kann, wenn sich viele Akteure nicht auf ein gemeinsames Regelwerk verständigen, wenn jeder unter einem Sachverhalt etwas anderes versteht und sein eigenes Süppchen kocht, lässt sich derzeit an der Eurokrise ablesen. So entstehen schwer kontrollierbare Fliehkräfte, die eines Tages vielleicht sogar das gemeinsame Ganze gefährden könnte.

Ines Kurschat
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